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Flüchtlingsdrama im Mittelmeer

Sabrina Pabst10. Februar 2015

Bei extremem Wetter und einer riskanten Rettungsaktion wurden sieben Menschen tot geborgen, mehr als 20 starben wenig später an Unterkühlung. Eine neue Tragödie vor Lampedusa, die viele ahnten.

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Die verstorbenen Flüchtlinge liegen mit einem grünen Tuch abgedeckt im Hafen von Lampedusa. (Foto: picture-alliance/AP Photo/M. Buccarello)
Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Buccarello

Acht bis neun Meter hohe Wellen, starker Wind - durch die peitschende See muss das Boot der italienischen Küstenwache fahren, um zu der Unglücksstelle zu gelangen. Ein völlig überfülltes Schlauchboot mit 105 Flüchtlingen ist in Seenot geraten - nur wenige Meilen vor der libyschen Küste. "Die Mannschaft hat ihr Leben aufs Spiel gesetzt und hat alle an Bord genommen", schildert der Sprecher der Küstenwache, Filippo Marini, die lebensbedrohliche Aktion am Abend. "Unsere Leute sind am Ende, sie kämpfen gegen mehr als neun Meter hohe Wellen", berichtet er weiter. "Bei solchen Bedingungen zu agieren ist fast unmöglich. Dass einige Menschen gerettet werden konnten, grenzt an ein Wunder."

Ihr Leben haben auch die Männer, Frauen und Kinder riskiert, die sich bei den extremen Seebedingungen auf den Weg von der libychen Küste Richtung europäisches Festland auf den Weg gemacht haben. Sie sind schon nach kurzer Zeit in Seenot geraten. Für fast 30 Menschen kam jede Hilfe zu spät. Einige konnten nur noch tot geborgen werden, andere starben offenbar an Erschöpfung und Unterkühlung an Bord der Küstenwachtboote. "Es ist schrecklich, es sind viele junge Menschen dabei. Sie sind völlig durchnässt, sie sind alle erfroren", erzählt der Sanitäter Pietro Bartolo der Zeitung "La Repubblica". Die Zahl der Toten könnte weiter ansteigen. Noch in der Nacht sind einige Migranten im kritischen Zustand mit dem Hubscharauber nach Sizilien gebracht worden.

In einem drauen Bus werden die überlebenden Flüchtlinge in ihre Unterkunft auf Lampedusa gebracht. Hinter den Fesntern sitzen nur Mjunge Männer. (Foto: AP Photo/Mauro Buccarello)
Sie überlebten: Flüchtlinge werden mit einem Bus in ihre Unterkunft gebrachtBild: picture-alliance/AP Photo/M. Buccarello

Mangelhafte Operation Triton

Es sei ein verzweifelter Hilferuf an die italienische Küstenwache gewesen, sagt Lampedusas Bürgermeisterin Giusa Nicolini gegenüber der italienischen Nachrichtenagentur Ansa. Dass diese Tragödie passiert sei, sei ein Skandal. Nach dem Ende von Mare Nostrum im Oktober könne man solche Katastrophen nicht mehr verhindern, denn es gebe keinen anderen Einsatz, der die ausgelaufene Operation ersetze. "Triton ist Frontex, dort geht es um den Grenzschutz. Und man sieht ja, diese Rettungsaktion hat nicht Frontex oder Triton durchgeführt. Der Anruf kam direkt von den Migranten an unsere Küstenwache."

Die Bürgermeisterin der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa, Giusi Nicolini , sieht verzweifelt aus und hält ihren Kopf in der Hand gestützt. (Foto: imago/Insidefoto)
Nicolini: "Wir sind wieder da, wo wir vor Mare Nostrum waren"Bild: imago/Insidefoto

Die Operation Mare Nostrum war nach der Tragödie vor Lampedusa im Oktober 2013, bei der 366 Migranten im Mittelmeer starben, gestartet. Nach offiziellen Angaben wurden weit über 100.000 Flüchtlinge durch die Operation gerettet. Dafür hatte Italien große Schiffe der Kriegsmarine im Einsatz, die im Mittelmeer patrouillierten. Im Oktober 2014 kam das Aus - wegen der Kosten von geschätzten zehn Millionen Euro pro Monat und weil man die Rettung von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer als europäische Aufgabe sah. "Die 366 Toten von Lampedusa haben nicht geholfen, die Worte des Papstes haben nicht geholfen, wir sind wieder da, wo wir vor Mare Nostrum waren. Das ist die Realität", so Nicoloini.

„Mare Nostrum“ – das Meer der Hoffnung

366 Tote, und nichts ist passiert

Triton, die Nachfolgemission der Europäischen Union, muss mit wesentlich geringeren Mitteln auskommen. Erschwerend kommt hinzu, dass Triton nur eine Zone unmittelbar vor der europäischen Küste überwacht. "Die Menschen, die erfroren sind, nachdem sie gerettet wurden, wären noch am Leben, wenn sie auf Schiffen von Mare Nostrum gebracht worden wären, die immer weit südlich vor Lampedusa stationiert waren", kritisiert Lampedusas Bürgermeisterin Giusa Nicolini. "Wenn das Ziel sein sollte, mehr Boote zu haben und weniger Lebende, dann haben sie das geschafft."

"EU nimmt das Massensterben bewusst in Kauf"

Hilfsorganisationen warnen vor weiteren Todesfällen im Mittelmeer. Allein im Januar sind nach Schätzungen etwa 3700 Flüchtlinge über das Meer nach Italien gelangt - trotz der schlechten Wetterbedingungen. Die Zahl der Menschen, die sich auf gefährlichen Wegen nach Europa begeben, werde weiter steigen, meint Karl Kopp von der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl. "Mare Nostrum war damals schon eine absolute Notmaßnahme einer europäischen Seenotrettung." Doch Europa habe sich bewusst bei der Seenotrettung zurückgezogen. Triton habe ein kleines Einsatzgebiet mit zu langen Wegen. Das Massensterben im Mittelmeer werde dadurch bewusst in Kauf genommen. "Was Europa veranstaltet, ist erbärmlich. Die EU will bewusst mit dem Tod von asylsuchenden Migranten weitere Menschen davon abschrecken, nach Europa zu kommen."Wenn es an der EU-Finanzierung einer grundlegenden Rettungsmission scheitere, bleibe die Frage offen, was ein Menschenleben den Verantwortlichen in Brüssel wert sei.

Ein Portrait von Karl Kopp, Sprecher bei dem Flüchtlingshilfswerk Pro Asyl in Frankfurt. (Foto: Pro Asyl Deutschland)
Kopp: "Was Europa veranstaltet ist erbärmlich"Bild: Pro Asyl Deutschland