1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Krank und ohne Versicherung

Alois Berger / Naomi Conrad2. Mai 2013

In Deutschland sind hunderttausende Menschen nicht krankenversichert. Deshalb werden sie oft nicht behandelt - zum Teil mit ernsten Folgen. Ärzte fordern nun eine großzügigere Regelung durch die Behörden.

https://p.dw.com/p/18QxS
Eine Ärztin behandelt im Rahmen der "Humanitären Sprechstunde" im Frankfurter Gesundheitsamt eine Frau ohne Krankenversicherung (Foto: dpa)
Humanitären Sprechstunde Krankenversorgung ohne KrankenversicherungBild: picture-alliance/dpa

Am Anfang versuchte Mariana Santos den Schmerz zu ignorieren, am Ende hätte das deutsche Gesundheitssystem sie fast das Leben gekostet. Denn der Notarzt, den die junge Brasilianerin in Karlsruhe zu Hilfe rief, verweigerte die Behandlung. "Weil ich nicht krankenversichert war, sollte ich 400 Euro in bar bezahlen", erzählt Mariana, "soviel Geld hatte ich nicht dabei."

Sie ist dann mit dem Taxi ins Krankenhaus gefahren und stand dort vor noch größeren Problemen: "Die verlangten 400 Euro für die Untersuchung, 300 Euro für die Behandlung und noch mal 400 Euro für Medikamente - im Voraus." Obwohl sich die junge Frau vor Schmerzen krümmte und kaum noch gehen konnte, bekam sie keine ärztliche Hilfe. Sie verließ das Krankenhaus und hätte es fast nicht überlebt.

Eine Kostenfrage

Ein Extremfall vielleicht, aber kein Einzelfall. Zwar sind Ärzte in Deutschland verpflichtet, Notfälle auch ohne Krankenversicherung zu behandeln, die Kosten können anschließend von den Sozialämtern erstattet werden. Doch was ein Notfall ist, darüber gehen die Einschätzungen oft auseinander. Vor allem bei Ausländern ohne Krankenversicherungskarte schalten viele Ärzte und Krankenhäuser sofort auf Abwehr - aus Angst, auf den Kosten sitzenzubleiben.

Auf zwei Krankenkassenkarten liegen ein 100-Euro-Schein und Tabletten (Foto: Fotolia)
Fehlt die Versichertenkarte, hilft in der Regel nur BargeldBild: Fotolia/PhotographyByMK

Dazu kommt noch die Unsicherheit, ob die Patienten bei der Ausländerbehörde gemeldet werden müssten. Denn das deutsche Ausländergesetz verlangte bis vor kurzem, dass Ärzte den Behörden mitteilen, wenn sie Menschen behandeln, die sich illegal in Deutschland aufhalten. Diese Vorschrift wurde zwar 2009 geändert und Ärzte können sich seither auch in diesen Fällen auf ihre Schweigepflicht berufen. Doch das Gesetz lässt offen, wie weit diese Schweigepflicht geht und ob auch medizinische Mitarbeiter von der Meldepflicht befreit sind.

Lieber krank als abgeschoben

Die Ethikkommission der Bundesärztekammer fordert deshalb von der Bundesregierung großzügigere Regelungen für die Behandlung ohne Krankenversicherung. "Es darf nicht sein, dass Menschen mit Migrationshintergrund aus Angst vor Abschiebung oder wegen eines fehlenden Versicherungsschutzes gar nicht oder zu spät einen Arzt aufsuchen", sagte Ulrich Clever, Menschenrechtsbeauftragter der Ärztekammer, am Donnerstag (02.05.2013) auf einer Pressekonferenz in Berlin.

Tanja Krones, die an einer Stellungnahme der Ethikkommission der Ärztekammer zu diesem Thema mitwirkte, schlägt eine staatliche Kostenübernahme vor, bei der die Ärzte die Identität der Patienten geheim halten können: "Ein Ansatz ist der anonyme Krankenschein, wie es ihn in skandinavischen Ländern bereits gibt." Wichtig sei vor allem, die Verbindung von Krankenbehandlung und möglicher Abschiebung wirksam zu durchbrechen.

