1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Nordkorea ein Jahr nach Kim Jong Il

Esther Felden17. Dezember 2012

Ein Diktator, der sich volksnah gibt: Kim Jong Un hat in Nordkorea eine neue Ära eingeläutet. Seit dem Tod seines Vaters vor einem Jahr steht er an der Staatsspitze. Einiges hat sich verändert - aber nicht alles.

https://p.dw.com/p/16t2N
Der Diktator vor einer Tribüne mit Nordkoreanern (Foto:dapd)
Bild: Reuters

Am Mittwoch (12.12.2012) meldete Nordkorea seinen zweiten Raketenstart in diesem Jahr - diesmal als Erfolg. Das Zeitfenster sei nicht zufällig gewählt, meinen Experten. Es stehe im Zusammenhang mit dem ersten Todestag Kim Jong Ils am 17. Dezember, und auch mit den Präsidentschaftswahlen in Südkorea, die am 19. Dezember stattfinden. Die internationale Gemeinschaft verurteilt den Raketentest scharf, während Pjöngjang den erfolgreichen Start einer Trägerrakete feiert, die einen Wettersatelliten in eine Umlaufbahn gebracht habe.

Anfang August freute sich der neue Diktator Nordkoreas aus einem unschuldigeren Grund. Kim Jong Un strahlt über das ganze pausbäckige Gesicht, hält sich mit beiden Händen an den Sicherheitsbügeln des Karussells fest, das ihn gleich in den Himmel von Pjöngjang katapultieren wird: Im schwarzen Anzug sitzt Kim Jong Un in einer Fahrattraktion des einzigen nordkoreanischen Vergnügungsparks. Dann schüttelt er einer Kraken-Attrappe den Fangarm. Bilder wie diese sind keine Seltenheit, seit der neue Führer an der Macht ist. Kim Jong Un ist quasi ein Diktator zum Anfassen, er liest Kindern aus Büchern vor, lässt sich von jungen Soldatinnen feiern wie ein Popstar - und wird dabei gern gefilmt oder fotografiert. Und dann präsentierte er auch noch eine junge und attraktive First Lady an seiner Seite. So etwas hatte es in Nordkorea noch nie gegeben.

"Er ist ein ganz anderer Typ Mensch als sein Vater", sagt Rüdiger Frank, Ostasien-Experte an der Universität Wien. Er hätte vor dem Machtwechsel nicht erwartet, dass die Unterschiede zwischen dem verstorbenen Ex-Diktator Kim Jong Il und seinem Sohn und Nachfolger so gravierend sein würden. "Er lacht viel, scheut den körperlichen Kontakt zu seinen Bürgern nicht und spricht gern öffentlich - ganz anders als Kim Jong Il." Kim Jong Un habe nach dem überraschenden Tod seines 69-jährigen Vaters am 17. Dezember 2011 und seiner plötzlichen Machtübernahme schnell damit begonnen, eigene Akzente zu setzen.

Angekommen in der neuen Rolle?

Dabei hatte es nach dem Tod Kim Jong Ils viele Fragezeichen gegeben: Würde der Schätzungen zufolge noch nicht einmal 30-jährige und politisch unerfahrene Sohn es schaffen, die Geschicke des abgeschotteten Landes zu führen? Würde er das Machtvakuum füllen können? Selbst ein Zusammenbruch des Staates schien nach Ansicht einiger Experten nicht ausgeschlossen zu sein. Doch Kim Jong Un strafte die Zweifler Lügen. "Nordkorea steht heute innenpolitisch stabil da", resümiert Rüdiger Frank. Und der neue Führer habe in der kurzen Zeit seit seiner Amtsübernahme auch schon einiges an Profil gewonnen. "Insgesamt ist es schon überraschend, wie reibungslos der Übergang verlaufen ist, insbesondere, weil er ja auch kaum vorbereitet war."

Kim Jong Un und seine Frau im Vergnügungspark (Foto:dapd)
Mit Gattin Ri Sol Ju im einzigen nordkoreanischen VergnügungsparkBild: dapd

Mit einem eindeutigen Urteil ist der Ostasien-Experte dennoch vorsichtig. Trotz aller scheinbaren Offenheit wisse man nicht, was im Hintergrund vor sich gehe und ob der junge Diktator tatsächlich alle Fäden in der Hand habe oder nur der sichtbarste Teil eines Leitungsteams sei. Im Oktober gab es unbestätigte Meldungen über angebliche Säuberungsaktionen im Kreise der Führung, unter anderem soll der Vizeminister der Volksarmee hingerichtet worden sein. Rüdiger Frank hält es durchaus für möglich, dass die Gerüchte stimmen. "Es könnte sein, dass Personen, die dem Führer zu nahe gekommen sind, aus dem Weg geräumt wurden. Mittlerweile ist es nämlich durchaus so, dass neben Kim Jong Un auch noch eine Handvoll anderer Politiker an Einfluss gewonnen hat."

