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Der ungewollte König

Nastassja Steudel5. August 2014

Ein 33-jähriger Muslim aus Westfalen soll seinen Titel als Schützenkönig wieder abgeben: Die Vereinssatzung erlaubt nur christliche Mitglieder. Rechtlich ist das in Deutschland möglich.

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Ein Teilnehmer des Patronatstages der bayerischen Gebirgsschützen mit geschultertem Gewehr (Foto: Karl-Josef Hildenbrand dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Der König, der keiner sein darf, lacht in die Kamera. Auf dem Kopf trägt er einen jagdgrünen Hut mit einer Feder an der Seite. An seinen Hals hängt die silberne Königskette - wie es sich für einen Regenten gehört. Seine Frau hat eine Krone auf dem Kopf: Mithat Gedik hat sie zu seiner Königin erkoren. Auf der Vereinsseite der Schützenbruderschaft Sönnern-Pröbsting prangt dieses Bild. Der Eintrag dazu scheint hastig geschrieben worden zu sein: In der Überschrift "Unser neuer Regent 2014" findet sich ein Tippfehler. Seine Krönung hat für jede Menge Wirbel gesorgt - weil der neue König kein Christ ist.

Mithat Gedik ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Seine Eltern kamen aus der Türkei in die Bundesrepublik. Beim Abitur belegte er katholische Religion als Prüfungsfach. Mit seiner Frau und den vier Kindern lebt er seit vielen Jahren in Werl-Sönnern, einem Dorf in Westfalen. Er leitet als Kaufmann die Niederlassung eines großen Unternehmens in Mannheim. In seinem Wohnort engagiert er sich in der freiwilligen Feuerwehr und sitzt im Vorstand des örtlichen Schützenvereins. Und dann, am 18. Juli 2014, gelingt Gedik unter dem Beifall seiner St. Georg-Schützenbrüder ein Schuss, der ihn zunächst zum König und anschließend zum Protagonisten in einer Debatte über Integration und Toleranz macht. "Wir haben doch nicht provozieren wollen, sondern wollten nur ein schönes Schützenfest feiern", sagt Gedik später.

Satzung schließt nicht-christliche Mitglieder aus

Laut einem Bericht des Westfälischen Anzeigers soll Gedik seinen rechtmäßig erworbenen Titel aus Gründen der Religion nun wieder abgeben. Denn ein muslimischer Schützenkönig - das geht dem Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften (BDHS) zu weit. Der BDHS wacht als Dachverband auch über die St. Georg-Bruderschaft, wo Gedik bereits König ist. Beim traditionellen Königsschießen in Werl-Ense darf der 33-Jährige also nicht antreten. Rolf Nieborg, Sprecher des BDHS, kommentierte das mit dem lapidaren Satz "Wer lesen kann, ist klar im Vorteil." Der Schützenverein habe offenbar seine eigene Satzung nicht gelesen: Denn demnach hätte Gedik überhaupt kein Mitglied werden dürfen. In Paragraf 2 heißt es: "Die Schützenbruderschaft St. Georg Sönnern-Pröbsting ist eine Vereinigung von christlichen Menschen." Was das bedeutet, darüber habe sich offenbar niemand Gedanken gemacht: "Es hat ihn wohl niemand nach seiner Konfession gefragt, weil er so gut integriert ist", so Nieborg.

Mithat Gedik hat am beim Schützenfest in Werl-Sönnern (Nordrhein-Westfalen) den Vogel abgeschossen und wird von seinen Schützenbrüdern gefeiert. (Foto: Klaus Tomicek/dpa)
Gedik: "Integration funktioniert in Deutschland nur oberflächlich"Bild: picture-alliance/dpa

Verein droht Rauswurf

Michael Röcken, Anwalt für Vereinsrecht, bestätigt die Rechtmäßigkeit der Haltung der Schützenbrüder: "Wenn es in der Satzung eine solche Formulierung gibt, hätte Mithat Gedik als Mitglied gar nicht aufgenommen werden dürfen." Integration hin oder her: Solche Bestimmungen seien nach Eintragung in das Vereinsregister rechtlich erlaubt. Bei deren Gestaltung haben Vereine freie Hand. "Nach Artikel neun des Grundgesetzes kann jeder Verein beispielsweise für sich entscheiden, welche Mitglieder er aufnehmen möchte und welche nicht", so Röcken im DW-Interview. Artikel drei des Grundgesetzes, wonach alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, oder auch das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz fänden in einem solchen Fall keine Anwendung: "Grundrechte gelten vor allem für das Verhältnis zwischen Staat und Bürger."

Rechtsanwalt Michael Röcken. (Foto: RA Michael Röcken)
Röcken: "Eine Entthronung würde Gedik zu einem Vereinsmitglied zweiter Klasse machen"Bild: Michael Röcken

Abdankung als Lösung?

Um die Wogen zu glätten, hat der Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften vorgeschlagen, den König um Abdankung zu bitten oder ihn zum Bürgerschützenkönig zu ernennen. Andernfalls droht den St. Georg-Schützenbrüdern der Rauswurf aus dem BDHS: Denn mit dem muslimischen Schützenkönig verstoße dieser gegen die Prinzipien des Dachverbandes. "Aus dessen Satzung geht hervor, dass man sich zu diesen ausdrücklich bekennen muss", so der Rechtsexperte Röcken. Der Wechsel zum Sauerländer Schützenbund, der einen nicht-christlichen Schützenkönig zulässt, hätte eine Rettungsmöglichkeit sein können, doch "Abtrünnige" werden in anderen Verbänden nicht aufgenommen.

"Wie im Mittelalter"

"Es ist mir völlig unverständlich, dass wir im 21. Jahrhundert solche Diskussionen führen müssen", sagt der Mann, um dessen Krone es geht. In den vergangen Tagen habe er viel Zuspruch bekommen, so Mithat Gedik. "Einige haben gesagt, dass das Ganze doch nichts mehr mit Integration zu tun hat." Auf der Homepage des Vereins finden sich in der Kommentarspalte neben Solidaritätserklärungen viele Sätze des Erstaunens: "Wie im Mittelalter", schreibt dort eine Userin. "Das ist für mich ganz sicher nicht christlich. Ich koche vor Wut." Ein Anderer gibt Tipps, wie man die Vereinssatzung so interpretieren könnte, dass Gedik keine Probleme mehr hätte. Ein Dritter gibt zu bedenken, dass wahrscheinlich niemand überprüft habe, ob alle christlichen Mitglieder überhaupt noch Mitglieder der Kirche seien. Den eigentlichen Vogel abgeschossen hat am Ende aber nicht der Schützenkönig selbst, sondern ein Mitglied des Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften: Dieser soll dem muslimischen Schützenbruder Gediks eine Konvertierung zum Christentum ans Herz gelegt haben.

Mitglieder eines Schützenvereins sitzen am 15.07.2011 bei einem Schützenfest in Holdorf (Landkreis Vechta) in einem Zelt. (Foto: Friso Gentsch/ dpa)
Ein Wechsel zu einem anderen Schützenverein ist nicht möglich: Abtrünnige werden nicht aufgenommenBild: picture-alliance/dpa

Inzwischen ist der Fall auch bis in die Politik vorgedrungen. Der nordrhein-westfälische Integrationsminister Guntram Schneider (SPD) rief die Beteiligten zu einer schnellen Einigung auf. "Ich hoffe, dass diese Peinlichkeit zügig aus der Welt geschaffen wird", so Schneider. Am Mittwoch (06.08.2014) werden sich der Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften und der betroffene Mitgliedsverein nun über den König, der keiner sein darf, beraten.