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Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg

29. September 2010

Zwangsarbeit im nationalsozialistischen Deutschland war lange ein Tabu-Thema. Im Jüdischen Museum Berlin ist nun eine Wanderausstellung zu sehen, in der die erschreckende Dimension dieses Verbrechens deutlich wird.

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Zwangsarbeiter montieren auf dem Gelände des Daimler-Werkes in Minsk eine Schiene. Im Hintergrund ist eine Werkshalle zu sehen. (Foto: Mercedes Benz)
Zwangsarbeiter im Daimler-Werk in MinskBild: Mercedes-Benz Classic, Archive

"Kolonne Grünspan lernt arbeiten!", steht auf dem Transparent, das zwei Männer in die Höhe halten. Hinter ihnen haben rund ein Dutzend weiterer Zwangsarbeiter Aufstellung genommen. In militärisch anmutender Pose schultern sie Schaufeln und Spitzhacken, als handelte es sich um Gewehre. Juden, ob in Deutschland oder den besetzten Gebieten, waren die ersten Opfer im nationalsozialistischen Zwangsarbeit-System. Öffentlich wurden sie als "arbeitsscheu" verunglimpft und gedemütigt. Der Zynismus gipfelte in der Inschrift über den Eingangstoren zu den Konzentrationslagern: "Arbeit macht frei".

Mehr als 20 Millionen Männer, Frauen und Kinder

Mehr als 20 Millionen Männer, Frauen und Kinder aus fast ganz Europa wurden nach Deutschland verschleppt oder mussten in den besetzten Gebieten Zwangsarbeit leisten. Ausstellungs-Leiter Volkhard Knigge, zugleich Direktor der KZ-Gedenkstätte Buchenwald, spricht von der Geschichte eines "öffentlichen Verbrechens". Zwangsarbeiter seien spätestens seit 1941 überall eingesetzt worden, als Hilfskräfte in Familien, in der Landwirtschaft, in verschiedensten Industrie-Branchen, sogar in Kirchen.

KZ-Häftlinge auf der IG Farben-Baustelle im Vernichtungslager Auschwitz; im Vordergrund sind große Pflastersteine zu sehen, im Hintergrund dsa weitläufige Werks-Gelände. Die Aufnahme stammt wahrscheinlich aus dem Jahr 1943. (Quelle: Bundearchiv Koblenz)
KZ-Häftlinge auf der IG Farben-Baustelle im Vernichtungslager AuschwitzBild: Bundesarchiv, Koblenz

Knigge spricht von "nationalsozialistischer Tiefendurchdringung der deutschen Gesellschaft". Auch deshalb ist der Ausstellungs-Titel treffend und prägnant: "Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg". Finanziell ermöglicht wurde sie mit Mitteln der Stiftung 'Erinnerung, Verantwortung, Zukunft', die vier Millionen Euro zur Verfügung stellte. Die auch unter dem Namen Zwangsarbeiter-Stiftung bekannte Organisation mit Sitz in Berlin wurde im Jahr 2000 gegründet und hat weltweit lebende Opfer mit einer Summe von rund fünf Milliarden Euro entschädigt. Das Geld stammte je zur Hälfte vom Steuerzahler und von der deutschen Wirtschaft, die in der NS-Zeit am meisten von den billigen Arbeitskräften profitiert hat.

In den Baracken herrschte eisige Kälte

Wie gut das System der Zwangsarbeit funktionierte, ist in der Ausstellung mit ihren rund 1000 Fotos, Briefen, Ton- und Bilddokumenten nachvollziehbar. Denunziation von Juden, Sinti und Roma, verächtliche Kommentare über so genannte Fremdarbeiter aus den von der Wehrmacht besetzten Gebieten gehörten zum Alltag. Die Deutschen hätten sich entscheiden müssen, wie sie diesen Menschen begegnen, betont der Historiker: "Mit einem Rest von Mitmenschlichkeit oder den menschenfeindlichen Kriterien der rassistischen Ideologie."

Selektion sowjetischer Kriegsgefangener zur Zwangsarbeit im Kriegsgefangenenlager Zeithain, viele von ihnen nackt. Das Farb-Foto stammt aus dem Jahre 1942. (Quelle: Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain)
Selektion sowjetischer Kriegsgefangener zur Zwangsarbeit im Kriegsgefangenenlager Zeithain 1942Bild: Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain

An Audio-Stationen lassen sich nachgesprochene schriftliche Erinnerungen anhören, wie die des Franzosen Jaques Leperc, der mit Anfang 20 beim Autohersteller BMW Zwangsarbeit verrichten musste – unter hygienisch katastrophalen Bedingungen.

"In der Baracke, wo ich einquartiert wurde, herrschte eisige Kälte. Ich nahm meine Arbeit auf: zwölf Stunden täglich im wöchentlichen Wechsel mit der zwölfstündigen Nachtschicht, die von zahlreichen Luft-Angriffen unterbrochen wurde."

Trotz schwerer Krankheit überstand Leperc die Ausbeutung, die Schikanen, die schlechte medizinische Versorgung. Mit der Ausstellung wolle man auch die noch lebenden Zwangsarbeiter würdigen, sagt Volkhard Knigge.

