1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Wahlurne per Fallschirm

Christian Ignatzi19. September 2013

Abgeschnitten von der Außenwelt oder einfach zu weit weg. Wer im Ausland seine Stimme zur Bundestagswahl abgeben will, kann es schwer haben. Doch Wahlzettel werden auch auf unkonventionelle Weise verschickt.

https://p.dw.com/p/19kG3
Ein Aufklärungs-Tornado der Bundeswehr (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

An Bord des Forschungsschiffs "Polarstern" werden die deutschen Forscher am kommenden Sonntag (22.09.2013) gespannt vor den Computerbildschirmen sitzen. Die Hochrechnungen der Bundestagswahl im Livestream. Aktiv beeinflussen können die Wissenschaftler auf dem Eisbrecher, der im antarktischen Weddell-Meer unterwegs ist, die Wahl aber nicht. Seit Mitte August ist das Schiff auf See. Beim Start in Chile lagen noch keine Briefwahlunterlagen bereit. Auch ihre neun Kollegen auf der "Neumayer-Station III" in der Antarktis haben Pech. Zwar existiert ein Flugbetrieb zur Forschungsstation, der ist aber wegen schlechter Wetterbedingungen bis Oktober ausgesetzt. Da die Briefwahlunterlagen erst vier Wochen vor dem Wahltermin verschickt werden können, werden die Forscher somit zwangsweise zu Nichtwählern.

Doch nicht an jedem Arbeitsplatz im Ausland ist es, trotz widriger Bedingungen, unmöglich, seinen Wahlzettel abzugeben. Die Bundeswehr etwa kümmert sich in dieser Hinsicht um ihre Soldaten. Sie macht es möglich, dass auch Marinesoldaten auf der Fregatte "Niedersachsen" auf offener See kurzfristig ihre Unterlagen zugestellt bekommen. Auf unkonventionelle Art und Weise, wie Oberstleutnant Markus Beck aus dem Einsatzführungskommando in Potsdam im DW-Gespräch erläutert: "Anfang September haben sie ihre fehlenden Unterlagen in einer Kapsel bekommen, die ein spanisches Aufklärungsflugzeug über dem Meer abgeworfen hat." Die internationale Zusammenarbeit, auch wenn es um die Bundestagswahl geht, sei nichts ungewöhnliches, sagt Beck: "Wir haben ein kameradschaftliches Verhältnis und helfen einander, wo wir können." Ein Boot holte die Kapsel schließlich aus dem Wasser und brachte sie den Wahlberechtigten auf das Schiff.

Blick aus einem Sea-Lynx-Hubschrauber auf die Fregatte "Niedersachsen" (Foto: dpa)
Konnte wählen: Die Besatzung der Fregatte "Niedersachsen"Bild: picture-alliance/dpa

67.000 Deutsche wählen in diesem Jahr im Ausland

Auch in anderen Einsatzgebieten versucht die Bundeswehr so gut es geht, ihren Soldaten die Wahl zu erleichtern. Meist geht es dabei aber eher unspektakulär zu. "Sie bekommen die Wahlunterlagen mit der normalen Feldpost geliefert", sagt Beck. In diesem Jahr habe alles reibungslos und rechtzeitig funktioniert. Das ist wichtig, weil die ausgefüllten Wahlunterlagen am Wahltag spätestens um 18 Uhr im zuständigen Bezirk angekommen sein müssen, damit die Stimme zählt.

Manchmal wird es zeitlich aber eng. Auch da lässt sich die Bundeswehr etwas einfallen. Die Mitarbeiter des Wahlamts der Stadt Wilhelmshaven, bei dem die Briefwahlzettel der Marinesoldaten eingehen, haben schon einiges erlebt: "Einmal haben sie die Wahlzettel mit einer eiligen Ladung Blutkonserven zu uns geschickt", erinnert sich einer der Beamten. "Wir haben aber auch schon Briefe per Tornado-Kampfjet geliefert bekommen. Im Notfall schickt die Bundeswehr die Wahlzettel mit allem, was sich bewegt."

Wer im Ausland lebt, ohne im Extremeinsatz zu sein, hat es bequemer. Insgesamt haben in diesem Jahr 67.000 der rund 1,4 Millionen Auslandsdeutschen ihren Wahlzettel verschickt. "Das sind etwas mehr als bei der vergangenen Wahl", sagt der Sprecher des Bundeswahlleiters, Klaus Pötzsch, im DW-Gespräch. Wie viele der Wähler einfach vergessen, die Briefwahl zu beantragen, ist nicht bekannt. Eine Stimmzettelabgabe in der Botschaft, wie es bei anderen Staaten möglich ist, sei für deutsche Bürger aber nicht machbar. "Die Wahlzettel sind regional geordnet, und wir können so einen großen Aufwand in den Botschaften nicht stemmen", sagt Pötzsch.

Klaus Pötzsch (Foto: Destatis)
Wacht über den korrekten Ablauf der Wahl: Klaus PötzschBild: Destatis

Umstrittener Eignungsnachweis

Viele Auslandsdeutsche wollen ohnehin nicht wählen, weil sie sich nicht mehr mit ihrem Heimatland verbunden fühlen. Hitradio Namibia hat dazu in Windhuk eine Umfrage gemacht: "Ich bin schon seit 47 Jahren hier, deshalb interessiert mich die deutsche Politik kaum", sagte eine Deutschnamibierin dem Sender. Andere wiederum würden gerne wählen, ein Gesetz macht es ihnen aber schwer. Wer länger als 25 Jahre im Ausland lebt, darf nur noch wählen, wenn er eine unmittelbare Vertrautheit mit Deutschland nachweisen kann. Klaus Pötzsch erklärt, wie: "Vertrautheit zeigt man etwa damit, dass man für ein Goethe-Institut arbeitet, Grenzpendler ist, Engagement in deutschen Verbänden zeigt oder Einkünfte aus Deutschland bezieht."

Angelika Stucke wohnt seit mehr als 25 Jahren im spanischen Örtchen Miraflores. Sie hat zumindest Einkünfte in der Bundesrepublik. Sie schreibt Romane auf Deutsch, die in ihrer alten Heimat verlegt werden. "Mein Antrag landet auf dem Schreibtisch eines Beamten, der je nach Laune entscheidet, ob ich deutsch genug bin, um wählen zu dürfen", ärgert sie sich. "Was ist das denn, ein Wahleignungstest?" Der Nachweis der Vertrautheit wird mittlerweile auch in ausländischen Medien kritisiert. Die Bundesregierung bleibt hart. "Wer keinen Bezug zur deutschen Politik hat, soll auch nicht wählen dürfen", sagt Pötzsch.

Ob Angelika Stucke rechtzeitig einen positiven Bescheid bekommt, ist noch nicht klar. Viel Zeit bleibt nicht mehr. Wenn ein Briefwahlzettel zu spät in Deutschland ankommt, wird er nicht mehr gezählt, sagt Klaus Pötzsch: "Das Risiko trägt in diesem Fall der Wähler."