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Netzwerk hilft Spaniern

Ralf Bosen19. Juni 2013

Zu Hause gibt es für sie kaum noch Hoffnung. Immer mehr junge Menschen aus den Euro-Krisenstaaten suchen deshalb ihr Glück in Deutschland. Besonders Spanier wagen hier den Neustart. Ihnen hilft "Destino Alemania".

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Arbeitslose Spanier warten in einer Schlange vor dem Arbeitsamt (Foto: Reuters)
Bild: REUTERS

"Muy buenas, españoles y españolas, comunidad hispanoparlante de Alemania." Jose Gayarre begrüßt seine spanischsprachigen Hörer in Deutschland. Gerade produziert er seine wöchentliche Radiosendung "Funk Radio". Vor ihm auf dem Schreibtisch: ein Mikrofon, ein mobiles Mischpult und ein Laptop. Die Zimmerwand dahinter ist notdürftig mit schallschluckendem Schaumstoff abgedeckt. Das reicht dem Journalisten, um die Sendung mit Hilfe von ein paar Kollegen in seiner kleinen Mietwohnung in der Kölner Innenstadt zu produzieren. In "Funk Radio" wird Spaniern, die vor der Krise in das "Wirtschaftswunderland" flüchten wollen oder hier gerade angekommen sind, erklärt, wie Deutschland funktioniert. Es geht um Behördengänge, Arbeits- und Wohnungssuche, aber auch um Lebensart, Kultur und gesellschaftliche Werte.

Großer Andrang wegen Finanzkrise

Die Sendung ist als Podcast auf der Homepage des Hilfsprojekts "Destino Alemania" (Zielland Deutschland) online abrufbar. Der Podcast ist Gayarres neuestes Angebot. Begonnen hatte sein Multimedia-Projekt mit einer einfachen Facebook-Seite: "Wir hatten eine kleine Facebook-Gemeinschaft für Spanier, die hier leben. Aufgrund der Krise wurde die Gemeinschaft immer größer und größer." Sehr schnell hätten sich die Anfragen nach Informationen über Deutschland gehäuft. "Es handelte sich nicht um politische Themen", erläutert der 38-Jährige, "sondern eher um praktische Informationen. Deshalb haben wir uns entschieden, eine richtige Homepage aufzubauen, wo die Informationen statischer bleiben als auf Facebook."

Aus dieser Seite wurde dann 2009 "Destino Alemania". Stolz weist Gayarre auf den Tisch gegenüber. Dort stehen zwei weitere Laptops. Auf einem Bildschirm sieht man die Homepage des Projekts, auf dem anderem die Informationsströme verschiedenster Social-Media-Kanäle. Waren es anfangs nur ein paar Dutzend User, sind jetzt mehr als 12.000 in Gayarres Netzwerk unterwegs. Fast im Sekundentakt tauschen sie sich aus und posten ihre Einträge, die wie bei einem Börsenticker über den Bildschirm laufen.

Jose Gayerre moderiert seine Radiosendung (Foto: Ralf Bosen/DW)
Radio am Laptop: Jose Gayerre sendet aus einer Kölner MietwohnungBild: DW/R. Bosen

Internet erleichtert Einwanderung

Gayarre versucht alles im Blick zu behalten. Noch während er das Hilfsprojekt vorstellt, prüft er pausenlos einlaufende Social-Media-Beiträge oder neue E-Mails. Könnte er ein paar Stunden mal nicht online sein? Lachend winkt er ab. Nein, das sei für ihn kaum vorstellbar. Audio, Video, Text und alles online - Gayarre setzt ganz auf die neuen Medien. Mit ihnen sei ja auch die neue Generation spanischer Emigranten aufgewachsen, betont er. "Vor 20 Jahren gab es kaum Internet, kein Skype, kein Facebook, kein YouTube. Jetzt haben wir eine Menge technischer Möglichkeiten, um Einwanderung leichter zu machen."

Wenn ein Spanier beispielsweise früher zum Arbeitsamt gehen und nach einem bestimmten Formular fragen wollte, habe er irgendjemand finden müssen, mit dem man Spanisch sprechen konnte. "Heute können wir die Informationen massenweise über das Netz weitergeben." Die neue Welle spanischer Einwanderer käme eben nicht mehr mit einem Koffer voller Lebensmittel aus der Heimat, sagt Gayarre, der seit 13 Jahren in Deutschland lebt, "sondern mit ihren Lieblingsgeräten: Smartphones und Computer. Wir versuchen diese Kommunikationswege zu bedienen. Die jungen Leute nutzen Smartphones, wie wir damals ein Stück Papier benutzt haben."