Lob von einem Auschwitz-Überlebenden

Der Auschwitz-Überlebende Marian Turski mit einem Mikrofon in der Hand während der Presse-Konferenz zur ZWangsarbeit-Aussetllung. (Foto: DW)
Marian TurskiBild: DW

Erstmals könne man alle Aspekte ihres Schicksals darstellen, auch die der Nachkriegszeit. Dafür haben Historiker weltweit in privaten und staatlichen Archiven recherchiert, überwiegend in Europa, aber auch in den USA und Israel. Überrascht sei man vor allem von der unerwartet breiten fotografischen Überlieferung. Dieses oft wie in einem Film szenisch dargestellte Material ermöglicht einen tiefen Einblick in das Leben und Leiden der Zwangsarbeiter, das an zahlreichen Einzel-Beispielen dargestellt wird.

Der polnische Historiker Marian Turski, der das Warschauer Getto ebenso überlebt hat wie die Konzentrationslager Auschwitz und Buchenwald, ist von dem Ergebnis der jahrelangen Recherchen beeindruckt. "Es ist eine sehr ernste, kluge, sorgfältig vorbereitete Ausstellung." Er freue sich, dass sie auch in seinem Heimatland zu sehen sein wird. Von Berlin wird die Ausstellung 2011 nach Warschau wandern. Mit anderen Ländern sei man im Gespräch, sagt Kurator Knigge.

Hoffen auf Interesse in Ost-Europa

Vor allem hofft man auf Interesse in Ländern der früheren Sowjetunion, wo heimkehrende Zwangsarbeiter oft als Vaterlandsverräter gebrandmarkt wurden. Auf eine internationale Nachfrage sind die Verantwortlichen jedenfalls gut vorbereitet. Die Ausstellung wurde nämlich auch in englisch, russisch, polnisch und französisch konzipiert.

Ein erhängter Zwangsarbeiter taumelt am Galgen, während andere davor stehen und zusehen müssen. Die Aufnahme stammt aus Bayern und ist undatiert. (Quelle: Sammlung Vernon Schmidt, Veteran der U.S. Army)
Zur Abschreckung wurden Zwangsarbeiter auch erhängt, die anderen mussten zuschauenBild: Sammlung Vernon Schmidt, Veteran der U.S. Army

Die Besucher erfahren auch einiges über die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere über die Verdrängung des Themas Zwangsarbeit. Das ging mitunter so weit, dass, wie 1951 in Landsberg geschehen, Tausende gegen die Hinrichtung verurteilter NS-Verbrecher demonstrierten. Das unfassbare Motto der Veranstaltung: "Protestkundgebung gegen die Unmenschlichkeit".

Entschädigung war "eingeschränkte Gerechtigkeit"

Es dauerte länger als ein halbes Jahrhundert, bis der deutsche Staat und die von der Zwangsarbeit vor allem profitierende Wirtschaft Opfer entschädigten, letztlich nur in Folge internationalen Drucks. Der Historiker Jens-Christian Wagner, der ebenfalls zum Ausstellungs-Team gehört, bezeichnet die allzu späte Entschädigung als "eingeschränkte Gerechtigkeit". Die humanitäre Hilfe für die überlebenden Zwangsarbeiter sei zu einem Zeitpunkt erfolgt, als 80 Prozent von ihnen bereits tot gewesen seien.

Arbeitsbücher für ausländische Zwangsarbeiter mit dem Reichsadler und Hakenkreuz. (Quelle: Sammlung Gedenkstätte Buchenwald, Weimar, Foto: Peter Hansen)
Arbeitsbücher für ausländische ZwangsarbeiterBild: Sammlung Gedenkstätte Buchenwald, Weimar

"Und man muss ganz deutlich sagen, dass große Gruppen von Zwangsarbeitern, etwa sowjetische Kriegsgefangene und italienische Militär-Internierte, bis heute nicht entschädigt worden sind", bedauert Wagner. Die Geschichte der Zwangsarbeit ist also noch nicht zu Ende, betont der Historiker – in den Archiven gebe es noch eine Menge zu entdecken und auszuwerten.

In einer Arbeits-Kolonne mit Imre Kertész

Marian Turski, der im Vernichtungslager Auschwitz Straßen bauen und im KZ Buchenwald in einer Kolonne mit dem späteren Literatur-Nobelpreisträger Imre Kertész arbeiten musste, bedauert, dass wohl nur die wenigsten Überlebenden in seiner Heimat die Ausstellung werden sehen können. "Die meisten sind zu alt und leben auf dem Lande. Es wird für sie wahrscheinlich ein bisschen schwieriger sein, nach Warschau zu kommen, um die Ausstellung zu besuchen." Nach einen kurzem Moment des Zögerns fügt Turski hinzu, es sei doch aber eigentlich wichtiger, dass die Nachgeborenen mit Hilfe der Ausstellung mehr über das lange verschwiegene Nazi-Verbrechen der Zwangsarbeit erfahren könnten.

Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg."

Jüdisches Museum Berlin

Lindenstraße 9-14

Öffnungszeiten: täglich 10 bis 20 Uhr, montags bis 22 Uhr

Autor: Marcel Fürstenau

Redaktion: Manfred Götzke