1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Neue Giftgas-Vorwürfe

Nils Naumann14. April 2014

Syriens Präsident Baschar Al-Assad gibt sich selbstbewusst: Ein Sieg der Regierungskräfte sei nah. Gleichzeitig gibt es neue Berichte über Giftgasangriffe. Und beide Seiten hätten für solche Attacken ein Motiv.

https://p.dw.com/p/1BhvH
Eine syrische Frau liegt entkräftet auf einer Liege und wird mit Sauerstoff versorgt (Foto: REUTERS/Stringer)
Bild: Reuters

Immer wieder drückt der Helfer auf den Brustkorb des entkräfteten Mannes. Fieberhaft versucht er, dessen Atmung wieder in Gang zu bringen. Auf einem Bett nebenan liegen mehrere Kinder, Frauen - auch sie offenbar mit Atemproblemen. Bilder eines möglichen Giftgasangriffes in Syrien. Bilder, die es eigentlich nicht mehr geben sollte.

Rückblende: August 2013. Bei Giftgasattacken am Rande der syrischen Hauptstadt Damaskus werden 1400 Menschen getötet. Der Westen macht Assad verantwortlich, die syrische Regierung die Rebellen. Die USA drohen mit einem Militäreinsatz. Unter Druck geraten, stimmt Assad schließlich der Vernichtung seiner Chemiewaffen zu. Der Jubel im Westen ist groß. Die Gefahr, so glauben viele, gebannt.

Immer wieder Giftgas?

Heute, rund acht Monate danach, ist Syrien fast aus dem Fokus der Weltöffentlichkeit verschwunden. Assads Truppen aber setzen offenbar - glaubt man der syrischen Opposition - trotz der Einigung weiterhin Chemiewaffen ein. Es gibt mehrere Beispiele: Am 28. März berichtete der Militär-Rat der Rebellen von einer Nervengasattacke in Harasta, einem Vorort von Damaskus. Einige Tage später, am 3. April, meldete das lokale Koordinationskomitee der Opposition einen Chemieangriff im Distrikt Jobar.

Syrien Präsident Baschar al-Assad September 2013 (Foto: Reuters)
Siegessicher: Syriens Präsident AssadBild: Reuters

Die jüngsten, jetzt im Internet veröffentlichten Bilder, sollen zwei Chlorgas-Angriffe auf die von Rebellen gehaltene Ortschaft Kafr Sita in der Provinz Hama zeigen. Kampflugzeuge des Regimes hätten am vergangenen Freitag und Samstag (11./12.04.2014) Sprengstofffässer abgeworfen. Danach hätten die Einwohner über "Atemnot und Vergiftungserscheinungen" geklagt, berichtet die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Syrische Oppositionelle veröffentlichten Foto- und Video-Dokumente, die eine improvisierte Chlorgasbombe der Regierungstruppen zeigen sollen.

Das syrische Staatsfernsehen dementiert. Nicht die Regierungstruppen, sondern Rebellen der Al-Nusrah-Front hätten "giftiges Chlor" verbreitet und dadurch zwei Menschen getötet.

Motive auf beiden Seiten

Volker Perthes, Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), hält es für durchaus möglich, dass in Syrien wieder Chemiewaffen eingesetzt wurden. Die syrische Regierung habe noch immer Giftgasvorräte. "Die Tatsache, dass dieser Angriff im Gebiet der Rebellen stattgefunden hat, spricht dafür, dass er von Regierungstruppen ausging", sagt Perthes. "Aber auch extremistische, islamistische Organisationen könnten sich Chlor besorgt haben." Beide Seiten hätten ein Motiv: "Die Regierung will Furcht verbreiten und die Rebellen in die Flucht treiben." Die Opposition könne dagegen versuchen, einen angeblichen Chemiewaffenangriff der Regierung zu inszenieren, um so das Ausland in den Konflikt hineinzuziehen.

Syrien Regierungstruppen (Foto: AFP)
Auf dem Vormarsch: Die RegierungsarmeeBild: Joseph Eid/AFP/Getty Images

Die USA, treibende Kraft hinter dem Chemiewaffen-Kompromiss mit dem Assad-Regime, reagieren bisher äußerst zurückhaltend. Die Berichte seien "noch nicht fundiert", erklärte die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Samantha Power. "Wir werden alles tun, um herauszufinden, was passiert ist. Dann werden wir über mögliche Reaktionen beraten."

Chemiewaffenvernichtung hinter Zeitplan

"Es wäre gut, wenn die Inspekteure der Organisation für das Verbot chemischer Waffen untersuchen könnten, ob dort Chemiewaffen eingesetzt wurden und von wem", schlägt Volker Perthes vor. Bisher aber, so OPCW-Sprecher Michael Luhan, habe seine Organisation dafür kein Mandat. Die OPCW-Inspekteure überwachen lediglich die Vernichtung des syrischen Chemiewaffenarsenals.

Latakia Syrien Abtransport Chemiewaffen (Foto: AFP)
Verzögert: Die Vernichtung der Chemiewaffen auf dem Spezialschiff Cape RayBild: picture-alliance/dpa

Doch auch hier läuft nicht alles rund. Die syrische Regierung hängt bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen im Zeitplan um Wochen hinterher. Eigentlich sollte die Operation am 30. Juni abgeschlossen sein. Bisher aber hat Syrien nach Angaben der Organisation nur rund 65 Prozent seiner 1300 Tonnen Kampfstoffe übergeben.

"Assad fühlt sich sehr sicher", sagt Volker Perthes. Am Wochenende erklärte Syriens Machthaber, der seit drei Jahren anhaltende Konflikt sei an einem Wendepunkt angelangt. Die Regierungstruppen gewännen die Oberhand. In den vergangenen Monaten haben Assads Truppen eine ganze Reihe von zuvor von Rebellen gehaltene Ortschaften an der libanesischen Grenze zurückerobert. Wichtige Versorgungsrouten der Aufständischen wurden gekappt, die Nord-Süd-Straßenverbindung zurückerobert. Gleichzeitig sind die Rebellen immer häufiger damit beschäftigt, gegeneinander zu kämpfen.

Daniel Nismann, Sicherheitsanalyst bei der israelischen Beratungsfirma Max Security Solutions, kritisiert die zurückhaltenden Reaktionen der internationalen Gemeinschaft auf die neuen Vorwürfe gegen die syrische Regierung: "Die gleichen Stimmen, die im August 2013 'Nie wieder' versprochen haben, sind jetzt gespenstisch still", schreibt Nisman im "Wall Street Journal". Die internationale Gemeinschaft müsse ihren Willen zeigen, jeden Vorwurf über Chemiewaffenangriffe aufzuklären. Ansonsten, befürchtet Nisman, könnte Assad die Zurückhaltung der Welt als Freifahrtschein für einen neuen massiven Chemiewaffeneinsatz interpretieren.