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Nachhaltige Rohstoffe für Chemieindustrie

Ralph Ahrens 6. Januar 2014

Die Chemieindustrie nutzt immer mehr Pflanzen als Rohstoff. Doch der Anbau kann Natur und Mensch schädigen. Industrie-, Umwelt- und Entwicklungsverbände haben nun Kriterien für nachhaltigen Anbau verabschiedet.

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Palmöl Anbau auf Sumatra
Bild: WWF/J. Morgan

Chemieunternehmen in Deutschland nutzen jährlich rund drei Millionen Tonnen Rohstoffe aus der Pflanzenwelt: Öle, Zellstoff, Stärke, Zucker, Naturkautschuk und andere. Aus pflanzlichen Chemikalien lassen sich zum Beispiel Klebstoffe, Waschmittel oder Biokunststoffe herstellen. Der Bedarf an diesen Rohstoffen wird zunehmen, meint Jörg Rothermel. Er ist im Verband der Chemischen Industrie (VCI)für Energie, Klimaschutz und Rohstoffpolitik zuständig.

Die wachsende Nachfrage hat Folgen: Um die begehrten Rohstoffe zu gewinnen, holzen Firmen vielerorts Regenwälder ab oder nehmen, von Regierungen geduldet oder unterstützt, Menschen ihr Land weg und damit ihre Lebensgrundlage. Ein Beispiel ist Palmöl - ein Ausgangsprodukt für Speiseöl, Biosprit, Schmieröl oder kosmetische Produkte. In vielen Ländern Südostasiens stehen heute Palmölplantagen dort, wo früher Regenwälder und Torfmoore waren, klagt Martina Fleckenstein vom World Wide Fund for Nature (WWF). Für den Anbau solcher Rohstoffe, fordert sie "anspruchsvolle ökologische und soziale Kriterien".

Qualitätssiegel für nachhaltige Biomasse

Ende 2013 beschlossen Fachleute der Chemieindustrie, der Deutschen Welthungerhilfe und aus Umweltverbänden etwas zu tun. Gemeinsam mit der //www.fnr.de/, einem vom Bund geförderten Verein, verabschiedeten sie einen Kriterienkatalog. Bei der Bodennutzung, dem Anbau und der Produktion sollten Bio-Rohstoffe danach strenge Bedingungen erfüllen um als nachhaltig hergestellt zu gelten.

Regenwald in Lateinamerika mit gerodeter Fläche
Zertifizierte Biomasse darf auf gerodeten Urwaldflächen nicht angebaut werden.Bild: Reuters

Die Vereinbarung orientiert sich an einem EU-Kriterienkatalog für die Nutzung von Biomasse als Energieträger aus dem Jahr 2009. Die neue Vereinbarung geht aber noch darüber hinaus, freut sich die Umweltschützerin Fleckenstein. So gibt es 25 ökologische Kriterien. So darf etwa kein Regenwald gerodet, kein Moor trocken gelegt und auch keine artenreiche Savanne beackert werden. Zudem soll die Bodenqualität erhalten bleiben und Nitratauswaschungen vermieden werden.

Zu den 19 sozialen Kriterien zählt das Recht der Bewohner des Landes und der Landarbeiter auf sauberes Trinkwasser, feste Unterkünfte sowie eine vernünftige Bezahlung. Kinderarbeit ist verboten. Das freut auch Rafael Schneider von der Deutschen Welthungerhilfe, denn in den EU-Nachhaltigkeitskriterien für die energetische Nutzung von Biomasse fehle diese Dimension der Nachhaltigkeit völlig. Darüber hinaus müssen die Regierungen und Produzenten von Biorohstoffen Maßnahmen gegen Bestechung nachweisen und dokumentieren, wie sie die Anbaufläche nutzen.

Test in der Praxis

"Das Festlegen dieser Standards ist der erste Schritt", sagt die WWF-Vertreterin Fleckenstein. Jetzt müsse geprüft werden, ob sie auch praxistauglich sind. FNR-Geschäftsführer Andreas Schütte erklärt wie das gehen soll: Von 2014 an soll Biomasse, aus denen Schmier- und Kunststoffe hergestellt werden, nach den verabschiedeten Kriterien getestet und zertifiziert werden. Dadurch werden immer mehr Chemiefirmen beim Einkauf von Biomasse auf deren nachhaltige Herstellung achten und das auch von den Lieferanten einfordern, hofft Schütte.

Martina Fleckenstein
Martina Fleckenstein vom WWFBild: Rosa Merk / WWF

"Am Ende muss das aber jedes Unternehmen für sich entscheiden", gibt Rothermel zu bedenken. Der VCI-Mann hält wenig davon, die Kriterien gesetzlich festzuschreiben. "Das könnte Unternehmen, die Biomasse nutzen wollen, abschrecken," warnt er. Nachhaltig hergestellte Biomasse sei relativ teuer, denn Arbeiter müssten besser bezahlt werden und Firmen müssten bessere Lager für Pestizide errichten.

Norbert Schmitz, Geschäftsführer der Firma International Sustainability & Carbon Certification (ISCC), einem weltweit agierenden Zertifizierungsunternehmen für Biomasse und Bioenergie aus Köln, gibt ein Beispiel: "Eine Tonne zertifiziertes Palmöl kostet heute etwa 30 bis 40 Euro mehr als nicht zertifiziertes Palmöl." Bei einem Preis von etwa 600 Euro für eine Tonne Palmöl ist das ein deutlicher Kostennachteil gegenüber Wettbewerbern, die nicht-zertifiziertes Palmöl verwenden.

Biomasse als Erdölersatz bisher nur bedingt möglich

Der Anteil an Biomasse für die chemische Produktion liegt in Deutschland bei 13 Prozent. Der mit Abstand größte Rohstoff für die Produktion sind fossile Energien. Nach Ansicht von VCI-Mann Rothermelkönnte dieser nicht durch Biomasse ersetzt werden ohne die Nahrungsmittelproduktion zu verdängen. Rothermel zieht einen Vergleich: Die größte Zuckerrohrmühle Brasiliens verarbeitet jährlich rund zehn Millionen Tonnen Zuckerrohr, die auf mehr als 1.000 Quadratkilometer wachsen. Daraus ließe sich zwar eine große Menge an Grundstoffen für Chemiefirmen gewinnen, doch wolle man die Chemieindustrie in Deutschland entsprechend mit Biomasse versorgen, so Rothermel, "müssten wir Halbdeutschland mit entsprechenden Nutzpflanzen bebauen und das ist natürlich undenkbar".

Es scheint, dass Erdöl und Erdgas mittelfristig wohl die wichtigsten Rohstoffquellen für die deutsche Chemieindustrie bleiben. Doch immerhin: Die Biomasse, von denen Chemiefirmen mehr und mehr einsetzen, kann zukünftig nachhaltig hergestellt sein.

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