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BVerfG-Urteil: Kleine Parteien entzückt

Kay-Alexander Scholz26. Februar 2014

Einige kleine Parteien in Deutschland könnten vom Wegfall der Drei-Prozent-Hürde bei der Europawahl profitieren. Entsprechend groß war die Freude über das Urteil. Vertreter etablierter Parteien zeigten sich besorgt.

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BVG Urteil zu Europawahl 2014 mit Andreas Voßkuhle (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"Mit der heutigen Entscheidung des Gerichts ist gewährleistet, dass bei der kommenden Europawahl nicht wieder - wie vor fünf Jahren - ein erheblicher Teil der Wählerstimmen unter den Tisch fällt", erklärte Thorsten Wirth, Bundesvorsitzender der Piratenpartei Deutschland, wenige Minuten nach der Urteilsverkündung durch das Bundesverfassungsgericht. Für die Piraten, einer der Kläger gegen die Drei-Prozent-Hürde, erhöhen sich nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Chancen, Abgeordnete ins Europa-Parlament zu entsenden. Den Einzug in den Bundestag hatte die Partei mit 2,2 Prozent verfehlt.

Die Spitzenkandidatin der Piraten für die Europawahl, Julia Reda, sagte, das Urteil bedeute Gerechtigkeit. "Nach dem heutigen Urteil ist klar, dass sich keiner über das Prinzip der Chancengleichheit hinwegsetzen und den Willen von Millionen Wählerinnen und Wählern ignorieren darf." Auch kleine Parteien hätten schon "große Erfolge erzielt", führte Reda aus. So sei es den beiden Abgeordneten der schwedischen Piratenpartei im Europaparlament gelungen, das geplante Acta-Abkommen zu Fall zu bringen.

Julia Reda, Spitzenkandidatin der Piratenpartei für die Europawahl
Julia Reda, Spitzenkandidatin der Piratenpartei für die EuropawahlBild: imago

Anderer Fall als Bundestag

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hatte zuvor die Drei-Prozent-Hürde bei Europawahlen für verfassungswidrig erklärt. Geklagt hatten 19 kleinere Parteien. Damit gibt es bei der Europawahl im kommenden Mai keine Sperrklausel, die den Einzug kleiner Parteien ins Parlament verhindert. Die Drei-Prozent-Regelung verstoße gegen die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle bei der Urteilsverkündung.

In der Urteilsbegründung unterscheiden die Richter das Europa-Parlament vom Deutschen Bundestag, "wo die Bildung einer stabilen Mehrheit für die Wahl einer handlungsfähigen Regierung und deren fortlaufende Unterstützung nötig ist". Eine dahingehende Entwicklung des Europa-Parlaments stecke noch in den Anfängen. Auswirkungen des Wegfalls der Sperrklausel auf die Funktionsfähigkeit des Europa-Parlaments seien derzeit nicht abzusehen.

"Nun geht keine Stimme mehr verloren"

Als "Sieg für die Demokratie" bezeichnete Ulrike Müller das Urteil. Sie ist Spitzenkandidatin der Freien Wähler, einer bayerischen Regionalpartei. Sollte der Einzug ins EU-Parlament gelingen, wolle man für mehr Transparenz und Regionalität sorgen. Das Urteil schaffe neue Möglichkeiten für kleine Parteien und die Wähler. Nun gehe keine Stimme mehr verloren. "Ich bin stolz, dass das Gericht so entschieden hat", so Müller.

Drei-Prozent-Hürde ist verfassungwidrig

Auch die "Alternative für Deutschland" begrüßte das Urteil. Ihr Sprecher Bernd Lucke sagte, das Gericht habe "im Sinne der Bürger und der Demokratie insgesamt geurteilt“.

Der Chef der Linkspartei, Bernd Riexinger, twitterte nach dem Urteil: "Zugangshürden für Parlamente sind Demokratiehürden". Die Linkspartei hatte im Sommer 2013 als einzige Partei im Bundestag gegen eine Drei-Prozent-Sperrklausel gestimmt. Die anderen Parteien hatten sich auf diese verständigt, nachdem das Bundesverfassungsgericht die bis dahin gültige Fünf-Prozent-Sperrklausel 2011 gekippt hatte. "Der Bundestag und die Landtage sollten Mut zeigen und dem Beispiel folgen", erklärte der Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, Matthias Höhn. Zwar könnten bei völligem Verzicht auf derartige Hürden auch rechte Parteien profitieren. Aber dann müsse man die politische Auseinandersetzung mit diesen Partein noch offensiver führen, so Höhn weiter.

Hätte es bei der Europawahl 2009 keine Sperrklausel gegeben, wären nach Berechnungen des Bundeswahlleiters sieben weitere Parteien ins EU-Parlament eingezogen, darunter auch die rechtsextremen Republikaner oder die Rentner-Partei.

"Das ist keine sehr angenehme Situation"

Führende Europa-Parlamentarier von CDU und CSU bezeichneten das Urteil als "eine verpasste Chance". Es gebe in anderen EU-Ländern aus guten Gründen Sperrklauseln, sagten Herbert Reul (CDU) und Markus Ferber (CSU). "Nun müssen wir mit dem Urteil leben und auch damit, dass wir Splitterparteien und radikale Kräfte aus Deutschland im EU-Parlament haben werden. Das ist keine sehr angenehme Situation."

Friedrich Schmidt zum Urteil

Ziel des nun von den Verfassungsrichtern gekippten Gesetzes sei es gewesen, einer "Zersplitterung des Europäischen Parlaments vorzubeugen", sagte Thomas Oppermann, Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag. Umso mehr komme es nun darauf an, eine Zersplitterung politisch zu vermeiden. "Wir wollen alles dafür tun, dass extreme und rechte Parteien aus Deutschland keinen Platz im neuen Europäischen Parlament haben", so Oppermann.

Das Karlsruher Urteil zeuge "von Unkenntnis oder Respektlosigkeit" gegenüber dem Europaparlament, kritisierte die Ko-Vorsitzende der Grünen im Europa-Parlament, Rebecca Harms. Für den Bundestag werde eine Zersplitterung mit der Fünfprozenthürde als schädlich ausgeschlossen, für das Europaparlament werde dies hingenommen.

Das Forschungsinstituts "Infratest dimap" rechnet damit, dass nun sieben oder acht weitere Parteien aus Deutschland ins Europa-Parlament einziehen könnten. "Allerdings jeweils vertreten durch in der Regel einen einzigen Vertreter", sagte Geschäftsführer Richard Hilmer. Durch die Neuregelung sind nur noch knapp 150.000 Stimmen nötig, um einen Sitz im Parlament zu bekommen

Bundesregierung: Keine Auswirkungen auf Bundestagswahl

Das Europa-Parlament unterscheide sich deutlich vom Deutschen Bundestag, sagte Bundesjustizminister Heiko Maas in Berlin. "Es gibt keinen Hinweis darauf, dass wir uns nun auch mit der Fünf-Prozent-Hürde bei Bundestagswahlen auseinandersetzen müssen." Die Entscheidung der Verfassungsrichter beziehe sich allein auf das europäische Parlament.

Nach dem nun zunächst die Fünf- und jetzt auch die Drei-Prozent-Hürde gekippt worden seien, gehe er davon aus, so Maas weiter, dass die heutige Entscheidung "das letzte Wort zur Sache" gewesen sei. Ähnlich äußerte sich auch Bundesinnenminister Thomas de Maiziere.