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Mujicas Koalition bangt um Wiederwahl

Pablo Kummetz25. Oktober 2014

Das Land boomt, und der Trend zeigt weiter aufwärts. Daher schien die Wiederwahl der Regierungskoalition in Uruguay reine Formsache - bis vor wenigen Monaten. Doch nun liegt die Opposition in Umfragen gleichauf.

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Uruguays scheidender Präsident José Mujica (Foto: picture-alliance/Demotix)
Bild: picture alliance/Demotix

Seit zehn Jahren regiert in Uruguay die "Frente Amplio", ein Zusammenschluss von mehr als einem Dutzend Parteien des linken Spektrums. Und obwohl ihre Galionsfigur, Kult-Präsident José Mujica, nicht wiedergewählt werden kann, galt die Wiederwahl am 26. Oktober 2014 der Regierungskoalition als reine Formsache.

Doch seit einigen Monaten weht der "Breiten Front" ein rauer Wind entgegen: Luis Alberto Lacalle Pou, der 41 Jahre junge Kandidat des Mitte-Rechts-Lagers, stellt die vermeintliche Idylle der linksliberalen Welt infrage. Eine Woche vor der Wahl liegt Lacalle Pou in Umfragen gleich auf mit Tabaré Vázquez, dem Vorgänger und designierten Nachfolger von Mujica.

Erfolgsrezept: soziale Marktwirtschaft

Vor allem in ihrer zweiten Legislaturperiode hatte die "Frente Amplio" mit José Mujica nationale und internationale Anerkennung für ihren gemäßigten Linkskurs bekommen. 2013 ernannte das britische Wirtschaftsmagazin The Economist Mujica zum "Präsidenten des Jahres" - mit gutem Grund, denn Uruguays Wirtschaftsdaten sind beeindruckend.

Luis Lacalle Pou im Wahlkampf um die Präsidentschaft in Uruguay. (Foto: EUTERS/Andres Stapff)
Luis Lacalle Pou macht Uruguays Regierung die Wiederwahl streitigBild: Reuters/Andres Stapff

Das Bruttoinlandsprodukt wuchs in den vergangenen vier Jahren um durchschnittlich 5,5 Prozent, die Armutsquote ist zwischen 2006 und 2013 von 34 auf 11,5 Prozent gesunken und die Arbeitslosigkeit liegt bei historisch niedrigen sechs Prozent. Mitte 2012 hoben die Ratingagenturen das Land auf "Investmentgrade" an. Und tatsächlich sind ausländische Direktinvestitionen gestiegen - genauso wie die Nachfrage nach Anleihen aus Uruguay.

Der Schlüssel zum Erfolg ist nicht ganz neu: eine linke Regierung, die eine marktorientierte Wirtschaftspolitik verfolgt. Den sachorientierten Kurs des Wirtschaftsministeriums in Montevideo trüben keine populistischen Experimente, wie sie auf der anderen Seite des Rio de la Plata in Buenos Aires an der Tagesordnung sind.

Visitenkarte: wachsender Wohlstand

Statt wie die argentinische Regierung die Gelddruckmaschine anzuschmeißen, finanziert Uruguays Regierung ihre Umverteilungspolitik aus moderaten Steuererhöhungen. Die Grundlage dafür bildet eine florierende Marktwirtschaft mit produzierendem Gewerbe in zwölf Sonderwirtschaftszonen und mehreren starken Branchen wie Software, Holzindustrie, Tourismus und allen voran die Logistik.

Umfragen zufolge sind heute nur sechs Prozent der 3,4 Millionen Uruguayer unzufrieden mit der eigenen wirtschaftlichen Situation. 45 Prozent der Bevölkerung beschreiben ihre Lage als gut oder sehr gut. Der Rest spürt zumindest keine Verschlechterung. Zwei von drei Uruguayern rechnen damit, dass ihr Einkommen im nächsten Jahr steigen wird.

Tabare Vazquez im Wahlkampf um die Präsidentschaft in Uruguay. (Foto: Xinhua)
Tabaré Vázquez soll noch einmal für die "Frente Amplio" Präsident werdenBild: picture-alliance/landov

Dazu kommt ein gesellschaftlich liberaler Kurs, der Uruguay und seinem Präsidenten José Mujica international ein progressives Images verpasst hat: Die Legalisierung von Marihuana-Konsum und Homo-Ehe, Asyl für syrische Flüchtlinge und die versprochene Aufnahme von Guantánamo-Häftlingen erachten viele Beobachter auf beiden Seiten des Atlantik als wegweisend - nicht nur für lateinamerikanische Länder.

Schwachpunkt: vermeintliche Idylle

Doch genau diese Maßnahmen stoßen in Uruguay eben nicht auf uneingeschränkte Zustimmung, manchen geht die liberale und linke Orientierung der Regierung zu weit. Die Liberalisierung der Abtreibungsregelung ist sogar innerhalb der regierenden "Frente Amplio" umstritten.

Manchen Teilen der Gesellschaft ist das Erreichte wiederum zu wenig; wieder andere beklagen sich über den Steuerdruck, obwohl sie mehr verdienen als früher. Und auch die Nähe zu populistischen Regierungen - obwohl mehr taktisch als aus Überzeugung - schmeckt vielen Wählern nicht.

Und nicht zuletzt hat die "Frente Amplio" es nicht geschafft, sich zu erneuern. Zu den diesjährigen Wahlen tritt sie mit der gleichen Mannschaft an wie vor zehn Jahren: Präsidentschaftskandidat Tabaré Vázquez ist 74, der scheidende Mujica 79 Jahre alt.

Suche nach Synthese

Herausforderer Lacalle Pou macht sich diese Unzufriedenheit sehr geschickt zunutze. Statt die "Frente Amplio" zu diskreditieren, lobt er ihre Verdienste und kündigt an sie zu vertiefen. Seine Kritik konzentriert sich auf Aspekte wie Bildung und öffentliche Sicherheit, die zu wünschen übrig lassen. Außerdem plädiert er für eine vorsichtige Loslösung vom Mercosur, denn das einst bejubelte Freihandelsabkommen mit Argentinien, Brasilien, Paraguay und Venezuela ist mittlerweile eher Hemmschuh denn Motor für den Außenhandel. Deshalb will Lacalle Pou, ähnlich wie Präsidentschaftskandidat Aécio Neves in Brasilien, dass Uruguay sich anderen Partnern zuwendet: den USA, der Europäischen Union und der Pazifik-Allianz, einem erfolgreicheren Freihandelsbündnis, das von Mexiko bis Chile reicht.

In großen Teilen der Bevölkerung kommt Lacalle Pou damit sehr gut an. Denn viele Uruguayer wollen eine weitere Erneuerung des politischen Systems, die sie der "Frente Amplio" nicht zutrauen. Die "Frente Amplio" war lange Zeit die Antithese zu den beiden konservativen Parteien "Blancos" und "Colorados", die vor 2005 fast hundert Jahre lang das Land regierten. Jetzt verlangen viele Uruguayer nach der Synthese.

Vielleicht gewinnt die "Frente Amplio" noch die letzten unentschiedenen Wähler für sich. Doch wenn sie den ersten Wahlgang nicht für sich entscheidet, könnte Lacalle Pou von den Blancos mit Hilfe der Colorados die Stichwahl am 30. November für sich entscheiden. Aktuellen Umfragen zufolge hat er eine realistische Chance auf das Präsidentenamt.