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Neue Hoffnung für Syrien

Kersten Knipp30. September 2013

Einstimmig hat der UN-Sicherheitsrat eine Resolution zur Vernichtung aller syrischen Chemiewaffen verabschiedet. Das erhöht grundsätzlich die Chance auf ein Ende der Gewalt. Doch manches steht dem auch entgegen.

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US-Außenminister John Kerry und sein russischer Kollege Sergej Lawrow (Foto: AP)
Bild: picture-alliance/AP

Der Durchbruch ist geglückt: Das mächtigste UN-Gremium hat eine Resolution verabschiedet, die den weiteren Umgang mit den Chemiewaffen des Assad-Regimes regelt. Das Papier verpflichtet die syrische Regierung, den Inspektoren der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) in Syrien "uneingeschränkten Zugang" zu gewähren und alle ihre Forderungen zu erfüllen. Um diese durchzusetzen, legt der zuvor in dieser Frage zerstrittene Sicherheitsrat eine bislang ungekannte Gangart gegenüber der Regierung in Damaskus an den Tag: Sollte sie sich der Kooperation mit den Inspektoren verweigern, muss sie damit rechnen, dass die Vereinten Nationen Sanktionen bis hin zu einem Militärschlag legitimieren - auch wenn Moskau dagegen immer noch ein Veto einlegen kann.

Die Resolution hat nach Einschätzung von Beobachtern Signalwirkung weit über die Frage der Chemiewaffen hinaus. Denn zum ersten Mal hat sich Russland einer Gewaltandrohung seitens der Internationalen Gemeinschaft gegenüber Syrien nicht verweigert. Dass es sich vorbehalten hat, einem Militärschlag gegebenenfalls doch nicht zuzustimmen, tritt diesem grundsätzlichen Richtungswechsel gegenüber in den Hintergrund. Dies dürfte auch in Damaskus bemerkt worden sein - und könnte das Assad-Regime dazu bewegen, sich auf eine diplomatische Lösung des Konflikts einzulassen.

Die Kriegsparteien finden aus dem Konflikt nicht mehr heraus

Resolutionen stoppten zwar keinen Krieg, sagt der Politikwissenschaftler Volker Perthes, Direktor der renommierten "Stiftung Wissenschaft und Politik", in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Aber die Zeichen mehrten sich, dass die syrischen Kriegsparteien zunehmend zu Verhandlungen bereit seien. Die Kriegsparteien sähen ein, dass sie aus eigener Kraft nicht mehr aus dem Konflikt hinaus finden, so Perthes. "Im UN-Sicherheitsrat hat UN-Vermittler Lakhdar Brahimi vor einem knappen Jahr gesagt, die lokalen Kräfte alleine können ihn nicht mehr stoppen, da sie viel zu verstrickt in die Kämpfe sind. Da gibt es Angst, da gibt es Hass." Darum sei es nun die Aufgabe des UN-Sicherheitsrats und aller externen Kräfte, die Kriegsparteien zu stoppen. "Sie müssen ihren jeweiligen Klienten in Syrien mitteilen, dass eine militärische Lösung nicht mehr vorgesehen ist, man stattdessen auf einen politischen Übergang hinarbeiten wird." In dessen Rahmen müsse eine Übergangsregierung gebildet werden, die sich aus Vertretern beider Kriegsparteien zusammensetze, sagt Perthes.

Blick durch das Zielfernrohr eines syrischen Scharfschützen auf ein Viertel in Aleppo, 11.9. 2013 (Foto: REUTERS)
Syrien - ein Land im FadenkreuzBild: Reuters

Die "Nationale Koalition der Syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte", der größte Dachverband der Assad-Gegner, hat bereits Gesprächs-bereitschaft signalisiert. Deren Präsident Ahmad al-Dscharba traf sich am vergangenen Mittwoch (25.09.2013) mit dem Sondergesandten der UN und der Arabischen Liga, Lakhdar Brahimi, um nach einer politischen Lösung des Konflikts zu suchen. "Die Zeit ist reif, um den von Assad begonnenen und verantworteten Konflikt zu beenden", erklärte al-Dschabra. Die Syrer erwarteten von den Vereinten Nationen, eine politische Lösung voranzutreiben. "Die Syrische Koalition war immer bereit und willens, eine konstruktive Rolle bei der Lösung des Konflikts zu spielen."

Ahmad al-Dscharba, Präsident der Syrischen Nationalkoalition, 24.7. 2013 (Foto: Christophe Petit Tesson/MAXPPP)
Gesprächsbereit: Ahmad al-Dscharba, Präsident der Syrischen NationalkoalitionBild: picture-alliance/dpa

Syrien droht der territoriale Zerfall

Die syrische Regierung unter Präsident Assad hat zu dem Resolutionsentwurf bislang noch keine Stellung bezogen. Doch auch sie könnte gewillt sein, einer politischen Lösung zuzustimmen, vermutet Perthes. Beiden Seiten werde zunehmend klar, dass sie keine nennenswerten militärischen Fortschritte mehr erzielen könnten. Die Frontlinien stünden und veränderten sich allenfalls noch geringfügig. Sollte diese De-facto-Teilung des Landes noch länger bestehen, "wird es Syrien in seiner territorialen Form womöglich nicht mehr geben", glaubt Perthes.

Doch noch wird in Syrien weiter gekämpft, und zwar an vielerlei Fronten. Nicht nur Regierungs- und Oppositionstruppen stehen einander gegenüber, Teile der Oppositionsgruppen haben längst auch gegeneinander Stellung bezogen. So liefern sich die konkurrierenden Dschihadistengruppen der "Nusra-Front" und der Bewegung "Islamischer Staat in Irak und Syrien" (ISIS) erbitterte Kämpfe. Zugleich hat sich die Nusra-Front auch von der "Nationalen Koalition" losgesagt, der sie sich bislang gefügt hatte. Die Gruppe ISIS hatte die Opposition noch nie anerkannt.

Schwer kalkulierbare Reaktionen der regionalen Akteure

Angesichts dieser komplexen Gemengelage mag der aus Syrien stammende Politologe Barah Mikail auf baldigen Waffenstillstand kaum hoffen. Sämtliche Parteien, gleich ob Regierung oder Opposition, verfolgten eigene Ziele. "Und alle beanspruchen die Führung über das Land. Darum werden sie so lange kämpfen, bis sie den Eindruck haben, Erfolge erzielt und den Gegner geschlagen zu haben."

Der syrische Präsident Bashar al-Assad während eines TV-Interviews, 26.9. 2013 (Foto: REUTERS/SANA) (Foto: REUTERS)
Unter Druck: Baschar al-AssadBild: Reuters

Doch nicht nur die binnensyrischen, sondern auch die regionalen Akteure verfolgen eigene Interessen. Längst führen sie in Syrien einen Stellvertreterkrieg. Wie sich Saudi Arabien und Katar, die wichtigsten Sponsoren der syrischen Opposition, künftig verhalten werden, ist ebenso ungewiss wie der Kurs, den Assads Verbündeter Iran einschlagen wird. Zwar sandte der UN-Sicherheitsrat diese Woche eine Erklärung ganz neuer Art aus. Aber, warnt der am Madrider Think Tank FRIDE forschende Barah Mikail: "Das heißt nicht, dass die Erklärungen von allen Akteuren vor Ort auch befolgt werden."