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Mexiko zwischen Krise und Reformeifer

Andreas Knobloch10. Juni 2014

Mexikos Wirtschaft steckt in einer Talsohle fest, der Aufstieg will einfach nicht gelingen. Erneut sind die Wachstumsprognosen nach unten korrigiert worden. Die Regierung verbreitet aber weiter gute Laune.

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Mexikos Währung (Foto: Imago XINHUA)
Bild: imago/Xinhua

Mexikos Wirtschaftsminister Luis Videgaray Caso sah etwas angespannt aus bei seinem Auftritt vor Bankern der BBVA Bancomer, einer der wichtigsten Banken des Landes. Dabei hat er sich vorgenommen, Optimismus auszustrahlen. Denn Mexikos Wirtschaft kommt einfach nicht in Schwung, und alle Welt will wissen: Was ist da los?

Ende vergangener Woche hatte die Regierung von Präsident Enrique Peña Nieto die Wachstumsprognosen von 3,9 auf 2,7 Prozent nach unten korrigiert. Zuvor hatte bereits die Zentralbank Zahlen veröffentlicht, die von einem geringeren Wirtschaftswachstum als erwartet ausgingen.

Zwar war die mexikanische Wirtschaft im vergangenen Jahr sogar nur 1,1 Prozent gewachsen - trotzdem sind die Zahlen für das laufende Jahr enttäuschend und nehmen sich neben denen anderer lateinamerikanischer Staaten wie Peru oder Kolumbien bescheiden aus.

Vor allem da die von der Regierung auf den Weg gebrachten und der konservativen Wirtschaftspresse gelobten Strukturreformen (Öffnung des Energiesektors für privates Kapital, Liberalisierung des Telekommunikationsbranche, Finanz- und Steuerreform) einhergingen mit dem Versprechen einer spürbaren Verbesserung der Wirtschaftsleistung. Anfang des Jahres hatten Moody's und andere Ratingagenturen Mexiko aufgrund einer positiven Erwartungshaltung nach oben gestuft. Allerdings steht bisher oft nur der grobe Rahmen der Reformen. Die sogenannten nachgeordneten Gesetze, die die Ausgestaltung im Detail regeln, müssen erst noch vom Parlament abgesegnet werden.

Christine Lagarde und Luis Videgaray Caso (Foto: AFP)
Wirtschaftsminister Luis Videgaray Caso (r.), hier mit IWF-Chefin Christine LagardeBild: SAUL LOEB/AFP/Getty Images

Nach fulminantem Start ist spürbar Sand ins Getriebe der Regierung Peña Nieto geraten. Die chronischen Schwierigkeiten, die Wirtschaft des bevölkerungsreichsten spanischsprachigen Landes der Welt in Gang zu bringen, sitzt dabei wie ein Stachel im Fleisch der Regierung. Diesen Stachel noch etwas tiefer hineingedrückt hat Vicente Rodero, Generaldirektor von BBVA Bancomer, als er erklärte, der vielbeschworene "mexikanische Moment" sei 2013 und 2014 verpufft. Die makroökonomischen Bedingungen stimmten zwar, aber Korruption und organisiertes Verbrechen verhinderten ein höheres Wachstum.

"Keine Rezession, keine Krise"

Wirtschaftsminister Videgaray dagegen bemühte sich, ein positiveres Bild zu malen. Mexikos Wirtschaft befinde sich weder in einer Rezession noch in der Krise, so der Minister. Drei Probleme - zwei vorübergehende und ein strukturelles - seien vielmehr für die nach unten korrigierte Prognose verantwortlich. Die USA, der mit Abstand wichtigste Handelspartner Mexikos, wiesen ein geringeres Wachstum als erwartet auf, was wiederum negative Auswirkungen auf die mexikanischen Exporte hatte - ein temporäres Problem, so Videgaray, ebenso wie der gedrosselte Konsum der privaten Haushalte in Mexiko aufgrund der neuen Steuerpolitik.

