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Ein kurdischer Frühling

Felix Gaedtke / Gayatari Parameswaran3. Juni 2013

Seit dem Beginn des Aufstands gegen das Assad-Regime hat sich für die syrischen Kurden viel verändert. Politisch, militärisch und kulturell selbstbewusster denn je kämpfen sie für ihre Rechte.

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Syrische Kurden. (Foto: AFP)
Syrische KurdenBild: AFP/Getty Images

Es ist ein lauer Donnerstagabend in Derik, einer mehrheitlich kurdischen Stadt an der syrischen Grenze zur Türkei und dem Irak. Einige hundert Menschen sind in das lokale Kulturzentrum gekommen. Auf der Tagesordnung steht Politik.

Politisches Erwachen

Asya Muhammed Abdullah steht am Rednerpult und spricht energisch. Sie ist Vizevorsitzende der Demokratischen Unions Partei (PYD), dem syrischen Arm der kurdischen Arbeiterpartei PKK. Ihre Augen glühen voller Tatendrang, als sie die Zuhörer auffordert, für ihre Rechte zu kämpfen.

Asya Muhammed Abdullah. (Foto: DW/Felix Gaedtke)
PYD-Politikerin Asya Muhammed Abdullah fordert mehr Rechte für syriosche KurdenBild: DW/Felix Gaedtke

Vor der syrischen Revolution waren solche Treffen undenkbar. Asya Muhammed Abdullah erklärt: "Seit 30 Jahren kämpfen wir syrische Kurden für unsere Rechte. Aus diesem Grund sind viele unserer Freunde verhaftet und vom Regime zu Tode gefoltert worden." Die Baath-Partei hat den Kurden jegliche Grundrechte verweigert. In den 1960er Jahren wurden 20 Prozent der zwei Millionen Kurden in Syrien die Staatsbürgerschaft aberkannt.

Eine Machtverschiebung

Die Revolution hat Syrien verändert. In den Anfängen der Revolte hat Assad den staatenlosen Kurden ihre Staatsbürgerschaft zurückgegeben. Er wollte so sicherstellen, dass es in den kurdischen Regionen nicht auch zu Aufständen kommt. Aus taktischen Gründen wurde ein Teil der syrischen Armee aus den kurdischen Gebieten abgezogen und anderswo eingesetzt.

"Mit der Revolution kam ein Wechsel. Wir haben nicht bei 'Null' begonnen, wir sind auf die Lösung der Kurdenfrage vorbereitet", sagt Asya Muhammed Abdullah. So haben die kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG, der militärische Arm der PYD, mit Unterstützung der PKK große Teile der kurdischen Gebiete unter ihre Kontrolle gebracht. "Wir glauben an ein demokratisches Modell für ganz Syrien. Die Demokratie ist die politische Lösung für Syriens Probleme. Wir wollen Syrien nicht spalten, wir glauben daran, als Brüder in einem demokratischen Syrien leben zu können", versichert Asya Muhammed Abdullah. In der Zwischenzeit verhandeln die PKK und die türkische Regierung auf der anderen Seite der Grenze. Dies hat einen entscheidenden Einfluss darauf, was in den kurdischen Teilen Syriens passiert: Gerade militärisch und wirtschaftlich könnten die Kurden von einer teilweisen Öffnung der Grenze profitieren.

Militärische Präsenz

Entlang der Hauptstrasse in die inoffizielle Hauptstadt der kurdischen Gebiete Qamishlo hat die YPG Checkpoints eingerichtet. Bewaffnete junge Männer und Frauen kontrollieren jedes einzelne Fahrzeug. Die Barrikaden auf der Straße sind meist rot-gelb-grün gestrichen - in den Farben der Kurden. Nur im Stadtzentrum und in einigen Stadtvierteln sind noch Soldaten der Regierung auf Patrouille.

Überwiegend ist das Land unter der Kontrolle der YPG, und doch gibt es arabische Dörfer, in denen die Regierung oder Gruppen der Freien Syrischen Armee (FSA) das Sagen haben.