Seltene Eindrücke aus einem rätselhaften Land

Nach wie vor dringen wenig verlässliche Informationen über die Staatsgrenzen. Und es gibt kaum jemanden, der die Entwicklungen in Nordkorea aus nächster Nähe beobachten kann. Zu den wenigen Ausländern, die sich dauerhaft dort aufhalten, gehören die Mitarbeiter der Deutschen Welthungerhilfe. Seit mittlerweile fünfzehn Jahren engagiert sich die Organisation in dem bitterarmen und gleichzeitig militärisch hochgerüsteten Land, wo Millionen Menschen unter Hunger leiden. Nur ein Fünftel der nordkoreanischen Fläche ist überhaupt landwirtschaftlich nutzbar, aber die Böden sind ausgelaugt, Dürreperioden oder heftige Regenfälle verschärfen die Situation der rund 24 Millionen Nordkoreaner zusätzlich. Um die Bevölkerung ausreichend zu ernähren, müssten jedes Jahr zusätzlich 400.000 Tonnen Obst und Gemüse angebaut werden. Durch den Anbau alternativer Obst- und Gemüsesorten - neben dem traditionellen Hauptnahrungsmittel Reis - versucht die Welthungerhilfe, die chronische Nahrungsmittelknappheit zu bekämpfen.

Eine ältere Bäuerin mit Gänsen (Foto:dpa)
Besonders in den ländlichen Regionen herrschen Armut und UnterernährungBild: dpa / picture-alliance

Dabei arbeiten die Mitarbeiter eng an der Bevölkerung, berichtet Wolfgang Jamann, der Generalsekretär der Organisation. Er war nach seiner ersten Nordkorea-Reise in diesem Sommer überrascht, wie nah er den Menschen tatsächlich kommen und wie frei er sich im Land bewegen konnte. Besonders eindrücklich waren für Jamann Gespräche mit einfachen Bauern. "Es ist bestürzend zu sehen, wie sehr die Menschen in ihrer Lebenswelt gefangen sind, sie schaffen es kaum, sich dort geistig herauszubewegen." Die Perspektivlosigkeit der Landbevölkerung sei sehr bedrückend.

Großes Kim Jong Il-Porträt auf einer schwarzen Limousine wird durch das verschneite Pjöngjang gefahren (Foto:AP)
Am 28. Dezember 2011 wurde Ex-Diktator Kim Jong Il beigesetztBild: AP

Die fünf großen "M"

Anders habe er es in den Städten, insbesondere in Pjöngjang, empfunden, so Jamann weiter. "Dort habe ich viel mehr Dynamik gesehen. Die Menschen, mit denen ich gesprochen habe, waren relativ gut informiert über das, was in anderen Teilen der Welt passiert." Und fünf große "M" würden eine immer wichtigere Rolle spielen: "Mobiles, Maisonettes, Motors, Markets und Money". Jamann hat Nordkorea mit dem Eindruck verlassen, dass sich im Land gerade etwas tut. "Nordkorea ist offensichtlich nach dem Machtwechsel ein Stück in Bewegung gekommen. Wir haben privat- und marktwirtschaftliche Aktivitäten beobachten können. Es passiert etwas."

Auch Ostasien-Experte Rüdiger Frank bewertet die Chancen für Reformen positiv. Die Voraussetzungen seien so gut wie lange nicht mehr, denn Kim Jong Un brauche wirtschaftliche Erfolge für seine politische Legitimation. "Eben weil er nicht über Jahre hinweg zum Führer aufgebaut worden ist, muss er auf anderem Weg zeigen, dass er der richtige Mann an der Spitze ist. Und für die Bevölkerung steht wirtschaftlicher Erfolg ganz klar im Mittelpunkt."

Das Säbelrasseln geht weiter

Auch wenn der Stil Kim Jong Uns sich sehr von dem seines Vaters unterscheidet: In manchen Punkten führt er dessen Kurs fort. So geht das rhetorische Säbelrasseln mit Südkorea unvermindert weiter, der Konflikt mit dem verhassten Nachbarn im Süden hat an Schärfe nichts verloren. Vor dem nach eigenen Angaben erfolgreichen Raketentest im Dezember misslang jedoch der letzte im April 2012. Die Rakete explodierte kurz nach dem Start. Doch anstatt zu versuchen, den Fehlschlag herunterzuspielen, ging der junge Machthaber in die Offensive. "Kim Jong Un hat nichts vertuscht, sondern direkt reagiert", erklärt Rüdiger Frank. "Das nordkoreanische Fernsehen hat die Meldung bekanntgegeben und angekündigt, man werde es erneut versuchen."

Frau mit Protestplakat (Foto:Reuters)
Proteste gegen den nordkoreanischen Raketentest im Frühjahr in SeoulBild: dapd

Nordkorea ein Jahr nach dem Tod von Kim Jong Il: ein Land, das sich unter der selbstbewussten Führung des neuen Machthabers anscheinend verändert - zumindest in einigen Bereichen. Wohin der Weg letztendlich führen wird, ist unklar.