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Mitgift in Indien

Gabriel Dominguez17. September 2013

In Indien ist die uralte Tradition der Mitgift noch weit verbreitet. Doch heute ist sie gesetzlich verboten, aus gutem Grund: Immer mehr Frauen sterben im Zusammenhang mit Mitgift-Streitigkeiten.

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Indische Massenhochzeit unter indischen Muslimen, Ahmadabad pixel
Bild: picture alliance/AP Photo

Die Tradition ist Jahrhunderte alt: seit jeher stattet die Brautfamilie ihre Tochter zur Hochzeit mit Gold, Schmuck oder anderen wertvollen Dingen aus. Diese Mitgift verschaffte der jungen Ehefrau in Indien traditionell einen anerkannten Status innerhalb der Familie des Bräutigams, und sie ermöglichte ihr einen gewissen finanziellen Rückhalt für den Notfall.

Doch während des knappen Jahrhunderts der offiziellen britischen Kolonialherrschaft (1858 bis 1947) änderte sich die Bedeutung der Mitgift, schreibt die amerikanische Geschichtswissenschaftlerin Veena Talwar Oldenburg in ihrem Buch 'Dowry Murder: The Imperial Origins of a Cultural Crime'. "Als Konsequenz der massiven wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwälzungen unter der britischen Herrschaft verloren die Frauen ihr Recht auf wertvolle Güter als Brautgabe. Sie hatten immer weniger Kontrolle über ihre Mitgift. Dieser Prozess führte schließlich soweit, dass die Frauen als weniger wert erachtet wurden - eine Entwertung, die ihr ganzes Leben betraf."

Verwurzelt in der Gesellschaft

Die Familie der Braut zahlte nun die Mitgift direkt an die Familie des Bräutigams - zunächst, um die Kosten für die Hochzeit zu decken, später entwickelte sich diese Zahlung immer stärker zu einer Einkommensquelle. Die Mitgiftzahlungen sind häufig eine immense Belastung für die Familie der Braut. Immer mehr Familien bevorzugen daher Söhne und neigen dazu, Mädchen zu vernachlässigen. In einigen Bundesstaaten werden sogar noch immer Mädchen nach der Geburt getötet.

Junge indische Bräute bei Ihrer Hochzeit (Foto: AFP)
Junge Bräute in Indien - weit verbreitet ist die Tradition der MitgiftzahlungenBild: Sajjad Hussain/AFP/Getty Images

Die wachsenden Erwartungen des Bräutigams führen immer wieder zu Konflikten zwischen den Familien - zu Lasten der Frauen. Tausende von ihnen werden jedes Jahr im Zusammenhang mit Mitgiftstreitigkeiten verstoßen, geschlagen, drangsaliert oder sogar verbrannt. Aus diesem Grund ist die Praxis der Mitgift in Indien seit 1961 gesetzlich verboten.

Dennoch wird die Tradition hartnäckig fortgesetzt. "Sie existiert in allen gesellschaftlichen Schichten. Sogar gut ausgebildete Menschen sagen nicht nein, wenn es um Mitgift geht", sagt Suman Nalwar, Polizistin in Neu Delhi und für Gewalttaten gegen Frauen zuständig, gegenüber der Nachrichtenagentur Associated Press.

"Die stark patriarchalische indische Gesellschaft, wachsende Armut und eine generelle Abwertung von Frauen haben dazu geführt, dass Gewalt in die Mitgiftpraxis Einzug gehalten hat", sagt Ranjana Kumari, Direktorin des "Centre for Social Research" in Neu Delhi gegenüber der Deutschen Welle: "Viele Menschen halten fest an traditionellen Vorstellungen, zum Beispiel, dass Frauen nach der Hochzeit Eigentum ihrer Ehemänner werden und dass sie eine finanzielle Bürde für ihre Familie sind." Es komme häufig zu gewalttätigen Konflikten, wenn der Bräutigam oder dessen Angehörige unzufrieden seien mit der Mitgift, oder wenn die Brautfamilie nicht deren Forderungen nach weiteren Zahlungen entspreche.

Gewalt und ihre Folgen

Nach der amtlichen indischen Kriminalstatistik ist die Zahl der Gewalttaten in den vergangenen Jahren gestiegen: im Jahr 2001 kamen 6851 Frauen im Zusammenhang mit Mitgiftstreitigkeiten ums Leben. Im Jahr 2012 waren es 8233, wobei dabei nicht ganz klar ist, ob die Zahl der Taten tatsächlich steigt oder einfach nur mehr Verbrechen angezeigt werden.

