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"Mindestens fahrlässige Tötung"

20. April 2010

Der Berliner Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck kritisiert die Entscheidung der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, das Verfahren gegen Oberst Klein einzustellen. Er vertritt die Angehörigen von 79 in Kundus Verstorbenen.

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Wolfgang Kaleck
Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck

Der Berliner Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck hat einige Male in den letzten Jahren Schlagzeilen gemacht. So versuchte er - vergeblich - bei der Bundesanwaltschaft Ermittlungen gegen den damaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wegen der Folter im Gefängnis von Abu Ghraib zu erreichen. Derzeit vertritt er die Angehörigen von Opfern des Luftangriffs bei Kundus. Er will Beschwerde einreichen gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den deutschen Oberst Klein, der den Befehl zur Bombardierung gab.

DW-World.DE: Herr Kaleck, Sie wollen Beschwerde gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Oberst Klein einreichen. Warum?

Beschwerde reichen wir deshalb ein, weil wir davon ausgehen, dass das Verhalten von Oberst Klein strafbar war, dass es mindestens eine fahrlässige Tötung darstellt. Und Beschwerde reichen wir außerdem ein, weil unsere Verfahrensrechte einfach missachtet wurden. Wir haben keine Akteneinsicht bekommen, wir haben keine Gelegenheit bekommen, zur Sach- und Rechtslage vorzutragen und das sind alles nicht hinnehmbare Rechtsverstöße.

DW-WORLD.DE: Zum inhaltlichen Aspekt: Warum sind Sie anderer Meinung als die Bundesanwaltschaft?

Also erstens wissen wir ja nicht genau, welcher Meinung die Bundesanwaltschaft überhaupt ist. Wir haben eine vierseitige Presseerklärung, der nicht fürchterlich viel zu entnehmen ist. Wir gehen davon aus, dass der Bombenangriff von Kundus vielfältige Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht enthält und damit ist es natürlich auch strafrechtlich relevant, und das finden wir in der Presseerklärung überhaupt nicht reflektiert. Also wir wissen ja jetzt, dass da Zivilisten vor Ort waren. Wir wissen auch, wenn Oberst Klein die Vorsichtsmaßregeln eingehalten hätte, die das humanitäre Völkerrecht vorsieht, dass dann nichts passiert wäre. Und das ist mindestens eine Fahrlässigkeit. Mehr können wir im Moment noch nicht sagen, weil wir noch nicht mehr wissen über den Sachverhalt.

DW-WORLD.DE: Sie beklagen, dass Sie keine Gelegenheit hatten, die Akten einzusehen und Stellung zu nehmen. Ist das eigentlich ungewöhnlich?

Das ist deshalb ungewöhnlich, weil die Bundesanwaltschaft normalerweise korrekt arbeitet. Das heißt, auch mit Verteidigern oder Opferanwälten sehr korrekt umgeht. Deswegen wundert mich das. Ich habe im Moment keine Erklärung dafür und möchte nicht darüber spekulieren, woran es gelegen hat. Es ist aber nun mal ein Faktum.

DW-WORLD.DE: Wie ist denn der rechtliche Weg, eine Wiederaufnahme zu erreichen?

Naja, das Problem, das sich hier darstellt: Es waren Ermittlungen der Bundesanwaltschaft nach dem Völkerstrafgesetzbuch, und in der Regel stellt sich die Bundesanwaltschaft auf den Standpunkt, dass diese Entscheidungen gar nicht mehr anfechtbar sind. Wir gehen aber davon aus, dass die Kombination von eklatanten Verstößen gegen die grundsätzlichen Verfahrensrechte und einer sehr problematischen inhaltlichen Entscheidung, dass das dann auch eben von der Bundesanwaltschaft selber oder von der nächst höheren Instanz, also dem Oberlandesgericht, gesehen wird und dass dann tatsächlich noch einmal Ermittlungen aufgenommen werden. Denn eines ist klar: nach unserer Auffassung sind wir am Anfang von Ermittlungen, im Anfangsstadium, und es geht jetzt nicht darum, festzustellen, das und das ist passiert, gegen die und die Gesetze ist verstoßen worden. Sondern wir gehen davon aus, dass da noch ganz schön etwas an Ermittlungsarbeit zu tun ist. Zum Beispiel verstehen wir auch nicht, dass die Arbeit des Untersuchungsausschusses nicht abgewartet wird.

