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NIger gegen Boko Haram

Julia Hahn9. Februar 2015

Erst Tschad, jetzt Niger: Das Parlament des westafrikanischen Landes hat den Weg frei gemacht für Militäraktionen gegen Boko Haram auf nigerianischem Boden. Doch die Islamisten sind besser aufgestellt als bisher bekannt.

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Soldaten im Übungseinsatz in Niger (Foto: REUTERS/Joe Penney)
Bild: Reuters

Die Fischer trauen sich nicht mehr zum See, viele Bauern nicht mehr auf die Felder, Schulen sind geschlossen. Die Menschen in den Grenzorten Diffa und Bosso, im Süden von Niger, haben Angst. Angst vor den selbsternannten Gotteskriegern von Boko Haram, die jetzt auch die Sicherheit in ihrem Land bedrohen. "Das sind doch Barbaren, die keine Gesetze kennen. Sie stehlen, töten, vergewaltigen", sagt Abdou Lokoko, der für eine Nichtregierungsorganisation im Niger arbeitet.

Erstmals haben die Terroristen aus Nordnigeria in den vergangenen Tagen auch Ziele auf der nigrischen Seite der Grenze attackiert: Am Montag sollen sie ein Gefängnis in der 60.000-Einwohner-Stadt Diffa angegriffen haben. Das Militär hat die Kämpfer nach eigenen Angaben zurückgedrängt, kurz darauf folgten neue Meldungen von Bombenexplosionen. Bei ähnlichen Attacken vergangene Woche in Diffa und Bosso sollen mehr als hundert Islamisten getötet worden sein, auch mehrere Soldaten und ein Zivilist kamen ums Leben.

Karte Nigeria Niger Boko Haram (Grafik: DW)

"Wir haben Beweise dafür, dass Boko Haram schon seit 2012 in Niger operiert. Damals wurden einige Kämpfer vom nigrischen Geheimdienst festgesetzt, in der Region Zinder und auch in Diffa", sagt Analyst Ryan Cummings. Er arbeitet für den südafrikanischen Sicherheitsberater red.24 und ist Teil des Nigeria Security Networks. Niger hat bereits im Dezember zusätzliche Truppen in die Grenzregion nach Diffa verlegt.

Eine ganze Armee von Terroristen

Jetzt hat das Parlament in Niamey grünes Licht für einen Kampfeinsatz gegen Boko Haram auf nigerianischem Boden gegeben. Erst am Wochenende hatten sich die Regierungen von Kamerun, Tschad , Niger, Nigeria und Benin darauf geeinigt, eine 8700 Mann starke Eingreiftruppe aufzubauen. Sie haben damit die zunächst von der Afrikanischen Union (AU) genannte Zahl von 7500 Soldaten aufgestockt und auch Polizisten und Zivilisten eingeplant. Tschadische Soldaten kämpfen bereits seit Januar in der Grenzregion. Auch Kamerun hat aufgerüstet. "Wer Frieden will, muss den Krieg vorbereiten", sagt der Nigrer Abdou Lokoko, der sich mit seiner NGO sonst eigentlich dem Kampf für mehr Bildung verschrieben hat. "Wenn wir nicht endlich etwas tun, dann werden sie uns weiter angreifen. Unsere Soldaten sind mutig und engagiert. Möge Gott sie unterstützen."

Gottvertrauen allein wird den Truppen nicht helfen. Neuen Erkenntnissen der US-Geheimdienste zufolge kämpfen 4000 bis 6000 Milizionäre in den Reihen von Boko Haram. In den Gebieten unter ihrer Kontrolle hätten die Islamisten ein Netzwerk aus 30 Städten und Dörfern, in die sie sich unbehelligt zurückziehen könnten. Die Zahlen überraschen den Sicherheitsexperten Ryan Cummings nicht. Er rechnet damit, dass es sogar noch mehr Kämpfer gibt. "Das sind wohl nur die gut ausgebildeten Radikalen in der Gruppe. Es gibt sicher noch zusätzliche Kämpfer, die zwangsrekrutiert oder bezahlt werden. Es wird viel darüber spekuliert, dass Boko Haram bewaffnete Gangs anheuert."

Nigerianisches Militär mit Artillerie von Boko-Haram (Foto: EPA/STR)
Die Terroristen von Boko Haram sind schwer bewaffnet, wie diese Fundstücke in Nigeria zeigenBild: picture-alliance/dpa

Aus der Terrorgruppe ist also längst eine Armee geworden. Und die hat einen Anführer, der sich gern lautstark in der Öffentlichkeit präsentiert. In einem jetzt veröffentlichten Video schwört Abubakar Shekau seine Anhänger darauf ein, die multinationale Anti-Terrortruppe zu besiegen. "Wir schnappen uns einen nach dem anderen", droht Shekau mit Blick auf die beteiligten Länder. Und doch könnte der gemeinsame Einsatz der afrikanischen Staaten Erfolg haben, glaubt Cummings. "Die Gruppe wäre dann zum ersten Mal gezwungen an mehreren Fronten gleichzeitig zu kämpfen. Bislang hat Boko Haram die nigerianische Armee von Westen her bekämpft. Mit kamerunischen, nigrischen und tschadischen Truppen müssen sie jetzt auch im Osten und Norden fertig werden. Das erfordert Ressourcen: Manpower, Waffen, Ausrüstung. Das stellt die Gruppe vor massive Herausforderungen und könnte sie erheblich schwächen", so Cummings.

Aber die multinationale Eingreiftruppe steht noch vor großen Herausforderungen: das gegenseitige Misstrauen der Staaten, die Streitigkeiten um die ressourcenreiche Region am Tschad-See sind nur einige Hindernisse. Auch die Finanzierung ist noch nicht geklärt. Die UN wollen sich logistisch beteiligen, die AU hat noch keine Entscheidung gefällt.

Keine Wahlen wegen Terror

Nigerias nationale Wahlkommission (INEC) ließ unterdessen am Wochenende die für den 14. Februar geplanten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen um sechs Wochen verschieben - offiziell wegen Terrorgefahr. Die Opposition hat die Entscheidung kritisiert und hält den Grund für vorgeschoben. Und trotzdem: Auch Präsident Goodluck Jonathans wichtigster Herausforderer Muhammadu Buhari erkennt die prekäre Sicherheitslage an. "Unser Land geht durch eine schwierige Zeit des Terrors", sagte Buhari vor Anhängern. Jede Gewalttat diene nur denen, die dem demokratischen Prozess im Land schaden wollten.

Die Regierung Jonathan kündigte jetzt an: Alle Stellungen der Terroristen würden binnen der sechs Wochen aufgelöst, Boko Haram quasi der Gar ausgemacht. "Ich bin extrem skeptisch, dass das gelingen kann", sagt Ryan Cummings. 20 der 27 lokalen Verwaltungseinheiten im Bundesstaat Borno würden von Boko Haram kontrolliert, auch in Adamawa und Yobe sind die Terroristen auf dem Vormarsch, dazu kommen die Angriffe auf Kamerun und jetzt auch Niger. "Es heißt, Boko Haram kontrolliert 30.000 Quadratkilometer. Das ist eine Fläche fast so groß wie Belgien", gibt Analyst Cummings zu bedenken. Und selbst ein radikaler Schlag gegen die Islamisten würde nicht automatisch bedeuten, dass die Gewalt aufhöre und die Sicherheit zurückkomme.

Flüchtlingsfamilie aus Nigeria bei Diffa Niger (Foto: DW/Larwana Malam Hami)
Flüchtlinge aus Nigeria in Niger: notdürftige UnterkünfteBild: DW/Larwana Malam Hami