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Energiewende

Georg Isman (dpa)2. Mai 2012

Die Bundeskanzlerin hat sich mit führenden Energiemanagern getroffen, um über Probleme beim raschen Atomausstieg zu beraten. Und davon gibt es reichlich.

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Zwei Monteure arbeiten bei Elsfleth an einem Strommasten Foto: David Hecker/dapd
Die deutsche Industrie klagt über unsicherere StromversorgungBild: dapd

Das trockene Gras knirscht unter den schwarzen Lederschuhen von Philipp Rösler. Der Bundeswirtschaftsminister hat Mühe, den Kuhfladen auszuweichen. Einen knappen Kilometer geht es querfeldein über Wiesen, bis Rösler an der A24 bei Wittenburg (Bundesland Mecklenburg-Vorpommern) vor einem Strommasten steht, der bisher ein Synonym ist für das Stocken der Energiewende. Die schwarzen Kabel transportieren keinen Strom, die Strippen hängen am Stahlmast träge herunter. "Das ist ja ein ziemliches Kuddelmuddel hier", sagt Rösler.

Autobahnen für den Strom

Hier an der Landesgrenze zu Schleswig-Holstein endet bisher die seit rund zehn Jahren diskutierte und geplante "Windsammelschiene", eine 88 Kilometer lange Stromautobahn vom Umspannwerk Görries bei Schwerin bis zum Hauptabspannwerk Krümmel bei Hamburg. Während die Trasse in Mecklenburg-Vorpommern seit zwei Jahren steht, lag bisher kein Planfeststellungsbeschluss aus Kiel vor - am 20. April kam er endlich. Nun sollen dank einiger Ausnahmeregelungen die letzten 20 Kilometer im Eiltempo bis zum Winter gebaut werden.

Solaranlage und Windrad auf grüner Wiese
Schöne neue Energiewelt - doch noch gibt es viele ProblemeBild: VRD - Fotolia

"Die Summe der Einzelmaßnahmen führt zu einer Beschleunigung", sagt FDP-Chef Rösler mit Blick auf das Bemühen, den Netzausbau mit Gesetzen, Arbeitsgruppen und mahnenden Briefe zu forcieren. Er betont, man könne nach einem Jahr Energiewende keine Wunderdinge erwarten. Immerhin: "Die Mentalität verändert sich". Einiges gehe nun schneller. Auch wenn er vieles nicht teile: Kritik sei wichtig, damit sich keiner zurücklehne und der Druck im Kessel hoch bleibe.

Kuddelmuddel

Kuddelmuddel. So mancher Wirtschaftsführer würde diese Überschrift wohl der Energiewende verpassen. Kommunen, Länder, der Bund: Alle planen, doch vielen fehlt ein politischer Kümmerer. Einer, der zentral koordiniert, wie viele Netze wo nötig sind - und wie sich neue Gas- und Kohlekraftwerke bei immer mehr Ökostrom noch rentieren sollen. Am Mittwoch berät Kanzlerin Angela Merkel (CDU) unter anderem mit den Energiekonzernen RWE und Eon, wo der Schuh drückt beim Umbau der Energiewirtschaft. Die bisherigen Atomkonzerne leiden zum Beispiel darunter, dass mehrere Nordsee-Windparks wegen Problemen beim Netzbetreiber Tennet nicht ans Netz angeschlossen werden können.

Das Beispiel der "Windsammelschiene" zeigt, dass es nicht immer nur die viel beschworenen Bürgerproteste sind, die den Netzausbau zu einer so schleppenden Angelegenheit machen. Für jeden gefällten Baum macht es Schleswig-Holstein nach Angaben des Netzbetreibers 50Hertz zur Auflage, dass drei Bäume an anderer Stelle neu gepflanzt werden. Die neue Höchstspannungsleitung könnte die Kabel für Notrufsäulen längs der Autobahn überladen - daher musste für den Einbau von neuen Lichtwellenleitungen ein eigenes Planfeststellungsverfahren gemacht werden. Hinzu kommt der Umweltschutz. Vor der Rodung mussten die Waldgebiete in einigen Mastbereichen nächtelang beleuchtet werden, damit sich auch tatsächlich keine Fledermäuse mehr dort aufhält. Das Umsiedeln der Haselmaus dauert mehrere Monate.

Zahlreiche Windkrafträder drehen sich bei stürmischen Winden am Deich bei Niebüll. (Foto: picture-alliance/dpa)
Windkrafträder an LandBild: picture-alliance/dpa

Überangebot bei Starkwind

Merkel hat versprochen, dass bis Ende des Jahres ein Gesetz für eine bundesweite Netzentwicklungsplanung in Kraft treten soll, damit fehlende Leitungen nicht weiter die Achillesferse der Energiewende sind. Denn allein in Schleswig-Holstein könnte schon bald eine installierte Wind- und Solarkraftleistung von 13 000 Megawatt stehen - bei einem Eigenverbrauch von 2000 Megawatt im Winter. Das heißt: Bei Starkwind müssen riesige Mengen Strom in andere Bundesländer oder das Ausland abtransportiert werden. Da Leitungen und Speicher fehlen, müssen Windparks immer öfter zwangsweise vom Netz. Die Entschädigungen dafür haben die Bürger über den Strompreis zu zahlen.

Im Hubschrauber fliegt Minister Rösler entlang des stillgelegten Atomkraftwerks Krümmel. Rechts davon wurde in Geesthacht ein kleines Pumpspeicherkraftwerk reaktiviert, um bei wenig Wind und Sonne zusätzlichen Strom zu liefern. Boris Schucht, Chef des Netzbetreibers 50Hertz, erläutert dem Minister beim Flug entlang der noch fehlenden Trassenkilometer, warum gerade für den Großraum Hamburg diese knapp 90 Kilometer lange 380-Kilovolt-Leitung so wichtig ist, mit der Windstrom aus dem Nordosten hierhin abtransportiert werden soll.

Die Zeit drängt

"Im Großraum standen mal fünf Kernkraftwerke, heute ist nur Brokdorf übrig", sagt Schucht. Mit den Kupferhütten, Stahlwerken und dem Hafen gebe es aber hier eine der höchsten Verbrauchsdichten in ganz Deutschland. "In den Abendstunden kann es an kalten Wintertagen große Probleme mit der Spannungshaltung geben." Mittlerweile müssen seine Leute an zwei Dritteln aller Tage in den Netzbetrieb eingreifen und Kraftwerke zum Runterfahren auffordern, wenn diese zu viel Windstrom in das Netz pressen. Oder aber zusätzliche Kapazitäten gebraucht werden, wenn Flaute ist. Das kostet viel Geld. "Der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Leitungen läuft derzeit komplett asynchron", sagt 50Hertz-Chef Schucht. Daher sind für Rösler Leute wie Jürgen Siefert entscheidend. Eingehüllt in einen orangenen Overall wartet der Projektleiter von 50Hertz für den Netzausbau darauf, dass er die letzen 20 Kilometer bauen kann. Der Stahl ist da, notfalls müssen noch einige private Grundstückbesitzer enteignet werden. Wegen der kritischen Lage im Winter muss die Leitung bis dahin stehen.