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"Ohne die Kurden keine Lösung"

Kersten Knipp15. Januar 2014

Der kurdisch-syrische Politiker Saleh Muslim glaubt nicht an einen kurzfristigen Erfolg der Schweizer Syrien-Konferenz. Nach einem Ende des Krieges könnten die Kurden aber Garanten des Friedens in der Region sein.

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Der syrisch-kurdische Politiker Salah Muslim, 3.9. 2012 (Foto: Christophe Petit Tesson/MAXPPP)
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Herr Muslim, in den kurdischen Gebieten im Norden Syriens liefern sich kurdische Milizen seit Wochen Kämpfe mit Al-Kaida und deren Ablegern. Wie sieht die Situation derzeit aus?

Saleh Muslim: Es gibt eine Reihe unterschiedlicher dschihadistischer Vereinigungen in Syrien. Sie bekämpfen sich gegenseitig, kämpfen gemeinsam aber auch gegen die Kurden. Teilweise werden sie von den Truppen des Regimes unterstützt, etwa durch Waffenlieferungen. Die Dschihadisten werden auch von den lokalen Regierungen in der Region unterstützt, die die Kurden nicht mögen. Ich habe die westlichen Staaten um Unterstützung der syrischen Kurden bei ihrem Kampf gegen die Dschihadisten gebeten - leider ohne Erfolg. Dabei kommen viele Dschihadisten aus Europa. Es sind Terroristen, die Menschen auf offener Straße abschlachten. Sie sind eine Gefahr für die gesamte Welt. Darum bieten wir den westlichen Staaten an, mit uns zusammenzuarbeiten.

Aber sollte nicht zuletzt die Auseinandersetzung mit Präsident Baschar al-Assad Priorität genießen?

Das trifft zu. Assad lässt die Syrer unterdrücken und töten. Das Regime sollte gestürzt und durch eine demokratische Regierung ersetzt werden. Aber anders als die dschihadistischen Kämpfer hat Assad eine Adresse. Man weiß, wo man ihn erreichen kann. Die dschihadistischen Gruppen haben hingegen keine Adresse. Sie bilden auch keine Armee. Darum sind sie eine Gefahr für die gesamte Welt.

Das Hohe Kurdische Komitee, der Dachverband nahezu sämtlicher kurdischer Parteien, wurde nicht zur Genfer Syrien-Konferenz eingeladen. Jetzt nehmen Repräsentanten der Kurden im Rahmen der "Nationalen Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionsgruppen" teil. Wie bewerten Sie das?

Bis jetzt stehen die Namen der kurdischen Vertreter nicht fest. Aber es scheint, als würden Personen aufgestellt, die die Kurden kaum repräsentieren. Außerdem werden sie die Probleme der Kurden nicht ansprechen können, denn diese wurden nicht auf die Agenda gesetzt.

Haben Sie dennoch Erwartungen an die Konferenz?

Nein. Wir glauben aber, dass sich die auf der Konferenz angesprochenen Probleme nur auf lange Sicht und nicht ohne Einbeziehung der kurdischen Frage lösen lassen. Darum wird man früher oder später mit uns reden müssen.

Können die Kurden denn nicht im Rahmen der "Nationalen Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionsgruppen", dem Dachverband der syrischen Assad-Gegner, für ihre Interessen eintreten?

Eindrücke von einer Reise in den Norden Syriens

Die Koalition ist ein künstliches Gebilde. Sie repräsentiert nicht alle Kurden - und damit auch nicht alle Syrer. Sie setzt sich aus Personen zusammen, von denen die westlichen Staaten annehmen, dass sie die Syrer repräsentieren sollten. Tatsächlich präsentieren diese Gruppen aber vor allem die Interessen des Westens.

Wie kann den Ihrer Meinung nach die Gewalt in Syrien beendet werden?

Ich denke, die Zeit wird knapp. Jeden Tag sterben Hunderte Menschen. Zwar gibt es Widerstandsgruppen gegen Assad. Aber Staaten wie die Türkei, Saudi Arabien und Katar mögen diese Kräfte nicht. Denn es handelt sich um linke und demokratische Kräfte, die diesen Staaten nicht zuhören. Sie interessieren sich nicht für die Zuwendungen dieser Staaten, sie interessieren sich vor allem für die syrische Bevölkerung. Darum sollten sich alle diese Gruppen vereinen und dazu beitragen, das syrische Problem zu lösen. Auf dieser Grundlage könnten sie dann auch mit dem Regime und auf internationaler Ebene verhandeln.

Welche Vorstellungen haben Sie hinsichtlich der Zukunft der kurdischen Gebiete?

In unserer eigenen Region in Syrien bemühen wir uns um eine demokratische Lösung. Es soll keine Teilung oder Grenzen zwischen den Kurden und den anderen Regionen Syriens geben. Wir streben eine Art demokratische Konföderation an. Zudem arbeiten wir derzeit an einer Übergangsverwaltung. Sie soll allen Bürgern der Region dienen: Kurden, Arabern, Assyrern und Turkmenen.

Halten Sie es für möglich, dass die Staaten, auf denen sich die kurdischen Gebiete befinden - also die Türkei, der Iran, Irak und Syrien - so etwas wie ein autonomes und wohlmöglich grenzüberscheitendes Kurdengebiet akzeptieren können?

Die Kurdenfrage muss in sämtlichen Regionen gelöst werden. Im Irak gibt es aufgrund der föderalen Struktur bereits eine Art Lösung. Wir sind nicht gegen die Türkei, gegen den Iran oder sonst jemanden. Im Gegenteil, die Grenze zwischen Syrien und der Türkei wird sicherer sein. Denn auf beiden Seiten dieser Grenze leben Kurden. Es wird eine friedliche Grenze sein.


Saleh Muslim ist Co-Vorsitzender der Demokratischen Einheitspartei der Kurden (PYD) und Mitglied des Kurdischen Hohen Komitees – ein Dachverband nahezu sämtlicher kurdischen Parteien in Syrien.

Das Gespräch führte Kersten Knipp