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Besuch im Flüchtlingsheim

Heiner Kiesel27. April 2015

Sehnsuchtsort Deutschland: Ein Neuanfang in süßlich riechenden Containern, während die Anwohner wegen der Flüchtlinge murren. Eine Reportage aus Berlin.

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Flüchtlingsheim aus Containern in Berlin-Buch, Bezirk Pankow Foto: Heiner Kiesel
Flüchtlingsheim aus Containern in Berlin-Buch, Bezirk PankowBild: DW/H. Kiesel

Das ist es also, das neue Zuhause. Eias Bieassy hat sich eine Zigarette angesteckt und steht neben einem Berg von Taschen und Koffern zwischen den drei Gebäuden des neuen Flüchtlingsheimes in Berlin-Buch. Der Syrer befindet sich hier im nördlichsten Zipfel der Hauptstadt. In einem Grünstreifen haben die Behörden Container aufstapeln lassen. 480 Flüchtlinge sollen dort wohnen. Bieassy bläst den Rauch in den frühlingswarmen Hof zwischen den schreiend bunten Fassaden der 70 Meter langen Blöcke. Kinder aus Serbien und Vietnam hangeln sich ein Klettergerüst hoch, eine Gartenfräse zähmt den Boden künftiger Rasenflächen. Erster Eindruck: "Schön hier!", sagt der 37-Jährige und bückt sich nach seiner Tasche.

Der Flüchtling aus Syrien hat gerade den bequemsten Teil seiner Reise hinter sich gebracht. Im Großraumtaxi aus einer Erstaufnahmeeinrichtung im Süden Berlins. Aus seiner Stadt Baniyas an der Mittelmeerküste ist er zunächst nach Ägypten, dann in die Türkei und schließlich auf einem Boot nach Sizilien gekommen. Von da ging es im Auto mit vier Freunden nach Deutschland. "Ich bin illegal hier, klar, das war eine gefährliche Reise." Die Route über das Mittelmeer ist länger, sei aber trotzdem sicherer als mit einem Flüchtlingskahn aus Syrien. Zehn Tage auf See sei er gewesen. Seine Frau und sein drei Monate altes Mädchen wollte er da nicht mitnehmen. Die Berichte von dem letzten großen Unglück im Mittelmeer kennt Bieassy. Es geht ihm nahe. Die Enge und Angst kennt er. Aber wie kann er nach allem, was er selbst erlebt hat, so locker und entspannt dastehen? Bieassy stoppt kurz, bevor er die Tür zu dem Containerheim aufmacht. "Ich bin einfach ein Optimist und ich liebe Deutschland!"

Eias Bieassy aus Syrien Foto: Heiner Kiesel
Flucht über das Mittelmeer: Eias Bieassy aus SyrienBild: DW/H. Kiesel

Anwohner fühlen sich überrumpelt

Es ist fraglich, ob seine positive Einstellung zu seinem Sehnsuchtsland berechtigt ist. Nicht nur wegen der bisherigen abwehrenden Migrationspolitik Deutschlands. Ein doppelter Zaun umgibt das Flüchtlingsheim. Nicht um die Bewohner einzusperren, sondern um missliebige Anwohner fernzuhalten. Berlin-Buch, das ist nicht gerade das multikulturelle, aufgeschlossene Berlin der Tourismusbroschüren. Kaum Migranten, einige halbprominente Rechtsradikale und viele Bürger, die – "Ich hab' wirklich nichts gegen Flüchtlinge!" – einfach nicht verstehen können, warum gerade hier draußen ein Refugium für Asylsucher aufgestellt worden ist. Und wieso sie jetzt nicht mehr durch den verwilderten Park zur Bushaltestelle laufen können. "War das hier nicht ein Wassereinzugs- oder Naturschutzgebiet?" Es ist einiges beim Dialog mit den Bürgern schief gelaufen. Als die ersten 75 Bewohner kamen, wurde gepöbelt und mit Flaschen geworfen. Jetzt sitzen vier Polizisten in einem Kleinbus vor dem Eingang und es patrouilliert eine Handvoll muskelbepackter privater Wachleute. Am Abend wollen die Rechten wieder vor der Ladenzeile 300 Meter weiter demonstrieren.

