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Neue Ziele braucht die Welt

Mirjam Gehrke1. Oktober 2013

2015 laufen die Millenniumsziele aus. Die UN haben für die Zeit danach neue Entwicklungsziele formuliert, die auch die Industrieländer stärker in die Verantwortung nehmen. Neu im Katalog: Umwelt- und Wirtschaftsziele.

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Eine Karte, die die Erderwärmung in unterschiedlichen Farben weltweit darstellt (Foto: DPA)
Bild: picture-alliance/dpa

"Wir sitzen in einem Boot", bringt es Horst Köhler im DW-Interview auf den Punkt. Der frühere Bundespräsident war von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon im Juli 2012 in das sogenannte High Level Panel berufen worden. Dieses Gremium aus 27 hochrangigen Persönlichkeiten aus aller Welt hat Vorschläge für eine neue Entwicklungsagenda erarbeitet. "Deshalb kann man seine sogenannten nationalen Interessen eigentlich langfristig nur mit Erfolg verfolgen, wenn man auch die internationalen Interessen mitdenkt", sagt Köhler. Das gelte insbesondere angesichts der extremen Armut in der Welt. "Wenn es da keine Verbesserung gibt, wird das letztlich auch unseren eigenen Wohlstand gefährden", warnt Köhler.

Horst Köhler ist Mitglied des High Level Panel (Foto: DPA)
Ex-Bundespräsident Horst Köhler ist Mitglied des UN-High Level PanelBild: picture-alliance/dpa

Verpflichtungen für Nord und Süd

Renate Bähr, Vorstandsmitglied des Verbandes der deutschen entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen (VENRO), begrüßt ausdrücklich, dass die Millenniumsziele in der neuen Entwicklungsagenda fortgeschrieben und ergänzt werden.

Die neue Agenda will die extreme Armut bis 2030 komplett beseitigen und nicht nur halbieren. Niemand auf der Welt soll dann mit weniger als 1,25 Dollar auskommen müssen. "Wir können die erste Generation in der Geschichte der Menschheit sein, die es schafft, jedem Menschen eine Grundversorgung an Wohlstand zuteil werden zu lassen", so das erklärte Ziel von UN-Generalsekreträr Ban Ki Moon. Um das zu erreichen, nimmt die neue Agenda auch die Industrienationen und die Privatwirtschaft in die Pflicht.

Schließlich hätten die Länder des Nordens "schlicht ein Eigeninteresse daran, dass soziale Stabilität, Arbeit und Einkommen auch in armen Ländern, in unseren Zulieferländern entstehen können", erläutert Horst Köhler, "weil das unsere eigenen Produktionsprozesse stabiler und nachhaltiger macht und vor Krisen bewahrt".

Soziale Pflichten für Unternehmen

Insgesamt zwölf neue Ziele schlägt der Bericht vor, der der UN-Vollversammlung Ende September vorgelegt worden ist. Neu im Katalog sind Umwelt- und Wirtschaftsziele. So soll der Anteil erneuerbarer Energien weltweit verdoppelt und Energieeffizienz im gleichen Maße gefördert werden. Die Erderwärmung soll auf maximal zwei Grad Celsius begrenzt werden. Regierungen und große Unternehmen sollen Rechenschaft über ihre wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Bilanzen ablegen.

Eine Schule in einem Slum in Nairobi (Foto: DW/Andreas Stahl)
Armut soll beseitigt werden und Kindersterblichkeit auf Null reduziertBild: DW/A. Stahl

Dieser Aspekt sei ihm ein "besonders wichtig" betont Horst Köhler und verweist auf den "Global Compact" der Vereinten Nationen, bei dem rund 5000 Unternehmen weltweit sich dazu verpflichtet haben, ethische Grundsätze zu beachten. "Diesen Ansatz müssen wir noch verbreitern: Die großen Firmen müssen öffentlich über soziale und ökologische Dinge ihres Unternehmens Bericht erstatten", fordert er.

Neben der Beseitigung der extremen Armut soll bis 2030 auch die Zahl der vermeidbaren Todesfälle bei Säuglingen und Kindern unter fünf Jahren auf null gesenkt werden. Der Zugang zu sicherer Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung soll global gewährleistet werden - ebenso wie eine universelle Grundschulausbildung. Gewalt gegen Frauen soll weltweit geächtet werden. "Ohne eine Gleichstellung und Einbeziehung der Frauen in den Entwicklungsprozess ist Armut nicht zu bekämpfen", sagt Renate Bähr.

Umweltschutz wird stärker berücksichtigt

Den neuen Ansatz der nachhaltigen Entwicklungsziele erläutert Köhler so: "Es geht um die Frage, wie die Rahmendingungen gestaltet werden müssen, damit Hilfe zur Selbsthilfe wirklich möglich wird." Konkret könne dies nur gelingen, "wenn wir zum Beispiel ein besseres Handelssystem haben, ein entwicklungsfreundlicheres System. Wenn wir erreichen, ein internationales Finanzsystem aufzubauen, das nicht so krisenanfällig ist wie das derzeitige." Als drittes Kriterium nennt Köhler im Interview mit der DW die Verständigung auf "ein Klima-Regime, das die weitere Erderwärmung bremst".

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Die vom High Level Panel vorgelegte Agenda berücksichtige diesen Zusammenhang von Armutsbekämpfung und Umweltschutz, hebt Ex-Bundespräsident Köhler hervor: "Wie wollen die Verbesserung der sozialen Entwicklung automatisch mit der Frage verbinden, wie wir unsere natürlichen Lebensgrundlagen schützen können." Dazu müsse es gelingen, Wachstum und Ressourcenverbrauch beziehungsweise Umweltzerstörung zu entkoppeln, fordert der Ex-Bundespräsident.

Renate Bähr von VENRO stimmt Köhler zu: Nötig sei "ein grundlegendes Umdenken im Bereich Ökologie und Konsumverhalten". Nicht das Wirtschaftswachstum dürfe künftig der Gradmesser für Entwicklung sein, sondern "mehr Effizienz und Lebensqualität".

Zukunftsperspektiven für junge Menschen

Köhler und Bähr stimmen darin überein, dass die wachsende Weltbevölkerung eine besondere Herausforderung darstellt, der sich vor allem die Industriestaaten nicht entziehen können. Bis 2030 werde es über 400 Millionen junge Menschen mehr auf diesem Planeten geben, "die nach Arbeit und Einkommen fragen und Perspektiven wollen", prognostiziert Horst Köhler. "Wenn wir diesen jungen Menschen keine Perspektiven geben, werden sie rebellieren. Das haben wir in Nordafrika bereits erlebt", mahnt der frühere Bundespräsident.

Der Afrika-Kenner Köhler wartet auch gleich mit einen konkreten Vorschlag auf: Die deutsche Wirtschaft solle gemeinsam mit der Regierung ein "Gemeinschaftswerk zur Förderung der Berufsausbildung in den Entwicklungsländern gründen". Köhler ist der Überzeugung, das sei "eine Investition nicht nur für Stabilität und Überwindung der Armut in Afrika, sondern auch für Wachstum und Beschäftigung bei uns".