1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Anschläge durch Razzien verhindert?

Carla Bleiker18. Juli 2013

Beamte in Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden haben Unterkünfte von Rechtsextremisten durchsucht. Die bange Frage: Wären die "Werwölfe" so weit gegangen wie der NSU?

https://p.dw.com/p/199qK
Springerstiefel mit weißen Schnürsenkeln - Foto: Rüdiger Wölk (imago)
Bild: imago/Rüdiger Wölk

Deutschland ist möglicherweise erneuten Anschlägen von rechtsradikalen Terroristen entgangen. Am Mittwoch (17.07.2013) führten Fahnder in Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden groß angelegte Razzien gegen eine Neonazi-Gruppe durch. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft besteht der Verdacht, dass Mitglieder der Gruppe terroristische Gewalttaten verüben wollten, "um das politische System der Bundesrepublik zu beseitigen".

In den drei Ländern wurden Wohnungen und Gefängniszellen von insgesamt sechs Verdächtigen durchsucht. Nach Medienangaben wurden dabei vor allem Datenträger sichergestellt. Die Auswertung der Informationen dürfte sich aber schwierig gestalten: Die Männer sollen ihre elektronische Kommunikation mit einem selbst entwickelten Codierungsprogramm verschlüsselt haben.

"Werwolf-Gruppe"

Verhaftet wurde niemand, weil die Ermittler keine Anhaltspunkte für konkrete Anschlagspläne finden konnten. Die Bundesanwaltschaft ermittelte schon seit Monaten gegen die Betroffenen, die sich angeblich Waffen und Sprengstoff besorgen wollten. Sie stehen unter Verdacht, eine terroristische Vereinigung gegründet zu haben - eine "Werwolf-Gruppe".

Der Schweizer Neonazi Sebastien N. auf einer Mai-Demonstration der NPD 2008 in Hamburg. N. gilt als eine Führungsfigur des "Werwolf-Kommandos" (Foto: dpa)
Sebastien N. 2008 in Hamburg: Schwer gewalttätigBild: dpa

Der Begriff kommt aus dem Dritten Reich. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs rief SS-Führer Heinrich Himmler die Untergrundorganisation "Werwolf" ins Leben, die aus kleinen Spezialkommandos bestand. Hinter den feindlichen Linien sollten sie Sabotage-Akte verüben. Diese Guerilla-Taktik wollten die sechs Verdächtigen wohl nachahmen.

Als einen der Anführer bezeichnet die Bundesanwaltschaft laut dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" den schwer gewalttätigen Schweizer Sebastien N., der ein Hitler- und ein Hakenkreuz-Tattoo auf der Brust trägt. Die deutschen Verdächtigen Denny R. aus Niedersachsen und Heiko W. aus Mecklenburg-Vorpommern kamen mit N. über die "Weiße Wölfe Terrorcrew" (WWT) in Kontakt, sagt André Aden. Der freie Journalist arbeitet im investigativen Medienprojekt "recherche-nord" mit, einer Gruppe freier Fotografen und Autoren, die sich seit 2004 auf Neonazi-Netzwerke spezialisiert haben.

Die WWT sei eine in sich geschlossene Kameradschaftsgruppe, die von Fans aus der rechten Musikszene gegründet wurde: "'Weiße Wölfe' ist der Name einer Band", sagt Aden. "Der Ursprungsimpuls zur Gründung der WWT war also sicherlich die Musik, aber man kann das ja nicht trennen. Dieser politische Aspekt, der Aktionismus fließt dort immer rein."

Ungewöhnliche Radikalisierung  

Auf Denny R. und Heiko W. ist "recherche-nord" vor knapp zehn Jahren aufmerksam geworden. R. hat vor einigen Jahren die Kameradschaft "Aktionsgruppe Nordheide" gegründet. Beide waren, wie Aden sagt, "keine Waisenknaben". Körperverletzung und Angriffe auf politische Gegner stünden bei den Männern auf der Tagesordnung.

Die Angeklagte Beate Zschäpe kommt am 20.06.2013 in den Gerichtssaal des Oberlandesgerichts in München (Foto: dpa)
NSU-Mitglied Beate Zschäpe vor Gericht: Zehn Jahre lang im UntergrundBild: picture-alliance/dpa

Doch die Nachricht der jüngsten Razzia hat Aden und seine Kollegen überrascht, vor allem der Verdacht, dass sie in den Untergrund abdriften könnten. "Dass man sich jetzt hinsetzt und sagt 'Wir basteln Bomben, um diesen Staat wegzumachen' - das ist eine Tendenz, die wir nicht gesehen haben", sagt Aden.

Das bekannteste Beispiel radikaler rechter Terrorgruppe ist der Nationalsozialistische Untergrund (NSU), der von 2000 bis 2007 zehn Menschen, darunter acht türkischstämmige Kleinunternehmer, ermordete. Mitglieder wie Beate Zschäpe gelten in der rechten Szene als Helden.

Zschäpe und ihre zwei Mittäter waren zehn Jahre lang vollständig abgetaucht - das kann sich Aden nur bei wenigen Rechtsextremisten vorstellen: "Viele der heutigen Neonazis sind nicht bereit, diesen letzten Schritt zu gehen. Die, die wirklich bereit sind, zehn Jahre in den Untergrund zu gehen, sind eine Handvoll." Der WWT-Gruppe um Denny R. und Heiko W. würde Aden dies absprechen.

Freies Netz Süd

Der Rechtsextremismus-Experte betont aber, dass rohe militante Gewalt bei Neonazis dazu gehört. Deswegen müsse in der Bevölkerung auch niemand überrascht sein, wenn bei Razzien in der rechten Szene große Mengen an Waffen sichergestellt würden.

Eine Pistole und ein Messer mit Hakenkreuz und der Aufschrift "Blut und Ehre", gefunden bei einer Razzia gegen das bayerische Neonazi-Netzwerk "Freies Netz Süd" - Foto: Tobias Hase (dpa)
Funde beim Neonazi-Netzwerk "Freies Netz Süd": Gewalttätigkeit und MenschenverachtungBild: picture-alliance/dpa

Genau das geschah vergangene Woche, als die Polizei in Bayern rund 70 Wohnungen von Mitgliedern des rechten Kameradschaftsdachverbands  "Freies Netz Süd" durchsuchte. Sie fanden unter anderem Pfefferspray, Schlagstöcke, Messer, Waffen und Stielgranaten. "Viele der Aktivisten sind einschlägig vorbestraft", sagte Marcus Buschmüller von der Münchener antifaschistischen Informationsstelle AIDA dem Bayrischen Rundfunk. "Insofern ist Gewalt, Gewalttätigkeit und Menschenverachtung in den Aktivitäten des 'Freien Netz Süd' eminent."