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Mutmaßlicher Kriegsverbrecher Csatáry gestorben

Keno Verseck / das 12. August 2013

Der 98-jährige László Csatáry war in Ungarn wegen Beihilfe zur Tötung Tausender Juden im Zweiten Weltkrieg angeklagt. 2012 wurde er in Budapest festgenommen und stand seither unter Hausarrest.

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Laszlo Csatary (L), aka Ladislaus Csizsik-Csatary, flanked by his nurse, arrives back to his home, where he is under house arrest, in Budapest on July 31, 2012, after his interrogation by the prosecutor office. Accused by the Wiesenthal Center of organising the World War II deportation to their deaths of some 16,000 Jews from the ghetto of Kosice in present-day southeast Slovakia -- the ethnic Hungarian has protested his innocence. In 1948, a court in then-Czechoslovakia sentenced him to death in absentia, but he made it to Canada where he lived and worked as an art dealer before being stripped of his citizenship in the 1990s. AFP PHOTO / ATTILA KISBENEDEK (Photo credit should read ATTILA KISBENEDEK/AFP/GettyImages)
Festnahme Kriegsverbrecher Laszlo Csatary in BudapestBild: ATTILA KISBENEDEK/AFP/GettyImages

In seinem Heimatland sollte László Csatáry der Prozess gemacht werden, doch der 98-jährige mutmaßliche Kriegsverbrecher ist am Samstag (10.08.2013) in einem Krankenhaus in Budapest gestorben. Er soll 1944 als Polizeichef der Stadt Kaschau, des heutigen Kosice in der Ostslowakei, für den Abtransport von 15.700 Juden aus dem örtlichen Sammellager nach Auschwitz verantwortlich gewesen sein. Csatáry war dafür bereits 1948 in der Tschechoslowakei in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden. Er war nach dem Krieg nach Kanada geflüchtet und hatte dort lange unbehelligt gelebt. Mitte der 1990er Jahre entzogen ihm die kanadischen Behörden die Staatsbürgerschaft, ermittelten gegen ihn wegen Kriegsverbrechen und strengten ein Ausweisungsverfahren an. 1997, noch vor der offiziellen Ausweisung, zog Csatáry nach Budapest, wo er bis zu seiner Verhaftung im Juli 2012 ebenfalls unbehelligt lebte.

Peinlich sei die Geschichte seiner Verhaftung gewesen, schrieb der Publizist Miklós Gábor 2012 in der linksliberalen Budapester Tageszeitung "Népszabadság": Da kämen Journalisten eines britischen Boulevardblattes in die ungarische Hauptstadt, fotografierten einen damals 97-jährigen Greis an seiner Wohnungstür in Unterhosen und präsentierten ihn als abgetauchten hochrangigen Nazi-Kriegsverbrecher. Ob Ungarn auch noch berühmt werde als Land, das Mörder verstecke, fragte sich Gábor besorgt. Immerhin habe der Gesuchte doch jahrzehntelang unbehelligt in Kanada leben können.

Falsche Darstellung Csatárys?

Der Publizist Miklós Gábor war nicht der Einzige, der im Fall László Csatáry Zweifel äußerte. Auch allgemein war die ungarische Öffentlichkeit durchaus geteilter Meinung über die Art und Weise, wie der mutmaßliche Kriegsverbrecher entdeckt und dargestellt wurde: Er war am 15. Juli 2012 im britischen Boulevardblatt "Sun" als der "meistgesuchte Nazi-Kriegsverbrecher der Welt" präsentiert worden - Reporter hatten ihn zuvor in seiner Budapester Wohnung aufgespürt.

Der Historiker László Karsai, selbst Nachfahre von Holocaust-Überlebenden und Experte für die Geschichte des Holocaust, sagte in ungarischen Medien, im Zweiten Weltkrieg hätten etwa 200.000 ungarische Soldaten, Gendarmen und Polizisten ähnliche Taten begangen wie Csatáry, also an den Deportationen der Juden mitgewirkt oder an Verbrechen gegen sie teilgenommen. Den alten Mann als hochrangigen Kriegsverbrecher darzustellen, sei falsch und irreführend.

Porträt von Efraim Zuroff vom Simon-Wiesenthal-Zentrum (Foto: EPA)
Efraim Zuroff vom Simon-Wiesenthal-ZentrumBild: picture-alliance/dpa

Untätige ungarische Behörden?

Schon längere Zeit vor der Verhaftung war Csatárys Name auf der Liste der meistgesuchten Kriegsverbrecher des Simon-Wiesenthal-Zentrums. Der Direktor des in Jerusalem beheimateten Zentrums, Efraim Zuroff, hatte ungarische Behörden offenbar schon mehrmals über Csatáry informiert, zuletzt im April 2012, also mehrere Monate vor der Verhaftung. Zuroff beschuldigte die ungarischen Behörden, im Fall Csatáry lange Zeit untätig gewesen zu sein.

Der für den Fall verantwortliche Budapester Staatsanwalt Tibor Ibolya wies die Vorwürfe vor der Presse zurück: Die Ermittlungen seien dadurch erschwert worden, dass es um Verbrechen gehe, die fast siebzig Jahre zurücklägen und die an einem Ort außerhalb des heutigen Ungarn stattgefunden hätten. Zudem müsse man Zeugen in Israel suchen. Außerdem habe Csatáry lange Zeit in Kanada gelebt.

Schon früher ähnliche Fälle

Ein ähnlich gelagerter Fall endete 2011 zunächst mit einem Freispruch: Der ehemalige Gendarmerie-Offizier Sándor Képíró war 2006 in Budapest aufgespürt worden. Die Behörden warfen ihm Beteiligung an dem Massaker von Novi Sad im Januar 1944 vor, im Mai 2011 begann der Prozess. Der Richter sprach Képíró jedoch in erster Instanz frei. Zwar legte die ungarische Staatsanwaltschaft Berufung ein, doch Képíró starb im September 2011 - vor Prozessende.

Schwieriger Umgang mit Antisemitismus in Ungarn

Jenseits langwieriger juristischer Prozeduren tut sich ein großer Teil der ungarischen Gesellschaft schwer mit der Aufarbeitung der Verbrechen gegen die ungarischen Juden im Zweiten Weltkrieg wie auch mit dem Antisemitismus in Ungarns Geschichte der Zwischenkriegszeit. Miklós Horthy, Ungarns Staatsoberhaupt in der Zwischenkriegszeit, ein notorischer Antisemit und mitverantwortlich für die Deportation von mehr als 400.000 Juden nach Auschwitz von Mai bis Juli 1944, erfährt in Ungarn eine Rehabilitation: An mehreren Orten wurden Horthy-Statuen aufgestellt und Gedenktafeln eingeweiht.

Mutmaßlicher NS-Kriegsverbrecher Sandor Képiró beim ersten Prozess mit einem Schild in der Hand auf Ungarisch: "Mrder eines 97 Jahre alten Mannes!" (Quelle: AP Photo/Bela Szandelszky)
Mutmaßlicher NS-Kriegsverbrecher Képiró beim ersten ProzessBild: dapd

Der ungarische Parlamentspräsident László Kövér nahm im Mai 2012 an einer Gedenkzeremonie für den Dichter József Nyírö teil, ein führender Kulturideologe während der Herrschaft der nationalsozialistischen Pfeilkreuzpartei Mitte der 1940er Jahre in Ungarn. Israel hat Kövér deshalb zur unerwünschten Person erklärt, der Nobelpreisträger Elie Wiesel gab aus demselben Grund einen Verdienstorden an Ungarn zurück.