Eine verschleierte Frau wendet sich ab (Foto: AFP)
Tausende Frauen werden wegen Mitgiftkonflikten verstoßen, geschlagen, drangsaliert oder sogar verbranntBild: Prakash Singjh/AFP/Getty Images

Die Zahl der Verurteilungen blieb in diesem Zeitraum jedoch gleichbleibend niedrig: durchschnittlich nur jeder dritte Täter wurde verurteilt. Dafür gebe es zwei Gründe, so Kumari: "Zum einen sind die polizeilichen Untersuchungen mangelhaft. Das liegt daran, dass es zu wenig Polizisten gibt und dass viele von ihnen schlecht ausgebildet sind." Zum anderen sei Korruption innerhalb der Polizei stark verbreitet. "Viele Beamte nehmen Bestechungsgelder an von den Familien der Angeklagten und weigern sich dann, den Fall weiter zu verfolgen."

"Vor diesem Hintergrund zögern die Familien der Opfer häufig, die Täter anzuzeigen", sagt Savita Pande, Professorin für Südasiatische Studien an der Jawaharlal Nehru Universität in Neu Delhi. "Außerdem scheuen viele das Stigma, das mit den oft langen Verfahren verbunden ist. Deshalb werden die Streitigkeiten häufig jenseits des Gerichts ausgetragen."

Die Auseinandersetzungen haben häufig eine weitere tragische Folge. Sie führen dazu, dass viele Frauen Selbstmord begehen, berichtet Pande. Die Dunkelziffer sei hoch, aber die Behörden gehen davon aus, dass sich durchschnittlich vier Frauen pro Stunde in Indien aufgrund von Mitgiftkonflikten selber töten - "obwohl es Gesetze gibt, die ihnen den Rücken stärken".

"Eine wachsende Kultur der Gier"

Auch die Wirtschaftsentwicklung Indiens trage indirekt dazu bei, dass die Mitgiftforderungen wachsen. "Hochzeiten werden immer mehr zu geschäftlichen Transaktionen", so Pande gegenüber der Deutschen Welle. "Der wachsende Lebensstandard bei vielen hat zu einer Kultur der Gier geführt. Heutzutage fordern die zukünftigen Ehemänner teure Geräte, Autos oder Wohnungen, während sie sich früher noch mit Kleidung, Schmuck, oder weniger teuren Artikeln zufrieden gegeben haben."

Indiens Bundesstaaten versuchen seit langem, Verbrechen und Gewalt im Zusammenhang mit Mitgift einzudämmen. Der südindische Staat Tamil Nadu gründete zu diesem Zweck als erster Bundesstaat bereits 1992 eine Polizei-Spezialeinheit. Inzwischen gibt es 200 Dienststellen allein in diesem Bundesland.

Neues Bewusstsein

"Wir haben viele Gesetze. Aber noch fehlt das Bewusstsein dafür, Frauen zu respektieren, sie als gleichberechtigt zu betrachten und ihnen einen angemessenen Platz in der Gesellschaft einzuräumen. Es muss von den Familien geschaffen werden, denn sie bilden das Fundament unserer Gesellschaft", sagt Pande. Ein erster Schritt wäre, "die Mitgift zu verweigern, denn sie ist moralisch verwerflich und komplett ungerechtfertigt". Auch Nichtregierungsorganisationen, die auf unterster gesellschaftlicher Ebene arbeiten, können "mit neuen Initiativen dazu beitragen, den Status von Frauen zu verbessern", fügt Mangai Natarajan, Professorin für Strafjustiz an der City University in New York hinzu.

Frauenrechtlerin Ranjana Kumari aus Indien. (Foto: DW)
"Mehr als eine Generation ist nötig, um die Haltung gegenüber Frauen zu verändern", sagt Ranjana KumariBild: privat

Es gebe keine kurzfristige Lösung für das Mitgift-Problem, da sind sich die Experten einig. Die Regierungen der Bundesländer und auch die Zentralregierung müssten Verantwortung übernehmen für die Sicherheit von Frauen in der Öffentlichkeit. Wenn es nicht gelinge, überkommene Traditionen und Haltungen in der Gesellschaft zu verändern, werde auch die Gewalt gegen Frauen unvermindert weiter gehen.