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Wahlkampfauftakt in Brasilien

Greta Hamann23. Juli 2014

Die WM ist vorbei, jetzt steht der nächste Wettkampf an: Der um die Präsidentschaft. Einen Favoriten gibt es nicht. Fest steht nur: Der Wahlkampf wird aggressiv und das Ergebnis knapp.

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Brasilien Präsidentschaftskandidat Aecio Neves. (Foto: EPA/BOSCO MARTIN)
Aécio Neves ist Dilma Rousseffs größter Herausforderer im Kampf um die PräsidentschaftBild: picture-alliance/dpa

Die letzten Umfrageergebnisse werden Brasiliens Staatschefin Dilma Rousseff (PT) nicht viel Freude bereitet haben: Immer weniger Brasilianer wollen ihr am 5. Oktober ihre Stimme geben. Laut der aktuellsten Studie des Meinungsforschungsinstituts "Datafolha" würden derzeit nur noch 36 Prozent der Wähler für sie stimmen. Das sind zwei Prozentpunkte weniger als im Vormonat. Im November 2013 waren es noch 47 Prozent. Es ist das, was man einen stabilen Negativ-Trend nennen kann.

Damit würde das Wahlbündnis um Rousseff im ersten Wahlgang deutlich unter der nötigen absoluten Mehrheit von mehr als 50 Prozent der abgegebenen Stimmen liegen. Eine Stichwahl wäre nötig – laut der Erhebung gegen ihren größten Herausforderer Aécio Neves (PSDB), wie Rousseff Sozialdemokrat, vielleicht etwas liberaler. Auch für diesen Fall hat das Institut "Datafolha" die Meinung der brasilianischen Wähler untersucht. Das Ergebnis: Es könnte ein Patt geben.

"Dilma Rousseff ist seit letztem Jahr nicht mehr die Favoritin", sagt Politikwissenschaftler Valeriano Costa von der Universität "Unicamp" in Campinas nahe São Paulo. "Es wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen." Wer Präsident wird, das wird jetzt vor allem im Fernsehen entschieden. Die TV-Kampagnen der Politiker sind fundamental wichtig für die Entscheidung vieler Wähler. Die Wahlwerbung, die zwischen den beliebten Telenovelas ausgestrahlt werden, sind für viele Brasilianer ausschlaggebend.

Viele Wähler noch unentschieden

Das gilt umso mehr, da ein Großteil der Brasilianer noch nicht weiß, wem er seine Stimme geben wird. Diese Menschen gilt es jetzt mit Wahlspots zu überzeugen. Im August laufen die TV-Kampagnen an. Beide Spitzenkandidaten setzen jedoch jetzt schon - wie es Tradition im brasilianischen Wahlkampf ist - auf die Macht der Musik. Rousseffs Lied im Sertanejo-Stil, den man in Deutschland von Michel Telós "Nossa, nossa" kennt, heißt "Dilma - mutiges Herz". Neves tritt mit einem traditionellen Tanz des Nordostens und dem Titel "Aécio - ein guter Typ" an.

Aécio Neves will vor allem mit seiner Familie und seinen kleinen Zwillingen punkten, die im Juni geboren wurden. Ablenken von seinem Image des Partygängers und Playboys, das steht derzeit an erster Stelle. Bei vielen Brasilianern ist Neves, der bereits als Model gearbeitet hat, nämlich genau dafür bekannt.

Trotzdem steigt die Zahl derjenigen, die ihn wählen wollen. Denn viele sind enttäuscht von Dilma Rousseff. Die seit Mitte 2013 andauernden Proteste haben der Politikerin zu keinem guten Image verholfen. Hinzu kommen Korruptionsaffären ihrer Partei, die noch in der Aufarbeitung stecken. Der Mensalão-Skandal sorgte weltweit für Aufsehen. Dass auch gegen den Landesverband der PSDB, in dem Neves zum Senator und Präsidentschafts-Kandidaten aufgestiegen ist, wegen Korruption ermittelt wird, spielt selbst in brasilianischen Medien eine vergleichsweise untergeordnete Rolle.

