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Nawalny-Prozess

Roman Goncharenko17. April 2013

In Russland steht der Oppositionelle Alexej Nawalny vor Gericht. Jens Siegert, Leiter des Moskauer Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, bewertet im DW-Interview das Verfahren gegen den scharfen Putin-Kritiker.

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Portrait von Jens Siegert (Foto: Heinrich Böll Stiftung/Andrea Kroth dpa)
Jens SiegertBild: Heinrich Böll Stiftung/Andrea Kroth

Alexej Nawalny hat sich mit der Enthüllung von Korruptionsfällen einen Namen gemacht. Er betreibt ein Blog und war an der Organisation von Massenprotesten gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin beteiligt. Dem 36-jährigen Anwalt wird Veruntreuung öffentlicher Mittel vorgeworfen. Er soll der Regionalregierung in Kirow gemeinsam mit einer Privatfirma 10.000 Kubikmeter Holz gestohlen und so die öffentliche Kasse um 16 Millionen Rubel (rund 500.000 Euro) geprellt haben. Er selbst weist die Vorwürfe zurück. Der ganze Fall sei auf Anweisung Putins von den Behörden konstruiert worden, erklärt Nawalny auf seiner Website.

Deutsche Welle: In Kirow im Nordosten Russlands hat der Prozess gegen den bekannten Oppositionellen Alexej Nawalny begonnen. Der Vorwurf lautet: Veruntreuung öffentlicher Mittel. Wie beurteilen Sie das Verfahren?

Jens Siegert: Das ist ein rein politischer Prozess. Das ist bestätigt worden durch eine Bemerkung des Sprechers der Generalstaatsanwaltschaft, der Nawalny geraten hat, er könne seine agitatorische und politische Tätigkeit auch im Knast fortsetzen. Die Vorwürfe gegen Nawalny kann ich nicht beurteilen. Es geht wie in vielen solchen Prozessen um wirtschaftliche Dinge, in denen ich einfach nicht kompetent bin.

Nawalny hat in einem Interview angekündigt, er wolle für das Präsidentenamt kandidieren. Inwiefern hat diese Aussage etwas mit dem Prozess zu tun?

Einen Präsidentschaftskandidaten zu verurteilen ist etwas anderes, als einfach nur einen normalen Oppositionellen. Nawalny hat das getan, um vielleicht noch mehr Aufmerksamkeit und Schutz zu bekommen. Real hat das erst einmal wenig zu sagen. Die nächsten Präsidentenwahlen werden, wenn nichts Außergewöhnliches passiert, 2018 sein.

Alexej Nawalny bei einer seiner Festnahmen während einer oppositionellen Demonstration in Moskau im Oktober 2012 (Foto: REUTERS)
Festnahme von Alexej Nawalny bei einer Demonstration in MoskauBild: Reuters

Wäre Nawalny für Präsident Wladimir Putin ein gefährlicher Gegner?

Ich glaube, der gefährlichste Gegner von Putin ist Putin selbst - bei den Fehlern, die in letzter Zeit in Russland gemacht werden. Nawalny ist sicherlich der talentierteste und auch einer der bekanntesten von all denen, die oppositionelle Politik zu machen versuchen - außerhalb des Parlaments, weil es im Parlament keine Oppositionsparteien gibt.

Wie würden Nawalnys Chancen bei einer Präsidentenwahl stehen?

Die kann man schlecht einschätzen. Denn wir haben in Russland eine Öffentlichkeit, die sehr stark manipuliert ist, die sehr stark von dem abhängt, was in den staatlich kontrollierten Medien, vor allem im Fernsehen gezeigt wird. Wenn man das als Vergleich heranzieht, dann kommt Nawalny auf einen recht großen Bekanntheitsgrad von etwas über 30 Prozent. Immerhin 19 Prozent können sich vorstellen, ihn zu wählen. Das ist weit mehr als die meisten Politiker aus dem Putin-Lager bekommen - Dmitri Medwedew übrigens eingeschlossen.

Schadet sich Putin nicht selbst mit dem Prozess gegen Nawalny? Die Popularität des Oppositionellen könnte mit dem Prozess doch noch zunehmen.

Auf jeden Fall. Es ist in Russland schon alte Tradition: Wenn jemand, der politisch zur Opposition gehört, in den Knast kommt, dann ist dies wie eine Art Ritterschlag. Wenn Nawalny tatsächlich ins Gefängnis kommt, dann wird er natürlich sofort der Gefangene Nummer Eins in Russland sein. Offensichtlich sieht man sich im Kreml dazu gezwungen, Oppositionelle zu verfolgen. Das passiert auch im sogenannten Fall des 6. Mai 2012. Über 20 Personen, die an der großen Anti-Putin-Demonstration direkt vor der Amtseinführung teilgenommen haben, sind entweder in Untersuchungshaft oder stehen unter Hausarrest. Mir ist auch nicht klar, was der Kreml außer Einschüchterung mit diesen Prozessen bewirken will. Das Ziel könnte sein, alle einzuschüchtern, die in der Öffentlichkeit zu sichtbar werden. Und Nawalny stört doch sehr mit seinen Anti-Korruptions-Kampagnen. Immerhin hat er es geschafft, dass verschiedene Abgeordnete sowohl des Unter- als auch des Oberhauses nach Veröffentlichungen auf seiner Internetplattform zurücktreten mussten.

Wie wird der Westen auf den Nawalny-Prozess reagieren?

Wenn ich mir die Entwicklung der letzten Wochen und Monate anschaue, dann ist es doch so, dass die Geduld mit Putin selbst dort, wo er sehr viele Freunde hat, wie in Deutschland, wesentlich weniger wird. Auch kann man in anderen Ländern immer weniger rechtfertigen nach dem Motto: Putin macht das schon einigermaßen gut und Russland ist eben ein besonderes Land, wo man andere Maßstäbe ansetzen muss. Dann müssen auch Politiker, wie zum Beispiel Bundeskanzlerin Angela Merkel, bei der ich den Eindruck habe, dass sie solche Sachen doch lieber nicht öffentlich regeln würde, eben öffentlich werden, weil sie es sich in ihrem eigenen Land nicht mehr leisten können.

Das Interview führte Roman Goncharenko.