Noch komplizierter ist es in der Grenzstadt Ras Al Ain. "Sere Kaniye" heißt sie auf kurdisch. Hier sind Regierungstruppen, YPG, FSA sowie die islamistische Al-Nusra-Miliz präsent. Doch der dortige YPG-Kommandant Rezan Ibrahim gibt sich zuversichtlich: "Wir sind gegen das Blutvergießen und den bewaffneten Kampf in Syrien, doch die jetzige Situation zwingt uns dazu, Waffen zu tragen. Wenn eine Regierung in der Zukunft den Kurden alle Rechte gibt, werden wir teilhaben und sie unterstützen." Dann fügt er hinzu: "Sollten Sie uns unsere Rechte allerdings verweigern, werden wir mit Waffen dafür kämpfen."

YPG-Kämpfer in Syrien. (Foto: DW/Gayatri Parameswaran)
YPG-Kämpfer wollen die Rechte der Kurden mit Waffengewalt durchsetzenBild: DW/Gayatri Parameswaran

Kulturelle Wiederbelebung

Unter Assad war es den Kurden verboten, ihre Sprache zu sprechen und ihr traditionelles Neujahrsfest Nowruz öffentlich zu feiern. Durch den Zuwachs an politischer und militärischer Macht kommt es nun zu einer Renaissance der kurdischen Kultur.

Das Kultur- und Musik-Zentrum "Mohammad-Shekho" in Qamishlo gibt es seit eineinhalb Jahren. Jeden Abend kommen dutzende Jugendliche, um kurdischen Tanz oder Gesang zu lernen. Hussain Khate, ein junger kurdischer Sänger, kommt zweimal pro Woche.

Er streicht heraus, wie dramatisch sich die Situation verändert hat: "Vor der Revolution war die Situation schrecklich. Wir mussten heimlich zuhause üben - was nicht nur verboten, sondern auch gefährlich war", erzählt er. "Seit Anfang der Revolution sieht es besser aus. Wir können hier im Zentrum gemeinsam proben. Es fühlt sich gut an. Für uns ist es wunderschön, in unserer Sprache sprechen und singen zu können.“

Zivilisten leiden

Doch nicht alles verläuft so positiv - der Krieg macht sich bemerkbar. Stromausfälle sind weit verbreitet. Der Müll türmt sich auf den Strassen. Die Preise für Grundnahrungsmittel sind in den letzten zwei Jahren merklich gestiegen. Medizinische Versorgung ist schwierig, da die meisten Ärzte das Land verlassen haben. Die Schulen bleiben aus Sicherheitsgründen großteils geschlossen.

Ein Mosaik verschiedener politischer Gruppierungen erschwert die Situation für die Zivilisten. Die Sicherheitslage ist komplex und oft schwer zu überblicken.

Die 26-jährige Zivilistin Nasrin Hamid mit ihrem Sohn. (Foto: DW/Felix Gaedtke)
Hat ihr Haus verloren: Die 26-jährige Zivilistin Nasrin Hamid mit ihrem SohnBild: DW/Felix Gaedtke

Keine falsche Hoffnung

In den letzten Monaten gab es einige Luftangriffe der Regierung in den kurdischen Gebieten. Nasrin Hamid, eine 26-jährige Mutter von drei Kindern, hat so ihr Haus in Sere Kaniye verloren. "Drei meiner Nachbarn wurden getötet, und zwei Cousins, die mit der YPG kämpfen, wurden verwundet. Gott sei Dank wurde in meiner Familie niemand getroffen. Wir hungern, es gibt weder Wasser noch Strom. Alles ist kaputt. Wir haben kein Geld, um auch nur irgendetwas vom Markt zu kaufen", klagt sie.

Nasrim blickt pessimistisch in die Zukunft. Sie will sich trotz der positiven Entwicklungen für die Kurden keine falschen Hoffnungen machen - nicht zuletzt aus Angst, enttäuscht zu werden.