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Hunger mit Vitaminen und Mineralien bekämpfen

Fabian Schmidt22. Juli 2014

Etwa zwei Milliarden Menschen leiden unter Mangelernährung. Ihnen fehlen lebensnotwendige Vitamine und Mineralien. Die Folge: Mangelerkrankungen. Kann Nahrungsergänzung das Problem lindern?

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Ein Mann im Sudan hält Heizen in der Hanf (Foto: Nic Bothma/ dpa).
In vielen Ländern Afrikas schreiben Gesetze die Anreicherung von Weizen mit Eisen und Vitaminen vorBild: picture-alliance/dpa

Es gibt eine gute Nachricht: Trotz einer stetig steigenden Weltbevölkerung geht die totale Zahl unterernährter Menschen immer weiter zurück. Lag sie zwischen 1990 und 1992 noch bei über einer Milliarde, schätzt die Welternährungsorganisation FAO sie heute noch auf 842 Millionen.

Aber diese Zahl täuscht darüber hinweg, dass etwa zwei Milliarden Menschen unter sogenanntem verstecktem Hunger leiden. Damit befasst sich eine gemeinsame Studie der Hilfsorganisationen terre des hommes und der Welthungerhilfe, die am Dienstag (22. Juli 2014) in Berlin vorgestellt wurde. Den Betroffenen fehlen bestimmte lebensnotwendige Vitamine und Mineralien. Die Folge sind schwere Mangelerkrankungen und ein geschwächtes Immunsystem, was oft zu bleibenden Schäden führt, zum Beispiel Erblindung.

Wolfgang Jamann, Generalsekretär der Welthugnerhilde (Foto: dpa).
Wolfgang Jamann hält Nahrungsergänzungsmittel dort für sinnvoll, wo Armut herrschtBild: picture-alliance/dpa

Besonders häufig tritt der versteckte Hunger in Indien, Bangladesch, Zentralasien und in weiten Teilen Afrikas auf. Für Ernährungsexperten ist er ein genauso großes Problem, wie der echte Hunger - also der nach Kalorien. "In Ost- und im südlichen Afrika essen die Menschen oft nur Maisbrei", berichtet Wolfgang Jamann, Generalsekretär der Welthungerhilfe, von seiner jahrelangen Arbeit in der Region.

"Die Menschen werden dadurch zwar satt, aber durch die einseitige Kost fehlt es ihnen einfach an lebenswichtigen Vitaminen." Das gleiche Phänomen gibt es in Regionen, wo einseitig überwiegend Reis gegessen wird. "Oft ist das leider geschälter weißer Reis", erklärt Jamann "und dort fehlen dann auch noch die Vitamine, die durch das Schälen verloren gehen." Durch Krankheiten, die zum Beispiel auf Vitamin-A-Mangel zurückgehen, sterben nach Schätzungen der Vereinten Nationen jedes Jahr zwischen 300.000 und 700.000 Kinder. Weitere 300.000 Kinder erblinden dadurch.

Gefahr droht vor allem Schwangeren, Babies und Kleinkindern

Andere lebensnotwendige Nährstoffe sind zum Beispiel Eisen und Folsäure. Leiden schwangere und stillende Frauen selbst an einem Mangel, können die Kinder diesen ebenfalls auch schon im Mutterleib entwickeln - Folsäuremangel kann etwa zu Missbildungen des Fötus führen. Auch der Mangel von Eisen, Vitamin A, Zink und Jod kann schwerwiegende Folgen für Neugeborene und Kleinkinder haben.

"Von Eisen- und Vitamin A-Mangel sind stillende Mütter oft betroffen", sagt der Entwicklungssoziologe Jamann. "Das setzt sich dann direkt fort in die Gesundheit von Neugeborenen. Es kann in schweren Fällen zu geistigen Behinderungen kommen, wenn Mütter nicht genügend Jod zu sich nehmen". Und es gibt viele weitere unterschiedliche Ausprägungen von Mangelerscheinungen, die zu Erkrankungen und in schweren Fällen - gerade bei Kleinkindern - zum Tod führen können.

