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Deutscher Manager in Frankreich

Andreas Noll12. Januar 2013

Zehn Jahre hat der Deutsche Frank Esser den französischen Mobilfunkkonzern SFR geführt. Jetzt kennen die Mitarbeiter dort seine Aktionspläne - und Esser die schmerzhaften Folgen der französischen Regulierung.

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Porträt von Frank Esser (Foto: Andreas Noll)
Manager Frank EsserBild: DW/A. Noll

Karriereberater hätten Frank Esser bestimmt abgeraten. Keine Chance! Ohne Französischkenntnisse im zweitgrößten Mobilfunkkonzern Frankreichs reüssieren? Eine ziemlich abwegige Vorstellung. Und doch ist Frank Esser dieses Kunststück gelungen - auch wenn ihm die Idee nicht selbst gekommen ist. Frank Esser wurde gefragt: vom damaligen Vivendi-Chef Jean-Marie Messier, der für seine Mobilfunktochter eine neue Führungskraft suchte. Das traf sich gut, denn der Mannesmann-Manager hatte nach der verlorenen Abwehrschlacht gegen den britischen Mobilfunkkonzern Vodafone nichts gegen einen Tapetenwechsel. Also zog Esser im Jahr 2000 mit Frau und den beiden Kindern vom Rhein an die Seine.

"Ein paar Monate" in Frankreich hätten befreundete Manager ihm gegeben und sich damit gründlich verschätzt, erinnert sich der promovierte Ökonom. Wobei der Start zunächst durchaus holprig verlief. "Die größte Überraschung für mich war, wie schwierig es ist - obwohl man im Land ist - eine neue Sprache neu zu erlernen." Zwei Abende pro Woche und das Wochenende hatte der vollkommen Esser für das Sprachstudium reserviert - ein Knochenjob. Der erste Vortrag vor den Mitarbeitern, mühsam vom Blatt abgelesen, muss sich schlimm angehört haben. Aber nach den Reden sind immer viele Mitarbeiter gekommen, um dem vollkommen uneitlen Manager zu seinen Fortschritten zu gratulieren. "Es war wichtig, Französisch zu sprechen, aber noch wichtiger, dass ich mich bemüht habe."

Andere Sprache, andere Kultur

Der zurückhaltende und betont leise auftretende Rheinländer aus Erkelenz musste sich aber nicht nur an eine neue Sprache, sondern auch an eine ganz andere Managementkultur gewöhnen. "In Deutschland ist Effizienz und Zielgerichtetheit ein wesentliches Kriterium. Wenn einmal eine Entscheidung getroffen wurde, geht es darum, sie auszuführen. In Frankreich dagegen sind Werte wie Kreativität und Flexibilität viel höher bewertet." Was dann zu Problemen führen könne, weil getroffene Entscheidungen in der Erwartung einer noch besseren Lösung nicht umgesetzt würden. Seine Reaktion: Esser hat in Paris Aktionspläne eingeführt. Und auch eine andere deutsche Tradition hat er mitgenommen: "Teamorientiertes Management ist für mich sehr wichtig gewesen. Nicht ein Mensch, der alles weiß und alles entscheidet ist vorne, sondern einer, der im Team arbeitet."

Das Logo von SFR (Foto: Philippe Huguen ( AFP)
Ein Konzern mit gut 10.000 Beschäftigten: SFRBild: Getty Images

Mit dem Vorsitz eines der bekanntesten Unternehmen Frankreichs bekam Esser auch schnell Zugang zu den wichtigen Zirkeln des Landes. Kein Problem sei das gewesen - sogar in das elitäre Siècle-Netzwerk ist er nach drei Jahren gekommen. Damals wurde er dort häufig auf die Agenda 2010 von Bundeskanzler Schröder angesprochen - "vor allem die Franzosen von der Geschäftsseite haben neidvoll darauf geschaut." Doch die französische Antwort auf die Agenda, sie ist bis heute ausgeblieben. Obwohl die Medien immer mal wieder darüber spekulieren, ob Präsident Hollande nicht einen ähnlichen Reformsprung wagen könnte.

"Frankreich hat eine Fülle von Gesetzen, die das Leben erschweren"

Die französische Politik - das ist wohl der Bereich Frankreichs, mit dem der Manager am meisten hadert. Schon die Grundeinstellung unterscheide sich von Deutschland. Die französische Politik sehe sich gerne in der Rolle des Beschützers der Bürger. "Sie sehen das am Verbraucherschutz, aber auch in anderen Bereichen. In Deutschland werden Leitplanken gesetzt, in Frankreich schreibt der Staat bis ins kleinste Detail alles vor." Nach zehn Jahren an der Spitze des zweitgrößten Mobilfunkanbieters Frankreichs war es auch diese französische Tradition, die Esser im März 2012 den Job gekostet hat. Als sich vor einem Jahr der neue Anbieter free - gestützt auf eine wohlwollende Regulierung - anschickte, mit Kampfpreisen den französischen Markt zu erobern, hatten Esser und der Aufsichtsrat unterschiedliche Vorstellungen, wie das Unternehmen auf die Bedrohung reagieren müsse. Man trennte sich im beiderseitigen Einverständnis.

Symbolbild Wirtschaftskrise Frankreich (Foto: Christian Hartmann/Reuters)
Frankreichs wirtschaftliche Lage stimmt nachdenklichBild: Reuters

Ob der nächste Job auch in Frankreich sein wird, ist derzeit noch völlig unklar. "Ich genieße die Zeit in Frankreich, aber ich habe mich immer als Europäer gefühlt. Als Deutscher in Frankreich. Das ist für mich die Zukunft, dass man als Europäer in Deutschland, England, Frankreich etc. arbeiten kann, aber Deutscher bleibt." Gut möglich also, dass es ihn als nächstes nach England verschlägt. Auf jeden Fall soll es wieder eine dynamische Branche werden - Internetwirtschaft zum Beispiel. Seine Kinder haben sich nach den vielen Jahren in Paris bereits für eine zeitweise Rückkehr nach Deutschland entschieden und sind zum Studium nach Köln gegangen - zurück zu ihren Wurzeln. Dorthin, wo auch ihr Vater studiert und gelehrt hatte.

Ein Land mit Potential

Anders als viele alarmierende Artikel in den Medien sieht Esser seine Wahlheimat nicht vor dem Absturz: Hervorragende Infrastruktur, trotz Defiziten ein insgesamt gutes Bildungssystem und motivierte Leute - der 54-Jährige kann von Frankreich schwärmen, ohne die Schattenseiten zu vergessen: "Die Sorge, die ich habe, ist der fehlende Reformwille. Die Reformen im Arbeitsrecht und weiteren Feldern werden nicht angegangen, sondern verschleppt." Auf der anderen Seite verweist er auch darauf, wie sich das Land verändert. Im Bildungsbereich versucht man die duale Ausbildungssystem in Berufsschule und Betrieb nach deutschem Vorbild einzuführen, auch der Nachholbedarf im Mittelstand sei erkannt. Aber Reformen brauchen Zeit. Besonders in Frankreich, weiß der wohl einzige deutsche Manager, der über einen Eintrag in der französischen, aber nicht der deutschen Wikipedia verfügt.

Porträt von Präsident Hollande (Foto: Reuters)
Regiert nicht nach deutschen Plänen: Präsident HollandeBild: Reuters