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Navid Kermani erhält den Kleist-Preis

Sönje Storm20. November 2012

Der Deutsch-Iraner ist Autor und bekannter Islamwissenschaftler. Er erhält für seinen Roman "Dein Name" den Kleist-Preis 2012 und wird damit als "Vordenker für die Zukunft" geehrt.

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Schriftsteller Navid Kermani spricht am 02.12.2011 im Rathaus von Bremen bei seiner Auszeichnung mit dem Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken 2011. (Foto: Ingo Wagner/dpa)
Schriftsteller Navid KermaniBild: picture-alliance/dpa

Der deutsch-iranische Orientalist Navid Kermani hat sich in den vergangenen zehn Jahren als kluger politischer Kommentator in den gesellschaftlichen Debatten über Islamismus, Integration oder auch jüngst das Beschneidungsverbot einen Namen gemacht. Er ist Autor hoch gelobter Fachbücher zum Islam und ein Brückenbauer zwischen den Kulturen: Regelmäßig schreibt er Reportagen aus dem arabischen Raum, Iran, Ägypten, Syrien. Kermani ist für sein Werk vielfach ausgezeichnet worden -  zum Beispiel mit dem Hannah-Arendt-Preis oder jüngst dem Cicero-Rednerpreis. Nun bekommt er für seinen großen Roman "Dein Name" den Kleistpreis verliehen. Ein Preis, der "risikofreudige Schriftsteller" auszeichnet, die wie der große Literat Heinrich von Kleist als "Vordenker für die Zukunft gelten können", so steht es auf der Homepage des Kleist-Preises.

Ein Roman wie ein Knödel

Einen "Riesenknödel" hat Navid Kermani seinen Roman genannt: 1200 Seiten, auf denen beständig die Perspektiven und Stile wechseln. Mal folgt der Leser dem Romanhelden in die benutzten Unterhosen seiner Ehefrau, mal auf eine wissenschaftliche Konferenz. Mal kommt der Text wie ein Blog daher, mal wie eine Reportage, ist mal in Köln, mal im Iran der 60er Jahre. "So wie ich es mir vorstelle, ist im Knödel alles zusammen gedrückt, verschiedene Zutaten, die zu einem Ganzen werden“, sagt Kermani im Gespräch mit der DW. "Und ein bisschen ist das mit meinem Buch auch so: Es gibt verschiedene Stränge und Motive und Gedanken und Gegenwarten und Zeiten."

Das Cover des Buches "Dein Name" von Navid Kermani (Foto: http://www.hanser-literaturverlage.de/buecher/buch.html?isbn=978-3-446-23743-8)
"Dein Name" von Navid KermaniBild: Hanser Verlage

 "Dein Name" beschreibt das Leben eines Mannes, der wie Kermani 1967 als Sohn eines iranischen Arztes in Siegen geboren wurde, der wie er habilitierter Islamwissenschaftler ist. Navid Kermani heißt dieser Romanheld. Nicht zu verwechseln mit dem echten Kermani, Verfasser des Romans. Verwirrung erwünscht.

Kermani lotet die literarischen Übergänge von Realität und Fiktion aus. Fünf Jahre begleitet der Roman sein Alter Ego. Er spiegelt dessen Kämpfe, wenn er um die literarische Darstellungs-Form ringt, protokolliert das Voranschreiten des Buch-Manuskriptes. "Der Roman tut so"  sagt Kermani, "als sei er ein Blog, im Flugzeug, im Zug geschrieben, als sei er aus dem realen Leben, ist aber doch ein Roman, also Kunst, und natürlich nicht das nackte Leben. Das ist die Aufgabe eines Romans: Das Abbild eines Ganzen zu geben, eine Art von Totalität“.

Ein Leben wie ein Roman

Navid Kermani nutzt sein Leben als Romanvorlage. Er reist regelmäßig in die arabische Welt - nicht als Krisenreporter, sondern auf der Suche nach Geschichten jenseits der Nachrichtenmeldungen. Wunderbare Reportagen bringt er mit, die immer auch eine literarische Ebene schaffen. Seine jüngste Reise führte ihn diesen Sommer nach Syrien. Er befragte die Menschen nach ihrem Alltag im zerbombten Damaskus, einen Schuster, einen Ingenieur, eine Ärztin auf einer Intensivstation. Eine Reise bei der ihn die Normalität, in der die Menschen dort leben, erschüttert. Er hält sie in seinen Reportagen fest: "Reportagen sind für mich genauso wichtig und bedeutend wie der Roman oder meine wissenschaftlichen Fachbücher", sagte Kermani. "Sie öffnen unseren Blick dafür, was in anderen Ländern jenseits der täglichen Schlagzeilen passiert. Sie lassen uns Empathie entwickeln für die Menschen, von denen nur in den Nachrichten die Rede ist und die oft als Barbaren abgewertet werden."

Portrait von Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist (Bild: aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie)
Der Namensgeber des Preises: Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist.Bild: public domain

Kermani ist ein Grenzgänger zwischen den Disziplinen Wissenschaft, Journalismus und Literatur. Sein Roman spiegelt all dies inhaltlich und stilistisch wider. "Ich war immer ein politischer Mensch", sagt Kermani, "auch das Schreiben einer Reportage ist politisch, genauso wie der Roman und meine wissenschaftlichen Fachbücher, ich würde das nicht trennen".

Seine Reportagen finden sich in "Dein Name" genauso wieder wie der Besuch eines Klempners im Hause des Schreibers oder Nachrufe auf Kollegen aus Kunst und Wissenschaft. Das Buch hat keine Kapitel, alles steht gleichwertig nebeneinander. Diese Sprünge machen es dem Leser nicht leicht. Das Hamburger Thalia-Theater hat dennoch mit einem dramaturgischen Kunstgriff einen Weg gefunden, den Roman zu inszenieren: Mehrere Schauspieler und Kermani selbst führen parallel kleine Gruppen in entlegene Winkel des Theaters, auf die Hinterbühne, ins Requisitenlager und lesen dort kurze Passagen aus dem Roman, die sie dann mit eigenen Ideen zum Thema weiterführen. Intime Situationen zwischen dem Autor Kermani und seiner Zuhörerschar entstehen dabei.

Die Sehnsucht nach Unmittelbarkeit

Kermani hat selbst schon als Dramaturg und Regisseur gearbeitet und ist ein Theaterliebhaber: "Das ist das, was ich eigentlich immer tun wollte - ich wollte immer ans Theater, weil im Theater alles jetzt, in diesem Moment, stattfindet, nicht wiederholbar. Das ist natürlich der große Traum von jedem Autor - die Sehnsucht nach dem, was jetzt stattfindet.“ Der Versuch, dem dahin rasenden Leben Momente abzuringen, in denen Denken und Tun eins werden, ist ein Traum, dem er auch mit seinem Roman nahe kommen will. An diesem Sonntag (18.11.2012) geht Kermani wieder auf die Bühne. Im Berliner Ensemble wird ihm der Kleist-Preis verliehen.