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Neue Willkommenskultur in deutschen Firmen

Matilda Jordanova-Duda28. Dezember 2012

Viele Unternehmen in Deutschland suchen Mitarbeiter im Ausland oder unter den Zuwanderern. Dabei wurden Migranten jahrzehntelang eher abweisend behandelt. Sie jetzt willkommen heißen - wie geht das?

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SAP-Beschäftigte in Deutschland (Foto: SAP)
SAP-Beschäftigte in DeutschlandBild: SAP

Der Hubförderwagen heißt bei der Firma Teckentrup "Ameise", und statt "Gehörschutz" setzen sich die Mitarbeiter die "Micky Maus" auf. Das Unternehmen aus Verl im Bundesland Nordrhein-Westfalen hat die Betriebsanweisungen aus dem Behördendeutsch übersetzt. Die Begriffe, wie sie im Betriebsalltag genutzt werden, tauchen nun in den offiziellen Sicherheitsbelehrungen auf. "So versteht sie wirklich jeder", sagt der Firmenchef Kai Teckentrup. Das Familienunternehmen ist einer der größten europäischen Hersteller von Türen und Toren. Arbeitskräfte in Ostwestfalen sind jedoch knapp, sogar die ungelernten. Deshalb sucht Teckentrup Mitarbeiter und Azubis immer öfter unter den Zuwanderern.

Einarbeitung eines neuen Mitarbeiters bei Teckentrup (Foto: Teckentrup)
Einarbeitung eines neuen Mitarbeiters bei TeckentrupBild: Teckentrup

Klar ist: Wer nicht lediglich Hilfskraft, sondern etwa Maschinenführer sein will, braucht ein bestimmtes Sprachniveau. Einmal im Jahr organisiert das Unternehmen deshalb Deutschkurse - bezogen auf die Erfordernisse des Arbeitsplatzes. "Wenn ich aber einen Aushang mache, melden sich nur wenige an", so der Firmenchef. Der Grund sei die Angst, mangelhafte Deutschkenntnisse zugeben zu müssen. "Also nutzen wir ihre Netzwerke, um überhaupt Zugang zu den Mitarbeitern zu bekommen." Alle ethnischen Gruppen hätten ihre informellen Vorsprecher: Leute, die sich trauen, dem Vorgesetzten Wünsche zu übermitteln. "In einem Unternehmen mit rund 850 Mitarbeitern kennt man sie ziemlich schnell", sagt Teckentrup. Kündige man einen Deutschkurs über die Vorsprecher an, kämen drei- bis viermal so viele Teilnehmer zusammen.

SAP-Beschäftigte in Deutschland (Foto: SAP)
In der Kantine lässt sich manches klären: SAP-Beschäftigte in DeutschlandBild: SAP

Infomappen und Behördengänge

Akademiker, aber auch Fachkräfte mit mittlerem Berufsabschluss werden in einigen Branchen und Regionen schon mit der Lupe gesucht. Künftig dürfte das aufgrund des demografischen Wandels eher noch schwieriger werden. "Wenn ich heute nichts tue, habe ich morgen keine Mitarbeiter", sagt Kai Teckentrup. Deshalb organisiert er interkulturelle Workshops für die Belegschaft und verteilt Informationen über religiöse Feste aus der ganzen Welt per Mail. Willkommen sein heißt ja auch, sich mit seiner Identität nicht verstecken zu müssen.

"Es fängt ja ganz banal an: Jemand, der aus dem Ausland kommt, weiß zum Beispiel nicht, wie Kindergärten oder das Schulsystem hier funktionieren", sagt Alexander Böhne, Experte für betriebliche Personalpolitik bei der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA). Der Arbeitgeber könnte hier helfen: Ansprechpartner finden, bei Behördengängen begleiten. Infomappen mit allen nötigen Adressen und Ansprechpartner vor Ort sind bei einigen Kommunen schon vorhanden und lassen sich mit den unternehmensrelevanten Informationen ergänzen.

Willkommenskultur muss nicht viel kosten

Die BDA hat einen Leitfaden "Willkommenskultur" herausgegeben. Darin ist von Betrieben zu lesen, die Lesezirkel und Kochabende für ihre Beschäftigten aus verschiedenen Kulturkreisen organisieren, Mentoren- und Sprachtandems bilden, religiöse Besonderheiten achten oder längere Heimaturlaube bewilligen. "Wir haben bewusst auch kleinere Unternehmen als Beispiele ausgesucht, um zu zeigen, dass das Etablieren einer Willkommenskultur nicht unbedingt mit hohen Kosten verbunden ist", sagt Böhne. Aber auch keine Sache, um die sich nur ein Diversity- oder Integrationsbeauftragter zu kümmern hat. Und natürlich nicht nur Aufgabe der deutschen Mitarbeiter: "Im Idealfall heißt auch der türkischstämmige Kollege den neuen spanischen Kollegen willkommen und hilft ihm genauso bei der Integration hier im Land."

"Neulich habe ich auf einer Tour mit der Mitfahrtzentrale eine Kollegin aus Kirgistan kennengelernt", erzählt der Amerikaner Michael Shea, der seit sieben Jahren beim Software-Konzern SAP arbeitet. "Ich habe ihr einen Tipp gegeben, wo sie mehr ihrer Landsleute finden könnte und sie hat mich darauf hingewiesen, dass in ihrem Team eine Amerikanerin wäre. War dann doch eine Britin, aber das ist auch okay.“ In der Walldorfer Konzernzentrale arbeiten rund 12.500 Menschen mit fast 80 unterschiedlichen Nationalitäten. Einmal pro Woche sitzen Landsleute in der Kantine zusammen. Vor ein paar Jahren entstand aus den vielen Stammtischen ein Netzwerk: Cultures@SAP. "Eine Graswurzel-Bewegung von Mitarbeitern für Mitarbeiter", sagt Shea.

Betriebsauflug der bayerischen Firma Delo (Foto: Delo)
Das bringt einander näher: Betriebsauflug der bayerischen Firma DeloBild: Delo

Die wichtigen Tipps kommen von den Kollegen

Die Abteilung Human Resources hilft Neuankömmlingen bei der Wohnungssuche, mit der Anmeldung bei den Behörden, Führerschein, Sprachtraining für sie und ihre Angehörigen. "Aber die wichtigen Tipps und Tricks, etwa über die guten Ärzte und Restaurants, erhalten sie von den internen Netzwerken", so Pressesprecherin Jana Schuppel. "Wir können einander unterstützen, denn jeder muss seinen Weg hier finden. Man weiß nicht, wie bestimmte Dinge hier funktionieren. Ein Beispiel: Für mich als Amerikaner war es erst einmal eine Überraschung, dass man sonntags nicht einkaufen kann", ergänzt Shea.

Für Fragen jeglicher Art ist bei der Chemie-Firma Delo aus Bayern der Mentor zuständig. Den bekommt jeder Neue für mehrere Monate zur Seite gestellt. Schon vor der Ankunft des neuen Kollegen schaut sich der Betreuer den Arbeitsplatz an: Steht alles für den ersten Arbeitstag parat? Später zeigt er ihm den Betrieb, macht ihn mit den Leuten bekannt, lädt ihn zu einem Kaffee ein, erklärt, was wie funktioniert, wo es Mittagessen gibt und welche Freizeit-Möglichkeiten der Ort bietet. In den ersten Monaten entscheidet sich, ob Unternehmen und Mitarbeiter langfristig zusammenpassen: Dass die Chemie stimmt, ist aber keine Frage des Zufalls.