Kein Geld für besseres Essen

Ideal wäre es natürlich, wenn alle Menschen genügend hochwertige und nährstoffreiche Nahrung zu sich nehmen könnten, dass diese Mangelerscheinungen gar nicht erst auftreten. Neben den Grundnahrungsmitteln bräuchten sie auch ausreichend Obst und Gemüse sowie hin und wieder Eier, Milch, Fisch und Fleisch.

Viele Arme können sich das aber in der harten Wirklichkeit einfach nicht leisten, sagt Jamann. Deshalb hält er die Anreicherung von Grundnahrungsmitteln für einen praktikablen Behelf.

In 80 Ländern der Welt ist sie sogar gesetzlich vorgeschrieben. Zum Beispiel werde in Sambia der Mais per Gesetz mit Vitamin A und D angereichert. Darüber hinaus gebe es die Möglichkeit im Haushalt Nahrungsmittel selbst anzureichern, indem man zum Beispiel Multivitaminpulver über die Lebensmittel streut. "Das kann Erfolg haben", sagt Jamann.

Maniok (Foto: picture alliance).
Gezüchtete Manioksorten in Nigeria enthalten mehr Provitamin ABild: picture-alliance/Arco Images

Pflanzen sollen den Mangel selbst beheben

Ein anderer vielversprechender Ansatz nennt sich Biofortifikation. Hierbei geht es darum, neue Sorten von Grundnahrungsmitteln zu züchten, die von sich aus mehr Mineralien aufnehmen oder Vitamine bilden als herkömmliche Sorten. Durch Züchtungen versuchen Agrarforscher, den Nährstoffreichtum von Pflanzen gezielt zu verbessern. Oft können auch Resistenzen verbessert werden, etwa gegen Schädlinge oder Dürren.

Versuche mit solchen Pflanzen gibt es zum Beispiel in Afrika mit Süßkartoffeln, Bohnen, Maniok oder Mais. In Indien und Pakistan versuchen Forscher es mit Weizen, Hirse und Reis. Der Philantrop Bill Gates favorisiert unterdessen eine Koch-Banane, die besonders viel Vitamin A bildet. All diese Ansätze findet auch der Welthungerhilfe-Experte Jamann, sehr interessant.

Er gibt aber zu bedenken, dass diese Züchtungen ihre Leistungsfähigkeit und Akzeptanz durch die Verbraucher erst noch in der Praxis unter Beweis stellen müssen. "Viele der Erfolge, über die gesprochen wird, werden im Labor erzielt. Ob die Menschen die neuen Sorten akzeptieren und nutzen, ist dagegen noch nicht sicher", gibt er zu bedenken.

So seien zum Beispiel auf den Philippinen die ersten Feldversuche mit goldenem Reis - einem genetisch veränderten Reis, der von Forschern der Zellbiologie in Freiburg entwickelt wurde, und besonders viel Vitamin A bildet - seiner Meinung nach eher ernüchternd ausgefallen. Die heimischen Sorten hätten sich dann unter den spezifischen Klimabedingungen doch einfach als robuster erwiesen.

Neue Sorten müssen bezahlbar sein

Auch habe die Einführung neuer Sorten zur Bekämpfung des versteckten Hungers nur dann einen Sinn, wenn die Bauern sich das bessere Saatgut auch leisten können. Noch besser wäre es, wenn die Bauern selbst neues Saatgut aus den Früchten des letzten Jahres gewinnen könnten. Das geht aber nur, wenn es sich nicht um sogenanntes Hybrid-Saatgut handelt, bei dem man Jahr für Jahr neue Samen kaufen muss.

"Auch Subsistenzbauern müssen in der Lage sein, dieses verbesserte Saatgut zu benutzen", fordert Jamann. "Sie dürfen nicht von nur einem Lieferanten auf dem Weltmarkt abhängig werden." Denn das Ziel müsse sein, dass die Produkte nicht teuer werden.

Gerade weil der versteckte Hunger in allererster Linie ein Armutsproblem ist, kann es nämlich nicht gelöst werden, wenn die Betroffenen am Ende doch wieder mehr für das Essen zahlen müssen.