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"Ausbeutung auf WM-Baustellen"

Stephanie Höppner28. September 2013

Auf Baustellen für die Fußball-WM in Katar sollen in diesem Jahr mehr als hundert Gastarbeiter ums Leben gekommen sein. Tim Noonan vom Internationalen Gewerkschaftsbund fordert im DW-Interview die FIFA zum Handeln auf.

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Ein asiatischer Arbeiter mit blauem Schutzhelm steht auf einer Baustelle in Doha, der Hauptstadt von Katar. - Foto: Arno Burgi (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Laut eines Berichts der britischen Tageszeitung "Guardian" sind in Katar allein in den vergangenen zwei Monaten 44 nepalesische Gastarbeiter auf Baustellen für die Fußball-Weltmeisterschaft ums Leben gekommen. Viele andere müssen unter unwürdigen Bedingungen arbeiten. Können Sie das bestätigen?

Tim Noonan: Alles, was wir aus jahrelangen Recherchen über Katar wissen, zeigt, dass der Guardian recht hat. Das Problem hat mehrere Seiten: Zum einen hat Katar kein richtiges Arbeitsrecht für Migranten. Sie dürfen sich nicht gewerkschaftlich organisieren. Sie haben auch kein Recht auf Tarifverhandlungen. Zum anderen gibt es keine effektiven Schutzmaßnahmen für sie. Das heißt: Mehr als eine Million Gastarbeiter aus Ländern wie Nepal, Indien und anderen südasiatischen Ländern, aber auch zunehmend aus Afrika und Zentral-Asien, sind schrecklicher Ausbeutung ausgesetzt. Wir wissen aus offiziellen Quellen, etwa von den indischen und den nepalesischen Botschaften in Katar, dass mindestens 400 Arbeiter jedes Jahr in Katar sterben.

Wie kommt es zu den Todesfällen?

Die Arbeiter sterben aufgrund der schrecklichen Arbeitsbedingungen und den extrem schlechten hygienischen Zuständen in den Lagern, die sich häufig in einem ekelerregenden Zustand befinden und sich kaum als menschliche Behausung eignen. Die Arbeiter müssen viele Stunden bei über 50 Grad Hitze arbeiten und bekommen manchmal noch nicht einmal Wasser zu trinken. Das ist eine absolute Schande! Und unsere Sorge ist: Wenn sich bis zum Start der Fußball-WM 2022 nichts ändert, werden mindestens 4000 Arbeiter vermutlich ihr Leben verlieren.

Es wird auch von moderner Sklaverei gesprochen. Können Sie das näher erläutern?

Das System gibt die komplette Macht an die Unternehmer ab. Wenn die Gastarbeiter in Katar ankommen, werden sie praktisch zum Eigentum der Arbeitgeber. Das sogenannte Kafala-System, eine spezielle Form der Bürgschaft in den Golfstaaten, bedeutet, dass jeder Gastarbeiter das Land nicht ohne Erlaubnis des Arbeitgebers verlassen darf. Sie dürfen auch ihren Job nicht wechseln, solange sie keine Zustimmung des Arbeitgebers erhalten. Das heißt, sie sind als Arbeiter machtlos. Und es gibt Dutzende Fälle - im Baustellensektor, bei Frauen, die als Hausangestellte arbeiten oder sogar bei internationalen Fußballern. Sie müssen in Katar bleiben, einfach weil der Arbeitgeber ihnen die Ausreise verweigert. Der nepalesische Botschafter wurde erst diese Woche mit den Worten zitiert, Katar sei ein "offenes Gefängnis." Und es ist absolut nicht akzeptabel, dass dieses System einfach weiter bestehen darf in einem Land, das in nur acht Jahren die Fußballweltmeisterschaft ausrichten möchte.

Tim Noonan, Kommunikations-Direktor bei der International Trade Union Confederation ITUC - Foto: privat
"Schrecklicher Ausbeutung ausgesetzt": Tim Noonan vom Internationalen GewerkschaftsbundBild: privat

Wo kommen die meisten Gastarbeiter her?

Die meisten kommen aus sehr armen Gegenden in Ländern wie Nepal, Indien, Sri Lanka, Pakistan, den Philippinen - hauptsächlich also aus Süd- und Südostasien. Folgendes passiert: Die Arbeiter - meistens junge Männer - werden unter Vortäuschung falscher Tatsachen nach Katar gebracht. Ein lokaler Migrations-Vermittler macht einem jungen, vielleicht auch wenig gebildeten Mann aus einem Dorf in Nepal ein Versprechen. Er erklärt ihm, dass er Geld für seine Familie verdienen und ihr so eine wunderbare Zukunft ermöglichen kann. Wenn sie dann nach Katar kommen, stellen sie fest, dass die Realität komplett anders ist. Und sie haben keinen Ansprechpartner, um diese Diskriminierung anzusprechen. Wenn sie den Fall vor Gericht bringen, kann es Monate bis Jahre dauern, bis es zu einem Ergebnis kommt. Es ist eine untolerierbare Situation.

Was fordern sie deshalb?

Wir fordern, dass Katar Arbeitsvermittlungsagenturen akzeptiert, die international mit vernünftigen Standards arbeiten. Wir bestehen darauf, dass Katar sein Migrationssystem ändert und die Kafala-Kontrolle abschafft. Auch im Bereich Arbeitsrecht müsste sich die Gesetzgebung ändern. Ebenso brauchen wir eine effektive Arbeitsplatzkontrolle sowie Gesetze, die Arbeiter vor Tod und Verletzungen schützen. Und wir fordern, dass Unternehmen, die in Katar tätig werden wollen oder es schon sind, sich schnell mit den internationalen Gewerkschafts-Verbänden zusammensetzen. Auch für Katars Behörden gibt es Verpflichtungen: Wir drängen sie nun schon seit zwei Jahren - bisher haben sie nichts wirklich getan. Auch der Weltfußballverband FIFA steht in der Verantwortung.

Wie reagiert die FIFA auf ihre Forderungen?

Wir haben das Thema im November 2011 erstmals in der Intensität angesprochen. Die FIFA hat dann auch öffentlich ihre Sorge um die Rechte der Arbeiter zum Ausdruck gebracht, aber seitdem hat sich nichts getan. Es ist nun gut 600 Tage her, seitdem wir das Problem der FIFA mitgeteilt haben - und im Schnitt wird an jedem dieser 600 Tage ein Arbeiter ums Leben gekommen sein. Die FIFA muss sich jetzt bewegen und das mit Bestimmtheit. Der Weltfußballverband muss an Katar die Botschaft senden, dass dieses Land nur dann Gastgeber der WM 2022 sein darf, wenn das Land diese fundamentalen Rechte respektiert.

Tim Noonan ist Kommunikations-Chef beim Internationalen Gewerkschaftsbund ITUC mit Sitz in Brüssel. Der ITUC vertritt nach eigenen Angaben die Rechte von Arbeitnehmern in mehr als 150 Ländern.

Das Gespräch führte Stephanie Höppner.