Nach Einschätzung der Ethikkommission leben in Deutschland zwischen 200.000 und 600.000 Menschen ohne jeglichen Krankenversicherungsschutz. Dazu gehören etwa  "untergetauchte" Menschen im Abschiebeverfahren, abgelehnte Asylbewerber, Staatenlose, aber auch Kinder, deren Eltern keinen gesicherten Aufenthalt haben. Hinzu kommen EU-Bürger, vor allem aus Bulgarien und Rumänien, die keine Versicherung haben und illegal etwa auf einer Baustelle oder im Haushalt arbeiten.

Karitative Organisationen können nicht alle Lücken füllen

Zwar gibt es in vielen Städten inzwischen Ärzte und Organisationen wie Medinetz oder die Malteser Migranten Medizin, bei denen sich unversicherte Menschen anonym und umsonst behandeln lassen können. Doch gerade dort wird immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Menschen ohne Papiere zu lange zögern, bis sie Kontakt aufnehmen. "Da warten die Patienten oft, bis aus einem Husten eine Lungenentzündung wird", klagt Klaus Walraf von Malteser Deutschland, "die kommen oft erst, wenn Knochenbrüche schief zusammengewachsen sind und sie merken, dass sie ärztlichen Rat brauchen."

Ein Schild an der Praxistür weist auf die Arztpraxis der Malteser Migranten Medizin in Berlin hin (Foto: dpa)
Malteser Migranten Medizin in Berlin: "Patienten warten, bis aus einem Husten eine Lungenentzündung wird"Bild: picture-alliance/dpa

Mehr als 70.000 Behandlungen hat allein die Malteser Migranten Medizin in den letzen zwölf Jahren vermittelt, finanziert durch Spenden und ermöglicht durch die Bereitschaft von Ärzten, den Menschen am Rande der Gesellschaft zu helfen. Organisationen wie die Malteser füllen damit eine große Lücke im deutschen Gesundheitswesen.

Aber selbst die karitativen Einrichtungen erreichen bei weitem nicht alle, die es nötig hätten. Illegale Flüchtlinge, die etwa als Erntehelfer auf dem Land arbeiten, haben kaum eine Chance auf rechtzeitige Hilfe. Die Migrantenhilfswerke konzentrieren sich fast alle auf die großen Ballungsräume, auf dem Land sind die Menschen auf die normalen Arztpraxen angewiesen.

Dort gebe es oft eine große Scheu vor den Illegalen und ihren komplizierten Problemen, meint der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesärztekammer, Ulrich Clever: "Es ist der bürokratische, aber auch der emotionale Aufwand, der mit so einem Fall immer in die Praxis reingetragen wird." Viele Mediziner fühlten sich überfordert von der psychischen wie auch der wirtschaftlichen Belastung: "Wenn man durchstrukturiert und ökonomisiert die Praxis führen muss, wie das heute ja nun von uns verlangt wird, dann ist das eben störend." Viele Praxen versuchten deshalb, Ausländer ohne Krankenschein abzuwimmeln, hat Ulrich Clever beobachtet.

Ein vermeidbarer Tod

Fälle wie der von Mariana Santos, die trotz akuter Beschwerden von einem Karlsruher Krankenhaus einfach weggeschickt wurde, sind nach Ansicht der Ärtzekammer trotzdem die Ausnahme. Die junge Brasilianerin ist zwei Tage später in ihre Heimat zurückgeflogen, wo im Krankenhaus eine verschleppte Blasenentzündung diagnostiziert wurde. Die Entzündung hatte bereits die Nieren angegriffen: "Es war allerhöchste Zeit", erzählt Mariana, die inzwischen als Journalistin in Bonn lebt, "einen Tag später wäre alles zu spät gewesen."

Nicht alle haben soviel Glück. Der Menschenrechtsbeauftragte der Ärztekammer, Ulrich Clever, praktiziert als Gynäkologe in Freiburg. Er erzählt von einer Frau aus Mazedonien, deren Gebärmutterhalskrebs heilbar gewesen wäre. Doch niemand wollte für die Behandlung der Illegalen aufkommen. Dass er als Arzt den vermeidbaren Tod der Frau nicht verhindern konnte, ist  einer der Gründe, warum sich Clever so energisch für einen humaneren Umgang der deutschen Behörden mit Kranken ohne Krankenversicherung einsetzt.