Die Regierung hatte höhere Abgaben auf zuckerhaltige Erfrischungsgetränke und Fastfood eingeführt, auch die Preise zum Beispiel für Benzin und Diesel waren zuletzt gestiegen. Zudem ging die Ölproduktion im ersten Trimester um 1,2 Prozent zurück, was jedoch ein struktureller Faktor sei, der mittelfristig durch die Energiereform und Öffnung des Staatskonzerns Pemex für ausländische Kapitalbeteiligungen beseitigt werde. Dagegen seien die Direktinvestitionen aus dem Ausland im ersten Jahresdrittel gegenüber dem gleichen Zeitraum im Vorjahr um 17 Prozent gestiegen, was Videgaray als Vertrauensbeweis für Mexikos Wirtschaft wertete.

Hohe Arbeitslosigkeit

Besorgt zeigte er sich angesichts der geringen Wettbewerbsfähigkeit aufgrund des riesigen informellen Sektors. "Eines der großen Hindernisse für die Produktivität hat mit der Informalität zu tun. Fest steht auch, wenn wir dieses Problem mit denselben Instrumenten und denselben Strategien angehen, können wir keine anderen Resultate erwarten", so Videgaray. Mehr als 60 Prozent der mexikanischen Arbeitnehmer sind im informellen Sektor beschäftigt, also ohne Sozialversicherung und Rentenansprüche.

Jobmesse in Mexiko (Foto: Imago)
Über die Hälfte der mexikanischen Arbeitnehmer sind in informellen Jobs ohne Sozialversicherung beschäftigt - viele suchen auf Arbeitsmessen nach StellenBild: imago/Xinhua

Seit Beginn des Jahres sind etwas mehr als 300.000 formelle Arbeitsplätze geschaffen worden, doch angesichts der flauen wirtschaftlichen Dynamik werden es bis Ende des Jahres nicht mehr als 670.000 neue Stellen sein - weit unter dem tatsächlichen Bedarf.

Um einen Teil der arbeitslosen Bevölkerung und der Schulabgänger zu absorbieren, benötigte Mexiko laut Experten zwischen 1,2 und 1,5 Millionen neue formelle Arbeitsplätze.

Divergierende Interpretationen

Zwar sei ein Wachstum von 2,7 Prozent unzureichend, so Videgaray, liege aber immer noch über dem durchschnittlichen Wachstum der mexikanischen Wirtschaft der vergangenen 13 Jahre, das 2,3 Prozent betrug. Die ersten beiden Jahre der Regierung Peña Nieto betrachtet würde die Wachstumsrate mit 1,9 Prozent allerdings darunter liegen. Es ist halt immer auch eine Frage, wer welche Zahlen wie interpretiert.

Wenn die angestoßen Reformen endlich im Detail geregelt seien und sich deren Effekte einstellten, hält Videgaray ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von fünf Prozent pro Jahr für möglich. Ähnlich äußerte sich Präsident Enrique Peña Nieto: "Haben Sie die Gewissheit, dass mit den Reformen in den kommenden Jahren Mexiko von einem anfänglich schwachen Wachstum zu einem beschleunigten Wachstum gelangen wird."

Enrique Peña Nieto (Foto: picture alliance)
Präsident Nieto sieht Mexiko auf dem Weg zu einem "beschleunigten Wachstum"Bild: picture-alliance/dpa

Videgaray rechnet bereits im zweiten Halbjahr 2014 mit einem spürbaren Aufschwung. Als kurzfristige Maßnahmen nannte er eine anti-zyklische Ausgabenpolitik mit höheren Staatsausgaben für Infrastruktur und Sozialprogramme. Erst vor Kurzem hatte Mexikos Präsident Peña Nieto einen Nationalen Infrastruktur-Plan für die kommenden vier Jahre vorgestellt, der Investitionen von rund 600 Millionen US-Dollar vorsieht - doppelt so viel wie zwischen 2007 und 2012 - und allein für ein Wirtschaftswachstum von bis zu zwei Prozent jährlich sorgen soll. Mehr als die Hälfte der Gelder soll aus öffentlichen Mitteln kommen.

Das klingt mehr nach Keynes als dem neoliberalen Modell, dem Mexikos seit mehr als zwanzig Jahren (erfolglos) huldigt. Lässt sich daraus vielleicht sogar ein Paradigmenwechsel ablesen?