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"Todesstrafe wird exzessiv verhängt"

Esther Felden22. Mai 2013

Wer Ehebruch begeht oder mit Drogen handelt, kann mit dem Tod bestraft werden. Die Liste der Kapitaldelikte im Iran ist lang, sagt Wenzel Michalski von Human Rights Watch. Genau wie die der tatsächlichen Hinrichtungen.

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Wenzel Michalski, Deutschlanddirektor von Human Rights Watch (Foto:DW)
Berlin PK Human Rights Watch 19.02.2013 Wenzel MichalskiBild: DW/N. Jolkver

Deutsche Welle: Herr Michalski, auf der Liste der Länder, in denen weltweit die meisten Todesstrafen vollstreckt werden, belegt der Iran hinter China den zweiten Platz. Gibt es zuverlässige Zahlen darüber, wie viele Menschen 2012 im Iran genau hingerichtet wurden?

Wenzel Michalski: Die Zahlen aus dem vergangenen Jahr werden noch überprüft, wir wissen aber aus dem Jahr 2011, dass 600 Menschen hingerichtet worden sind.

Wie sieht es mit der Dunkelziffer aus?

Die ist hoch, weil wir keine hundertprozentig verlässlichen Zahlen haben. Die iranische Regierung hält sich diesbezüglich sehr bedeckt.

Woher beziehen Sie dann Ihre Informationen? Haben Sie Kontakt zu Verwandten oder zu Inhaftierten?

Ja, wir beziehen uns bei unseren Aussagen zum einen auf Interviews, die wir selbst durchführen - und zum anderen auf unsere Partnerorganisation Amnesty International, die sich sehr mit Hinrichtungen im Iran auseinandergesetzt hat.

Wie hat sich die Zahl der Hinrichtungen in den vergangenen Jahren entwickelt?

Die Zahlen sind leider nach oben gegangen, und zwar weil auch Drogenbesitz und Drogenhandel jetzt unter die Todesstrafe fallen. Im Iran ist der Kampf gegen Drogen immer weiter verstärkt worden, unter anderem auch mit finanziellen Mitteln und technischer Hilfe von Seiten der Vereinten Nationen. Den Sanktionen zum Trotz bekommt der Iran dort internationale Hilfe, und deshalb drängen wir auch die Internationale Gemeinschaft, sämtliche Hilfsleistungen finanzieller oder materieller Art zu unterbinden.

Mit welchem Erfolg bislang?

Bis jetzt mit mäßigem, aber wir bleiben dran und sind zuversichtlich, dass wir Erfolg haben werden.

Für welche Delikte wird im Iran die Todesstrafe verhängt?

Für Mord, Vergewaltigung, bewaffneten Raubüberfall, Spionage, Sodomie, Ehebruch und Abtrünnigkeit vom Glauben.

Es werden ja auch Minderjährige mit dem Tod bestraft.

Das ist das, was uns am meisten besorgt. Hingerichtet werden können schon diejenigen, die die Pubertät erreicht haben. Und das wird im Iran so definiert, dass es für Mädchen ab dem neunten Lebensjahr und für Jungen ab dem 15. Lebensjahr gilt. Wir wissen, dass im Jahr 2012 bis gegen November ungefähr einhundert Jugendliche hingerichtet worden sind.

Und welche Hinrichtungsformen werden im Iran praktiziert?

Meistens wird die Todesstrafe durch Hängen vollstreckt. Steinigungen sind Gott sei Dank selten der Fall, allerdings gibt es das auch. Die Betroffenen wissen erst sehr, sehr kurz bevor sie hingerichtet werden, dass es passieren wird. Und die Angehörigen werden spät – oft auch erst nach der Hinrichtung – informiert. Die iranische Justiz ist nicht mit unseren Rechtsmaßstäben zu vergleichen, es gibt beispielsweise auch große Ermessensspielräume für die Richter, gerade was die Jugendlichen betrifft. Dort kann ein Richter entscheiden, ob der Jugendliche die Natur und die Konsequenzen der Strafe überhaupt verstanden hat, und das ist natürlich eine sehr vage Geschichte, aus der man jedem – im wahrsten Sinne des Wortes – einen Strick drehen kann.

International steht der Iran aufgrund seiner Hinrichtungspolitik schon lange am Pranger. Welche Möglichkeiten gibt es, politisch auf die Verantwortlichen einzuwirken? Und wo sehen Sie beispielsweise auch die Bundesregierung in der Pflicht?

Deutschland ist natürlich auch eins der Länder, das in die großen UN-Töpfe einzahlt, und deshalb waren wir von Human Rights Watch kürzlich mit unserem Iran-Experten im Außenministerium und haben darum gebeten, diese Zahlungen zu überdenken und zu unterlassen und auf die anderen Partnerländer einzuwirken, um eben nicht mehr den Kampf gegen Drogen in der jetzt bestehenden Form mit technischen und finanziellen Mitteln zu unterstützen, weil diese Mittel erstens auch politisch missbraucht werden und weil die Todesstrafe zweitens im Iran so exzessiv verhängt wird, dass man das nicht mehr verantworten kann.

Wenzel Michalski ist Deutschland-Direktor von Human Rights Watch.