Foto vom Computerarbeitsplatz vonj Destina Alemania (Foto: DW/Ralf Bosen)
Die Homepage von Destino Alemania und die Social-Media-InfoströmeBild: DW/R. Bosen

Ehrenamtlicher Einsatz für Projekt

Das Projekt "Destino Alemania" ist zu einer beispielhaften Erfolgsgeschichte geworden. Vor wenigen Tagen zeichnete die Wochenzeitung "der Freitag" die Online-Hilfsinitiative mit einem ihrer Förderpreise "Europa der Bürger" aus. 89 Projekte hatten sich beworben, mehr als 40.000 Menschen stimmten online für ihre Favoriten. Von den 1000 Euro Preisgeld kaufte Gayarre Mikrofon und Mischpult für die Podcast-Sendung, denn das Hilfsprojekt basiert hauptsächlich auf ehrenamtlichem Einsatz. Lediglich durch Online-Anzeigen kommt etwas Geld herein. Ansonsten arbeiten Gayarre und seine Mitarbeiter als selbstständige Journalisten.

Gayarres jüngste Idee steht kurz vor der Fertigstellung. Er zieht sein Smartphone aus der Jeans. Auf ihm ist in die Testversion einer Applikation installiert, die die Informationsströme Sozialer Netzwerke zusammenfasst. Entwickelt wird sie in Zusammenarbeit mit der Informatik-Fakultät der Fachhochschule Gummersbach. Dabei hilft auch der freie IT-Entwickler Francisco Estévez, der vor einem Jahr nach Deutschland auswanderte. Wie für andere spanische Krisen-Emigranten war das Internet auch für Estévez die erste Anlaufstelle in Deutschland. "Als ich nach Köln kam, kannte ich niemanden. Also habe ich im Internet gesucht. Dann entdeckte ich die Facebook-Seite für Spanier in Deutschland und habe darüber Leute kennengelernt, die schon eine Weile hier leben."

Gayarre und Estévez diskutieren über ihre Smartphone-App (Foto: DW/Ralf Bosen)
Das nächste Projekt: Gayarre und Estévez arbeiten an einer Smartphone-AppBild: DW/R. Bosen

Sprachkenntnisse als Voraussetzung

In der Heimat hatte Estévez wie viele andere junge und gut ausgebildete Spanier kaum eine Chance auf Arbeit. Mittlerweile seien fast alle seiner Freunde und Studienkollegen ins Ausland gezogen, erzählt er: "Wir sind IT-Experten und werden von den unterschiedlichsten Firmen angestellt. Ein Freund von mir hat vor ein paar Monaten in den Niederlanden Arbeit gefunden. Ein anderer ist in Dublin. Ich habe Freunde in Frankreich und in England. Wir kommen eben viel herum."

Doch in Deutschland ist die Jobsuche nicht immer leicht. Selbst dann nicht, wenn man wie Estévez über eine hervorragende Ausbildung verfügt. Denn sein Deutsch ist noch nicht ausreichend. "Es ist sehr schwierig für mich, hier einen Job zu finden. Die meisten Unternehmen suchen voll integrierte Leute. Solche, die auf Deutsch kommunizieren können." Er bekomme zwar Angebote und werde überall sonst zu Bewerbungsgesprächen eingeladen. "Aber in Deutschland wird mein Lebenslauf kaum beachtet, weil ich die Sprache nicht beherrsche."

Obdachlose schlafen am Madrider Paseo del Prado vor dem spanischen Gesundheits-und Sozialministerium (Foto: DW/José Ospina-Valencia)
Keine Hoffnung: Arbeits- und obdachlose Jugendliche in SpanienBild: DW/José Ospina-Valencia

Motivation durch Interesse in Deutschland

Sprache sei ein ständiges Thema für "Destino Alemania", ergänzt Jose Gayarre. Wer hier Erfolg haben möchte, der müsse einfach Deutsch können. Und nicht nur das: "Man muss in Deutschland ein neues Leben suchen und nicht versuchen, das Leben aus Spanien in Deutschland weiterzuführen. Das funktioniert nicht, weil man dann ein Gefühl von Nostalgie und Heimweh bekommt und am Ende nicht zufrieden ist." Gayarre ist jedenfalls in Deutschland angekommen. Es sei super motiviert. Durch den Förderpreis "Europa der Bürger" wisse er jetzt, "dass man sich in Deutschland für das interessiert, was wir hier machen."