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Urgestein im Hörsaal

Bianca von der Au10. Mai 2013

In Deutschland gehen Professoren mit 65 Jahren in den Ruhestand. Wer möchte, darf auch noch ein paar Jahre länger lehren. Dass jemand im hohen Alter von 90 Jahren aber immer noch im Hörsaal steht, ist außergewöhnlich.

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Professor Günther Böhme, mit 90 Jahren steht er noch im Hörsaal ganz vorne, seine Zuhörer sind überwiegend im Rentenalter, so wie er selbst. Er spricht ohne vom Blatt abzulesen, die Ideale der humanistischen Bildung will er weiter geben. (Foto: Bianca von der Au)
Bild: DW/B.Von der Au

Günther Böhme ist ein Überzeugungstäter. Dass wird schnell klar, wenn man ihn im Hörsaal erlebt. Im karierten Jackett, die weißen Haare nach hinten gekämmt, stützt er sich aufs Pult und doziert frei über die Entstehungsgeschichte der abendländischen Philosophie. 300 Studierende im Hörsaal der Frankfurter Goethe-Universität hören ihm konzentriert zu.

Dabei wirkt Günther Böhme wie ein Universalgelehrter aus vergangenen Zeiten. Überwiegend mit geschlossenen Augen referiert er über die Denker der Antike, so als würde er von alten Bekannten erzählen. Ein Schlenker über die Geografie der griechischen Inseln bis hin zum Gottesbeweis von Kant gehört zu seinem Vortragsstil. Und zwischendrin zitiert er noch eine Strophe aus Goethes Faust oder bringt sein Publikum mit einem Scherz zum Schmunzeln.

Lebenszeit als Lebensdienstzeit

Sein Publikum ist überwiegend im Rentenalter, so wie Böhme selbst. Denn seine Vorlesungen - zwei pro Semester - hält der 90-Jährige an der "Universität des 3. Lebensalters", kurz U3L. Eine Bildungseinrichtung der Goethe Universität speziell für Senioren. Im Jahr 1982 hat Böhme die U3L gegründet. Mit 59 Jahren, einem Alter, in dem andere schon an ihren Ruhestand denken. Doch das passt nicht zu Böhmes Lebensphilosophie. "Mein Volksschullehrer hat mir die Lebensdevise mit auf den Weg gegeben: Lebenszeit ist Lebensdienstzeit." Und dieser Dienst besteht aus seiner Sicht darin, seine Bildung und sein Wissen mit anderen zu teilen. Das treibe ihn bis heute an.

Günther Böhme im Büro der U3L. (Foto: Bianca von der Au)
Günther Böhme feierte am 4. Mai seinen 90. GeburtstagBild: DW/B.Von der Au

Humanismus als Leitbild

Dabei war sein akademischer Werdegang nicht vorgezeichnet. 1923 wurde Günther Böhme in Dresden geboren, als Sohn von Eltern, die selbst keine höhere Bildung genießen konnten. Doch der Vater schickte den Sohn Günther auf ein humanistisches Gymnasium. Dann kam der Zweite Weltkrieg, und mit 18 Jahren musste der junge Böhme als Soldat an die Front. Es folgten fünf Jahre Kriegsgefangenschaft in Italien. Wenn er von dieser Zeit spricht, wird die Stimme des alten Mannes leiser. Daran erinnert er sich nicht gerne.

Seit knapp 50 Jahren ist er der Goethe-Uni treu

Nach dem Krieg hat Günther Böhme dann in Erlangen und München Philosophie, Psychologie und Pädagogik studiert. Um seine Familie zu ernähren, habe er zunächst als Betriebspsychologe gearbeitet, erzählt er. Doch 1964 ist er dann als wissenschaftlicher Assistent für den Bereich Bildungsphilosophie an die Goethe-Universität in Frankfurt gegangen. Vor einem knappen halben Jahrhundert.

Professor Günther Böhme (2ter v.links) im Jahr der Gründung der "Universität des 3. Lebensalters" U3L 1982 in Frankfurt am Main. Böhme, damals 59 Jahre alt hat die U3L ins Leben gerufen, die akademische Bildung Älterer lag ihm schon damals am Herzen. (Foto: U3L)
Günther Böhme (2.v.l.) 1982, dem Gründungsjahr der "U3L" in Frankfurt am Main - damals war er 59 Jahre altBild: U3L

Was ihn von Anfang an in Studium und Wissenschaft geprägt habe, sei die humanistische Bildung mit ihren Werten wie Toleranz und Menschlichkeit. Von ihnen habe er sich sein Leben lang leiten lassen. "Ich finde es wichtig, die eigene Sprache zu beherrschen, ein historisches Bewusstsein zu haben und mich in meiner sittlichen Haltung von der Demut leiten zu lassen." Dabei klingt eine deutliche Kritik am heutigen deutschen Hochschulsystem durch. Denn diese Werte hätten an der heutigen Universität keinen Platz mehr, bemängelt Böhme.

Kritik an Bologna

In seiner speziellen Nische, der Universität des 3. Lebensalters, kann Böhme seine Ideale weitergeben, fern vom regulären Unibetrieb. "In meine Veranstaltungen dürfen die Jüngeren zwar kommen, aber sie machen davon kaum Gebrauch." Das straffe Lernpensum an der Hochschule lasse ihnen kaum Zeit, über den eigenen Tellerrand zu blicken, sagt Böhme. Damit übt der Philosophieprofessor scharfe Kritik an der sogenannten Bologna-Reform, die die Universität wie er sie kenne grundlegend verändert habe. Kritiker wie Böhme beklagen, durch die Bachelor- und Master-Abschlüsse seien Zeitdruck und normierte Wissensvermittlung an den Hochschulen eingezogen. Die Persönlichkeitsbildung der Studierenden bliebe dabei auf der Strecke.

Seine treuen Hörer sind die Seniorenstudenten wie Brigitte Remi. Die 67-Jährige kommt regelmäßig in die Philosophievorlesungen von Günther Böhme. "Weil er mir viel Stoff zum Nachdenken gibt, über das Alter, den Tod, die Vergänglichkeit." Und damit will Böhme, der seine Vorlesungen ehrenamtlich hält, auch noch eine ganze Weile weitermachen. So lange seine Kräfte reichen.