Einfluss der WM wird überschätzt

Doch auf Rousseff lastet eben das Erbe der WM. Zahlreiche enttäuschte Brasilianer freuten sich sogar über das desaströse Auftreten der Seleção während der WM. "Zum Glück sind wir aus der WM geflogen. Brot und Spiele lenken uns nicht von den Problemen in unserem Land ab", hieß es unter anderem auf Twitter und Facebook.

Philipp Lahm erhählt WM-Pokal von Rousseff (Foto: Clive Rose/Getty Images)
Bloß schnell weg damit: Die WM hat Rousseff keine positiven Werte beschertBild: Getty Images

Ob aber das Abschneiden der Seleção tatsächlich die Wahlen beeinflussen wird, ist fraglich: "Bis zum Oktober haben die Brasilianer die WM schon lange wieder vergessen", sagt Politikwissenschaftler Costa. Ein großes Chaos - wie von vielen Kritikern vor Beginn der Weltmeisterschaft vorhergesagt - ist zudem ausgeblieben. Flughäfen und Verkehr funktionierten den Umständen entsprechend gut. Somit bleibt der Opposition wenig Angriffsfläche in diesem Bereich.

"Es wird ein harter und aggressiver Wahlkampf"

Dennoch investiert Rousseffs größter Herausforderer Neves viele Worte, um Rousseff schlecht zu machen. Sein Wahlkampf setzt auf das Niedermachen der vorangegangenen Regierungsperiode. Nachdem Rousseff beim Eröffnungsspiel Brasiliens gegen Kroatien im Stadion Itaquerão von Fans heftig ausgebuht und beschimpft wurde, zitierten Zeitungen ihn mit den Worten, Rousseff ernte, was sie gesät habe, die Beschimpfungen habe sie verdient. Das war bereits ein kleiner Vorgeschmack auf den Wahlkampf, glaubt Forscher Costa: "Es wird ein sehr harter, emotionaler und aggressiver Wahlkampf."

Rousseffs größter Unterstützer und politischer Ziehvater, Brasiliens ehemaliger Präsident (2003 - 2010) Lula da Silva, schob die große Wut der Stadionbesucher darauf, dass diese der gehobenen Mittelschicht angehörten. Lediglich die "Elite" könne sich den Eintritt in die Stadien leisten. "Niemand dort sah aus wie jemand aus der ärmeren Schicht Brasiliens", so Silva.

Rousseffs Stärke ist noch immer, dass ärmere Menschen sie unterstützen. Die von ihrem Vorgänger Lula da Silva ins Leben gerufenen Sozialprogramme haben vielen den Schritt in die Welt des Konsums ermöglicht. Viele Wähler aus der traditionellen Mittelschicht sehen genau das jedoch kritisch, weil sie es sind, die das meiste Geld durch ihre Steuern aufbringen müssen.

Wirtschaft stagniert

Gleichzeitig setzt die stagnierende Wirtschaft die Präsidentin unter Druck. Auch die WM hat der Wirtschaft des Gastgeberlandes keine nennenswerten Zugewinne gebracht. Viele Brasilianer sind verunsichert. Die Nachfrage-orientierte Wirtschaftspolitik der Regierung scheint nicht mehr zu greifen. Der in den vergangenen Jahren gestiegene Konsum droht nun einzubrechen.

Dilma Rousseff und Lula da Silva. (Foto: Fabio Rodrigues Pozzebom/EBC)
Lula (r.) unterstützt Rousseff im Wahlkampf0Bild: Fabio Rodrigues Pozzebom/EBC

Dass Rousseff nicht bereits als klare Favoritin mit großem Vorsprung in diesen Wahlkampf geht, ist eine Neuheit für die junge Demokratie Brasiliens. Sowohl Vorgänger Lula da Silva als auch Rousseff selbst konnten die vergangenen Wahlen stets mit einem großen Vorsprung von bis zu 20 Prozent der Stimmen für sich entscheiden.

Lula, der Rousseff im Wahlkampf zur Seite steht, hat das bemerkt: "Es wird der härteste Wahlkampf, den wir je hatten", sagte er den brasilianischen Medien. Und auch Politikwissenschaftler Valeriano Costa ist gespannt: "Noch nie hat es einen so knappen Wahlkampf gegeben. Wenn Rousseff gewinnen sollte, dann wirklich nur mit sehr wenigen Stimmen Abstand."