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Erinnerungskultur im Fußball

Heike Mund17. Oktober 2014

Von Fans wiederentdeckt: der jüdische FC Bayern-Präsident Kurt Landauer. Die Ultras von der Schickeria München bekamen dafür einen Preis. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach hält Erinnerungskultur im Fußball für wichtig.

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DFB Julius-Hirsch-Preis 2014 Schickeria München
Bild: picture-alliance/dpa/Fredrik von Erichsen

DW: Herr Niersbach, was bedeutet es für Sie als DFB-Präsident persönlich, dass durch den Namen Kurt Landauer das Kapitel "Die Juden und der deutsche Fußball" aktuell eine so breite Öffentlichkeit bekommen hat?

Wolfgang Niersbach: Das ist von uns auch gewollt. Wir wollen immer wieder zeigen, wo wir stehen mit unserer Grundhaltung zu diesen Themen: für absolute Toleranz. Wir wollen gerade die nachfolgenden Generationen daran erinnern, was in deutschem Namen vor 70 Jahren, also zwischen 1933 und 1945, passiert ist. Deshalb sind wir fast in jedem Jahr mit unseren Juniorenmannschaften in Israel. Wir konfrontieren sie dort mit den Dingen, die in der Gedenkstätte Yad Vashem ausgestellt sind. Und sie sollen nach Hause gehen und erzählen: was wir da erlebt haben, das war erschütternd und das darf nie mehr passieren. Nie wieder! (DFB-Initiative zur Erinnerung an die Verbrechen der Nazi-Zeit, Anmerk. d. Redaktion) Und wenn das dann im Freundeskreis und im sozialen Umfeld so weitergetragen wird, dann ist das für uns ein Erfolg.

DW: Der Julius-Hirsch-Preis wird jedes Jahr an Menschen verliehen, die sich besonders für Toleranz und gegen Rassimus engagieren. Welchen Stellenwert hat das für den deutschen Fußball und den DFB?

Der Preis existiert ja bereits seit 10 Jahren. Es gibt darüber hinaus auch eine wissenschaftliche Ausarbeitung über den Fußball und die deutsche Verbandsgeschichte in der Nazizeit. Aber durch die Ereignisse in diesem Jahr, als im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen Israel und Palästina - man muss fast sagen - wieder ein Judenhass entstand, sehen wir uns als Verband, der immerhin 6,1 Millionen Mitglieder hat, in der Verpflichtung hier klar Flagge zu zeigen.

Julius Hirsch Preis 2013 Verleihung in Köln
Namengeber für den Preis: der deutsche Nationalspieler Julius Hirsch, von den Nazis ermordet.Bild: Martin Rose/Bongarts/Getty Images

DW: Ist das auch eine späte Wiedergutmachung gegenüber dem FC-Bayern-Präsidenten Kurt Landauer? Seine jüdische Geschichte ist lange im Dunkeln geblieben. Wie sehen Sie das?

Eine wirkliche Wiedergutmachung ist ja nicht möglich. Das sind 6 Millionen Einzelschicksale, vielleicht auch noch mehr. Aber unsere heutige Betroffenheit, die kommt in diesem Fall vom Fußball her, weil es Männer waren, die für unsere Nationalmannschaft gespielt haben. Und die für unsere Vereine großartiges geleistet haben. Ein Mann wie Walter Benseman, der Herausgeber des "Kicker", der mit bei der Gründung des DFB dabei war, auch er war Jude. Diese Leute sind geächtet und vertrieben worden. Die Brücke zur Gegenwart ist einfach dieses: Nie Wieder! Und dazu bekennen wir uns als Deutscher Fußballverband.

DW: Was sendet das für ein Signal ins Ausland, vor allem an junge Leute in anderen Länder, dass sich der DFB so intensiv mit diesem Kapitel deutscher Geschichte beschäftigt?

Fußball ist ein Spiegel der Gesellschaft. Alle Themen, die uns hier in Deutschland mitten in der Gesellschaft beschäftigen, die spielen sich bei uns in den Vereinen ab: Integration zum Beispiel. Die beste Integration ist die, über die man gar nicht spricht. Ist doch völlig egal, um ein aktuelles Beispiel zu nennen, welche Hautfarbe Karim Bellarabi hat. Ist doch egal, dass er auch für Marokko oder für Ghana hätte spielen können: er hat sich für Deutschland entschieden. Und das akzeptieren wir und sind froh darüber. Er wäre genauso akzeptiert als Profi in der Bundesliga, wenn er sich für Marokko entschieden hätte. Und er hat gesagt, er singt mit Inbrunst die deutsche Nationalhymne mit, weil er in Deutschland geboren ist. Eine bessere Integration gibt es nicht.

FC Bayern München Fan Choreographie
Die Stadion-Choreographie der Schickeria für Kurt Landauer beim Spiel am 2.2.0214 in MünchenBild: picture-alliance/dpa/Frank Hoermann/Sven Simon

DW: Philipp Lahm hat das Vorwort zu der neuen Biografie über Kurt Landauer geschrieben. Ist das auch ein Zeichen, dass er als Spieler der jüngeren Generation diesen Teil der deutschen Fußball-Geschichte wichtig nimmt?

Ich persönlich finde es hochinteressant sich mit Geschichte und auch mit Fußball-Geschichte zu befassen. Wenn man das auch auf nachfolgende, jüngere Generationen übertragen kann, dann ist das genau das, was wir uns vom DFB wünschen. Das kann man nicht anordnen. Der Wunsch muss von den Spielern selbst entwickelt und auch umgesetzt werden. Und Philipp Lahm ist 30 Jahre alt geworden und wenn er sich dann an einen Mann erinnert, der den FC Bayern 1932 zur ersten Deutschen Meisterschaft geführt hat, dann ist das etwas wunderbares, was man nur begrüßen kann.

Das Interview führte DW-Reporterin Heike Mund bei der Verleihung des diesjährigen Julius-Hirsch-Preises in Gelsenkirchen.