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Musiker an die Front

Klaus Gehrke 11. August 2014

Die meisten Europäer waren der Ansicht, der Erste Weltkrieg könne nicht lange dauern. So meldeten sich auch viele Musiker und Komponisten an die Front. Doch der Einsatz für das Vaterland kostete viele das Leben.

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1.Weltkrieg, Bläserensemble
Bild: picture alliance / akg-images

Tapfer fürs Vaterland und die Ehre zu kämpfen und möglicherweise dafür den Heldentod zu riskieren: Dieses Thema spielte seit Menschengedenken eine nicht unwichtige Rolle in vielen dramatischen Bühnenwerken; für zahllose Musiker in den Orchestergräben der städtischen Theater gehörte es quasi zum Berufsalltag. Und mit pathetisch-patriotischen Kompositionen ließ sich durchaus Geld verdienen. Allerdings kannte der überwiegende Teil der damaligen Musikerzunft Kriegsgeschehnisse kaum noch aus persönlicher Erfahrung, lag der deutsch–französische Krieg von 1870/71 doch schon Jahrzehnte zurück.

Notenpapier im Frontgepäck

Als Kaiser Wilhelm II. am 1. August 1914 in Berlin die allgemeine Mobilmachung verkündete, hatte Richard Strauss, einer der Stars unter den deutschen Komponisten, gerade seinen 50. Geburtstag gefeiert. Strauss, ebenso wie sein populärer fünf Jahre jüngerer Landsmann Hans Pfitzner, war für den Soldateneinsatz bereits zu alt; ihr österreichischer Kollege Arnold Schönberg dagegen, der später vor allem durch seine Zwölfton-Werke berühmt werden sollte, erhielt 1915 mit 41 Jahren seinen Stellungsbefehl. Nach einer Ausbildung zum Reserveoffizier absolvierte er ab 1917 seinen Dienst als Musiker in einer Militärkapelle.

Schönbergs Schüler Hanns Eisler, der als 18-Jähriger zum Militärdienst einberufen wurde, hatte ebenso wie sein Lehrer und vermutlich auch andere Komponisten Notenpapier mit an die Front gebracht, um in den Kampfpausen Ideen für neue Werke zu notieren. Angesichts der Gräuel in den Schützengräben verflüchtigten sich kreative Gedanken allerdings zunehmend; auch Eislers geplantes Oratorium "Gegen den Krieg" blieb nur ein Fragment.

Soldat im 1. Weltkrieg
An der Front blieb das Komponieren auf der StreckeBild: Getty Images

"Ich will und muss in den Krieg"

Als Anton Webern, ebenfalls ein Schüler Schönbergs, nach Kriegsausbruch nicht einberufen wurde, meldete er sich freiwillig. Bereits 1914 hatte er an Alban Berg, wie er ein Mitglied der Wiener Schule, geschrieben: "Ich muss in den Krieg. Ich muss. Ich halte es nicht mehr aus." Im Verlauf seines Einsatzes, währenddessen er bis 1917 weitab von der Front als Offiziersanwärter Rekruten ausbildete, wandelte Webern sich jedoch zum Pazifisten.

Auch Berg diente hinter den Linien; bis Kriegsende absolvierte er seinen Militärdienst überwiegend im Kriegsministerium in Wien. Alle Versuche Arnold Schönbergs, eine vorzeitige Entlassung für seinen Schützling zu erwirken, blieben erfolglos; Berg sagte später: "Ich glaube, Sie werden nicht so bald einen so enragierten Antimilitaristen finden wie mich!"

Der österreichische Komponist Anton Webern
Anton Webern wollte anfangs unbedingt an die FrontBild: picture-alliance/IMAGNO/Wiener Stadt- und Landesbibliothek

Wie Berg und Webern fieberte auch Maurice Ravel zu Kriegsbeginn seiner Einberufung entgegen. 1915 erfüllte sich der Wunsch des 40-jährigen französischen Komponisten; Ravel diente als Lastwagenfahrer in der Nähe von Verdun. Angesichts der Schwerverletzten, die von der Front ins Hinterland transportiert wurden, wandelte auch er sich zum entschiedenen Kriegsgegner.

"Für das Vaterland…"

Ähnlich wie Ravel erlebte auch der deutsche Avantgarde-Musiker Paul Hindemith hautnah das Geschehen an der Front. Er wurde 1917 im Alter von 22 Jahren einberufen und versah seinen Dienst als Trommler in einem Militärmusikcorps. Im Einsatzgebiet Flandern erlebte Hindemith mehrfach Fliegerangriffe bei Konzerten und notierte später: "Blut, durchlöcherte Körper, Hirn, ein abgerissener Pferdekopf, zersplitterte Knochen – furchtbar!"

Sanitäterwagen im 1. Weltkrieg
Wer nur leicht verletzt wurde, hatte GlückBild: TASCHEN

Ob Hindemith Rudi Stephan am Frankfurter Konservatorium noch kennenernte, ist ungewiss. Stephan galt als vielversprechender junger Komponist, starb aber am 29. September 1915 im Alter von 28 Jahren bei Gefechten in Galizien. Ähnlich erging es den britischen Nachwuchstalenten George Butterworth und Ernest Farrar, beide Jahrgang 1885: Butterworth fiel am 5. August 1916 in Frankreich in der Somme-Schlacht, Farrar kam am 18. September 1918 bei Épehy ums Leben.

Ein tragisches Ende fand auch der französische Komponist Albéric Magnard: Er versuchte am 3. September 1914, sein Anwesen zu verteidigen und schoss auf anrückende deutsche Soldaten. Diese feuerten zurück und setzten damit sein Haus in Brand. Magnard kam in den Flammen um.

Verletzungen und Traumata

Musiker und Komponisten starben aber nicht nur in den Kämpfen des Krieges, sondern auch an dessen Spätfolgen; der Einsatz von Nervengas etwa forderte noch bis in die 1920er Jahre zahlreiche Opfer. Auch der französische Komponist André Caplet konnte infolge einer Gasvergiftung während seines Fronteinsatzes nicht mehr dirigieren und starb 1925 im Alter von 47 Jahren. Zu den physischen Verletzungen kamen oft auch Traumata, die Männer wurden von Alpträumen und Nervenleiden geplagt. Etliche Musiker waren arbeitsunfähig und mussten ihren Beruf aufgeben. Die Auswirkungen auf das Orchesterwesen waren enorm und konnten nach Kriegsende nur langsam ausgeglichen werden.

Symbolbild - Erster Weltkrieg
Gasangriffe hinterließen schwere SchädenBild: Getty Images