Flüchtlinge in Berlin
Leiterin Juliane Willuhn will für ein schönes Willkommen sorgenBild: DW/H. Kiesel

Das Umfeld macht Juliane Willuhn zu schaffen. Dabei ist sie sowieso schon im Stress. Sie leitet das Refugium, das die Arbeiterwohlfahrt (AWO) im Auftrag des Berliner Senats führt. "Wir sollen in zwei Häusern innerhalb von fünf Tagen 320 Plätze belegen", sagt sie, als sie mit hochgekrempelten Blusenärmeln durch den Gang vor ihrem Büro stapft. Am dritten Gebäude – nochmal 160 Bewohner – wird noch gebaut. Seit dem Herbst werden hier Container aufeinandergestapelt, verbunden und eingerichtet. Das zweite Flüchtlingsheim dieser Art in der Hauptstadt. Zwei weitere kommen noch. Gesamtkosten: 43 Millionen Euro. Es riecht süßlich, nach frischem Plastik. Die Zimmernummern sind erst mal provisorisch – Textmarker auf Klebeband. Alle haben Überstunden gemacht. "Wir haben so viele ehrenamtliche Helfer hier und die paar Hanseln da draußen verbreiten Angst unter den Bewohnern." Das ärgert die Leiterin der Anlage auch ganz persönlich. "Ich war in so vielen Ländern und bin so offen aufgenommen worden, das hätte ich für die Flüchtlinge auch gerne." Die Deutschen könnten sich das doch leisten ohne sich etwas vom Mund abzusparen, fügt die Sozialarbeiterin noch hinzu.

Willkommenskultur zum Sehen und Schmecken

Eias Bieassy hat sich inzwischen von Offen- und Freundlichkeit der Deutschen überzeugen können. In einem Gemeinschaftsraum haben freiwillige Helfer ein Willkommens-Buffet aufgebaut. Er beißt von einem Brot mit Paprikaaufstrich ab. Neben ihm greift ein kleines Mädchen nach einem Stück Sandkuchen. Rund 150 Leute engagieren sich in zehn Arbeitsgruppen, damit die Neuen in Berlin-Buch einen guten Start haben: Sprachkurse, Betreuungsangebote für die vielen Kinder, Stadtführungen. Über Bieassy hängen Girlanden, an der Wand gemalte Willkommensgrüße aus einem evangelischen Kindergarten. Wären da nicht der Zaun und die Ängste in der Bevölkerung vor Kriminalität und Überfremdung – das Ankommen wäre viel einfacher.

Aber das ist draußen. Drinnen wird der Syrer erst einmal administrativ erfasst, bekommt eine Hausordnung – Rauchverbot, Ruhezeiten, Verhalten in den Gemeinschaftsräumen – in die Hand gedrückt und einen Satz Bettwäsche, Geschirr und Besteck. "Große Feiern kann ich damit wohl nicht ausrichten", sagt er und grinst. Dann bringt er seinen Hausrat in sein Zimmer. Jedes Zimmer entspricht einem Container und ist 15 Quadratmeter groß. "Das teile ich mir mit einem Freund." Zwei Betten und ein Doppelschrank, Buchenholzoberfläche, PVC-Boden und Neonröhren. Größere Familien können in miteinander verbundenen Zimmern unterkommen. Die Wände sind hellhörig, es wird laut werden, wenn erst alle Zimmer belegt sind. Bieassy befühlt die Matratze. Fester Schaumstoff mit einem abwaschbaren Überzug. Er wird der Erste sein, der darauf schläft. Aber nach ihm werden noch viele kommen.

Warenausgabe im Flüchtlingsheim Foto: Heiner Kiesel
Eine Gabel, ein Messer, ein Löffel, Putzzeug und Bettwäsche: ein bescheidener Anfang im neuen HeimBild: DW/H. Kiesel