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Netanjahu: "Historisch oder hysterisch"?

Kersten Knipp4. März 2015

Nach Netanjahus Rede vor dem US-Kongress diskutiert Israels Öffentlichkeit deren Sinn. Worum ging es: um Wahlkampf oder Sicherheit? Die Meinungen sind geteilt. Fest steht nur: Der Wahlkampf bleibt spannend.

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Benjamin Netanjahu spricht vor dem US-Kongress (Foto: Getty Images)
Bild: Getty Images/C. Somodevilla

Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein israelischer Premierminister vor beiden Kammern des US- Kongresses spricht. So entschied sich das israelische Fernsehen, die Rede zu übertragen. Live, oder besser: fast live. Einer Auflage der nationalen Wahlaufsicht entsprechend, fand Netanjahus Auftritt in Washington seinen Weg auf die israelischen Bildschirme mit fünfminütiger Verspätung. Hätte der Premier seinen Auftritt allzu eindeutig in den Dienst seiner Kandidatur für die auf den 17. März angesetzten Parlamentswahlen gestellt, hätten die entsprechenden Passagen herausgeschnitten werden müssen.

Zwar hielt sich Netanjahu zurück, so dass die Zensoren nicht einzugreifen brauchten. Aber die Auflage der Wahlaufsicht demonstrierte, dass die Israelis die Rede ihres Regierungschefs nicht nur als eine an die amerikanischen Abgeordneten werteten, sondern auch – und vielleicht sogar vor allem – als eine an das heimische Publikum. Die Warnung vor dem iranischen Atomprogramm, so der Unterton der meisten Kommentare und Einschätzungen, war das eine Anliegen von Netanjahus Rede. Das andere war, sich seinen Leuten als starken Mann zu präsentieren, der am besten in der Lage sei, sein Volk vor tödlichen Gefahren zu beschützen. "Netanjahu hatte gestern nicht die iranischen Zentrifugen im Kopf, sondern die israelischen Wahlurnen", schreibt der Kolumnist Nahum Barnea in der Zeitung "Yedioth Ahronoth", die als Netanjahu wenig gewogen gilt.

Die Macht der Bilder

Isaac Herzog in Moshav Nir Moshe (Foto: picture alliance)
"Ich bleibe hier": Isaac Herzog in Moshav Nir MosheBild: picture-alliance/EPA/JIM HOLLANDER

Niemand empfand den doppelten Charakter der Rede wohl deutlicher als Netanjahus Gegenspieler Isaac Herzog, der am 17. März als Kandidat des oppositionellen Mitte-Links-Büdnisses "Zionistische Union" antritt. Er hatte sich zur Zeit von Netanjahus Auftritt im amerikanischen Kongress in das Örtchen Moshav Nir Moshe in der Nähe der Grenze zum Gazastreifen begeben – dorthin, wo die Israelis während des Krieges gegen die Hamas im vergangenen Sommer immer wieder in die Luftschutzbunker geflohen waren, um den aus Gaza abgefeuerten Raketen zu entgehen. "Ich hätte heute Abend auch woanders sein können", erklärte Herzog in seiner Rede. "Aber ich ziehe es vor, hier zu sein, statt in Washington." Damit gab er indirekt zu verstehen, was er als eigentliche Gefahr für Israel sieht: die nicht endende Auseinandersetzung mit den Palästinensern. "Die schmerzhafte Wahrheit ist, dass Netanjahu nach all dem Applaus wieder allein und Israel isoliert ist", sagte Herzog. "Die Verhandlungen werden ohne Israels Einfluss weitergehen."

Vertreter von Netanjahus Likud-Block warfen Herzog daraufhin vor, er betreibe seinerseits Wahlkampf, und zwar auf Kosten der Sicherheit Israels. Sie verwiesen auf den Applaus, den Netanjahu nach seiner Rede erhielt. Der dürfte in der Tat Eindruck machen, sagte der Politikwissenschaftler Natan B. Sachs nach dem Auftritt des Premiers. "Ein Video ist mehr wert als tausend Worte, und so ist das Spektakel, das Netanjahu mit seiner energischen, kunstvollen Rede veranstaltete, der die meisten Israelis zustimmen, Gold wert." Besonders imponiert dürfte ihnen auch Netanjahus geschliffenes Englisch haben, um das ihn viele seiner Landsleute beneideten, vermutet Sachs. Ähnlich sieht es auch Gilead Sher, ehemals Berater von Netanjahus Vorgänger Ehud Barak. "Der Auftritt wird eine positive Wirkung haben. Netanjahus Herausforderer werden sich anstrengen müssen, um der unglaublichen Bühne, auf der Netanjahu stand, etwas entgegensetzen zu können. Inhaltlich mag das alles nicht von allzu großer Bedeutung sein. Aber im Hinblick auf einen Wahlkampf ist es wichtig."

Wahlkampf für Netanjahu (Foto: Getty Images)
Wahlkampf für "Bibi" NetanjahuBild: Getty Images/MENAHEM KAHANA

Netanjahus letzter Trip?

"Historisch oder hysterisch", eröffnete die israelische Internetzeitung ynetnews.com die Debatte um Netanjahus Rede. Ihre Kommentatoren gaben unterschiedliche Antworten. Angesichts des gewichtigen Themas hätte eigentlich das gesamte Kabinett mit Netanjahu nach Washington fahren müssen, schreibt der Journalist Noah Klinger. Anders sieht es sein Kollege Shimon Shiffer. Er wirft Natanjahu vor, er habe Amerika "den Krieg" erklärt und die Beziehungen zwischen beiden Ländern massiv verschlechtert. Das sähen auch viele Israelis so, weshalb die Sprecher des Likud jede Kritik an dem Auftritt so vehement abwehrten. "Angesichts der Intensität ihrer Verteidigungsreden drängt sich vor allem ein Eindruck auf: Sie fürchten, dass Netanjahus Trip ihn bei den Wahlen zurückwirft und darum vor allem als seine letzte Reise nach Washington in seiner Eigenschaft als Premier in Erinnerung bleibt."

Ähnlich sieht es auch der Journalist Amir Oren in der Zeitung "Haaretz". Die Rede habe vor allem eines gezeigt: Netanjahu mache sich Gedanken über die Zeit nach seiner Niederlage am 17. März. Danach wolle er sich offenbar nicht aus der Politik zurückziehen, sondern weitermachen: als Verteidigungsminister der dann antretenden Regierung Isaac Herzogs.