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Mit Emotionen die Welt verstehen

Christian Ignatzi7. Mai 2014

In Köln fand der erste europäische Newsgames-Hackathon statt. Bei dem Treffen entwickelten Journalisten, Programmierer und Spiele-Designer innerhalb von 48 Stunden Nachrichten in Form von Computerspielen.

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Bild: picture-alliance/ZB

Manchmal ist eine Rechnung ganz einfach: News + Games = Newsgames. Der Journalist und Spieleentwickler Marcus Bösch stellt diese Rechnung auf der Website des Newsgame-Hackathons auf. Das Treffen - zusammengesetzt aus den Wörtern Hacker und Marathon - am Dienstag und Mittwoch (06./07.05.2014) in Köln war das erste seiner Art in Europa. Die Deutsche Welle hat es als Medienpartner unterstützt. Das Ziel des Hackathons: Journalisten, Programmierer und Game-Designer entwickeln innerhalb von 48 Stunden digitale Spiele, die journalistische Inhalte vermitteln. Denn genau darum geht es bei Newsgames: "Wir haben damit die Möglichkeit, in einer neuen journalistischen Darstellungsform den Mediennutzern interaktive Erfahrungen zu ermöglichen", sagte Bösch der DW.

Bislang nutzten vor allem amerikanische Medien wie die New York Times die ungewöhnliche Darstellungsform. Die Nutzer der Internetseite der US-Zeitung konnten etwa im Spiel "You fix the budget" in die Rolle des Finanzministers schlüpfen und das Budget der Vereinigten Staaten verteilen und verantworten. "Würde man den gesamten US-Haushalt ausdrucken, wären das mehrere hundert Seiten, die man sich durchlesen müsste. In dem Spiel waren die Daten aber leichter erfahrbar", sagt Bösch.

Kongress Newsgames-Hackathon Foto: CC-Guy Degen
Bild: CC-Guy Degen

Auch er hat schon Newsgames produziert, etwa Prism, bei dem der Spieler zufällig ausgewählte Instagram-Blogfotos abschießen muss, um symbolisch Daten zu sammeln. "Man erfährt dadurch ein Stück weit, wie sehr die NSA in die Privatsphäre einzelner Menschen eindringt." Diese persönlichen Erfahrungen der Nutzer, glaubt Bösch, machen Newsgames wertvoll für die Berichterstatter: "Sie könnten zu einer der wichtigsten Darstellungsformen des 21. Jahrhunderts werden", sagt der Spieleentwickler und zieht einen Vergleich: "Jemand der Fahrradfahren lernt, hat auch mehr davon, wenn er sich selbst auf den Sattel setzt, als wenn er nur in einem Buch liest, wie man Fahrrad fährt." Aus seiner Erfahrung als Designer wisse er außerdem, "dass Games sehr sehr gut darin sind, Systeme zu erklären." Es gebe Spiele, in denen man Städte planen muss, die einem eine Idee davon geben würden, wie Städtebau in Grundzügen funktioniere.

Einen weiteren Vorteil von Newsgames sieht die Professorin für Gamedesign an der Universität Düsseldorf, Linda Breitlauch: "Wenn Emotionen mit dabei sind, nimmt man Informationen viel besser auf", sagt sie. "Das funktioniert etwa dann, wenn man in einem Game einen Flüchtling spielt und sich somit ein Stück weit in dessen Lage hineinversetzt, weil es sehr schwierig ist, erfolgreich zu fliehen."

Kongress Newsgames-Hackathon Foto: CC-Guy Degen
Bild: CC-Guy Degen

Journalisten könnte es damit gelingen, den Nutzern ihrer Medien einen Mehrwert zu geben, der dabei hilft, Informationen zu verarbeiten und Zusammenhänge zu verstehen. Allerdings müsse man aufpassen, dass die Emotionen der Nutzer nicht für falsche Zwecke genutzt werden, sagt Breitlauch. Wenn ein Spieler etwa als US-Soldat Osama bin Laden töten soll, ginge das eindeutig zu weit. "Wenn die Medien das Spiel nutzen, um eine bestimmte Situation möglicherweise zu propagieren, dann machen sie auch journalistisch den Fehler, nicht neutral zu sein." Eine Manipulation der Nutzer sei allerdings auch in anderen Stilformen, etwa in Videoreportagen möglich.

Mit dem Programmieren von Nachrichten-Computerspielen können Firmen allerdings bislang noch kein Geld verdienen: "Noch geht es den Entwicklern von Newsgames eher um Prestige", sagt Breitlauch. Komplexe Spiele bräuchten Wochen und Monate, sind damit teuer und für tagesaktuelle Nachrichten nicht zu gebrauchen. Themen wie die Flüchtlingsproblematik oder anhaltende Konflikte ließen sich trotzdem schon heute gut in kleineren Spielen umsetzen. Die Technik macht's möglich: "Mittlerweile gibt es spezielle Baukastensysteme, mit denen Journalisten solche Spiele relativ schnell programmieren können", sagt Spieledesigner Bösch. Die Journalisten, die an seinem Hackathon teilnahmen, präsentieren nach 48 Stunden schon Ergebnisse: Das bekannte Handyspiel "Flappy-Bird" setzten die Teilnehmer zu "Privilege-Bird" um, bei dem der Protagonist als weißer Mann leichter zu steuern ist, als eine schwarze Frau mit Behinderung. "Weitere Spielethemen, die in der Entwicklungsphase sind, sind die Weltmeisterschaft in Brasilien, oder Fracking", sagt Bösch. Erste Ergebnisse und Prototypen haben die Teilnehmer auf ein eigens eingerichtetes Blog hochgeladen.

Darüber, wie sich die Sparte entwickeln wird, wollen die Experten noch keine Prognosen treffen. Marcus Bösch hat inzwischen mit "The Good Evil" die erste Newsgame-Firma in Deutschland gegründet. "Jeder Versuch, ein Newsgame zu produzieren, ist sinnvoll und zielführend", sagt er. "Was in fünf Jahren ist, weiß ich zwar nicht, aber die Zukunft sieht am Anfang immer albern aus. Auch das erste Auto und der erste Fernseher wurden belächelt."