DW-WORLD.DE: Nun widmet sich der Parlamentausschuss weniger den Geschehnissen in Afghanistan sondern eher dem Umgang damit in Deutschland ...

Da haben Sie leider Recht, dass es da mehr um politische Hygiene geht oder darum dass die eine oder andere Partei aus der Opposition die Regierung möglicherweise in die Pfanne hauen kann. Nichtsdestotrotz werden natürlich auch Beweiserhebungen zu dem Geschehen selbst in Kundus durchgeführt werden. An dem Punkt ist der Untersuchungsausschuss noch gar nicht. Problematisch ist nur, dass die Bundesanwaltschaft sagt, es kommt ausschließlich auf die subjektive Einschätzung von Oberst Klein an. Natürlich kommt es auf die auch an, wir sind immerhin im Strafverfahren und da kommt es - egal nach welchem Straftatbestand - immer auch darauf an, was Oberst Klein gewusst hat, was er gewollt hat oder was er hätte wissen können. Aber es muss doch mal objektiv die Sachlage aufgeklärt werden und dazu müssen zum Beispiel auch die Augenzeugen, die vor Ort waren, gehört werden. Und das ist eben nicht passiert, und das halten wir für einen groben Mangel.

DW-WORLD.DE: Sie vertreten ja Angehörige von Opfern des Luftangriffs. Wie viele und mit welchem Ziel?

Also die Kollegen Bernhard Docke aus Bremen und der Kollege Karim Popal sind ja schon wesentlich länger in dem Mandat und ich bin erst vor kurzem dazu gekommen. Insgesamt vertreten wir die Familienangehörigen von 79 bei dem Angriff Verstorbenen. Da geht es zum einen natürlich um das Strafverfahren gegen Oberst Klein und andere. Aber es geht natürlich auch darum, ob eine Entschädigung bezahlt wird, und beides hängt natürlich zusammen.

DW-WORLD.DE: Nun hat ja das Bundesverteidigungsministerium die Verhandlungen abgebrochen mit einem der Anwälte, Herr Popal. Wie ist denn der gegenwärtige Stand?

Das ist der Stand. Nur ist es ja so, dass das deutsche Verfahrensrecht immer auch die Möglichkeit von Verhandlungen vorsieht. Klar ist, dass das jeder streitigen und jeder gerichtlichen Auseinandersetzung vorzuziehen ist, weil gerichtliche Auseinandersetzungen sich meistens über mehrere Instanzen und mehrere Jahre hinziehen. Aber wenn es sich nicht vermeiden lässt, wird sicherlich auch zu prüfen sein, ob man hier die Gerichte anruft. Und dann steckt man in einem zwar rechtlich sehr interessanten, für die Opfer aber sehr langwierigen Rechtsstreit. Aber da ist aus meiner Sicht auch das letzte Wort noch nicht gesprochen.

DW-WORLD.DE: Bezieht sich dieser Abbruch der Verhandlungen nur auf einen der Anwälte oder auf alle drei?

Ich bin bisher an Verhandlungen noch gar nicht beteiligt gewesen. Wir stellen zur Zeit ein erweitertes Juristenteam zusammen, und das wird noch die eine oder andere Woche in Anspruch nehmen. Dann werden die Kollegen, die für das Zivilverfahren zuständig sind, sich noch einmal an das Verteidigungsministerium wenden, und dann wird man sehen, wie die reagieren.

Interview: Bernd Grässler
Redaktion: Silke Wünsch