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Journalistin auf der Flucht

Julia Mahncke28. Juni 2012

Ana Pérez ist eine der bekanntesten Reporterinnen in Mexiko. Wegen ihrer Artikel über die Drogenmafia erhielt sie Morddrohungen. Nun ist sie für ein Jahr in Deutschland und vorläufig in Sicherheit.

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Ana Lilia Pérez (Foto: ROG)
Bild: ROG/Senkel

"Ich habe seit Langem wieder ruhig geschlafen", erzählt die mexikanische Journalistin Ana Lilia Pérez, zwei Tage nach ihrer Ankunft in Deutschland. "In Mexiko ging das nicht mehr." In ihrem Heimatland musste die 35-Jährige um ihr Leben fürchten, weil sie illegale Drogen- und Geldgeschäfte aufdeckte. Die Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte hat Pérez für ein Jahr nach Deutschland eingeladen. Die Stiftung arbeitet eng mit der Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG) zusammen, die dafür sorgt, dass die deutsche Öffentlichkeit über Fälle wie den von Ana Pérez informiert wird. "Die Situation in Mexiko ist erschütternd", sagt Christian Mihr, Geschäftsführer von ROG im Interview mit der DW.

Das Land steht auf dem Ranking zur Pressefreiheit, das Reporter ohne Grenzen jedes Jahr veröffentlicht, auf Platz 149 von 179 Ländern, dicht gefolgt von Afghanistan und Pakistan. "In den vergangenen zwei Monaten wurden dort fünf Journalisten ermordet, in den vergangenen zehn Jahren waren es nach unseren Recherchen 84." Auch zwei direkte Kolleginnen von Ana Pérez wurden vor wenigen Monaten gefoltert und umgebracht. "Die Drogenkartelle zählen wir zu den größten Feinden der Pressefreiheit", sagt Christian Mihr, Geschäftsführer von ROG. Und genau deren Zorn hat Pérez mit Enthüllungsberichten auf sich gezogen. Für ein Jahr darf sie sich jetzt in Deutschland erholen und sich daran erinnern, wie es ist, ohne Todesangst das Haus zu verlassen. "Ich muss erstmal durchatmen. Ich brauche eine Pause, um die Liebe zu meinem Beruf wieder aufblühen zu lassen, so dass ich wieder zurückkehren kann", erzählt die Mexikanerin im Interview mit der DW. Ihr Privatleben hält sie geheim, vielleicht musste sie Mann und Kinder in der Heimat zurücklassen, vielleicht auch nicht.

Morddrohungen an der Tagesordnung

Bis zu ihrer Abreise lebte sie im Hauptstadtbezirk Mexikos und schrieb für die Investigativ-Zeitschrift "Contralínea". Das heißt auf Deutsch: "Gegen den Strich". Außerdem hat sie zwei Bücher bei einem international renommierten Verlag veröffentlicht: Darin erklärt sie Verbindungen zwischen der Regierung und der Drogenmafia und schreibt über kriminelle Banden, die den staatlichen Mineralölkonzern Permex benutzen, um Geld zu waschen. Die Folge: Ana Pérez musste um ihr Leben fürchten: "Ich habe Morddrohungen erhalten, bekam Drohanrufe, mein Haus wurde überwacht, man ist mir gefolgt und die Behörden haben versucht, mich zu verklagen."

Eine Menschenrechtsorganisation in Mexiko-Stadt half ihr, zeitweise Leibwächter zu engagieren, kugelsichere Westen und ein passendes Auto dazu waren im Gespräch. Erst vor wenigen Wochen wurde der Journalist und Blogger Victor Manuel Báez getötet, wie die mexikanische Zeitung "El Diario" berichtete. Er sei entführt und dann umgebracht worden. Die unbekannten Täter hinterließen den Körper des Kriminalreporters im Zentrum seiner Heimatstadt. Jedes Opfer ist eine Warnung an die anderen. Die üblicherweise ungeschönten Bilder der Ermordeten flimmern über die Fernseher der Nation und zeigen ihre Wirkung. "Es ist ein enormer Druck unter dem wir stehen", sagt Ana Pérez, "und irgendwann kannst du nicht mehr".

Für ausländische Journalisten ist die Situation dagegen weniger gefährlich, berichtet die deutsche Journalistin Sandra Weiss, die seit vier Jahren in Mexiko lebt. Sie hat gegenüber den mexikanischen Kollegen den Vorteil, dass sie überwiegend für deutsche Medien berichtet und daher nicht ganz so tief in die Einzelheiten eintauchen muss. Doch sie kennt das Risiko: "Man weiß nicht genau, wer hinter was steckt. Die Netzwerke reichen in die Sicherheitskräfte, in die Polizei und Politik. Bei der Recherche für einen 'normalen' Mordfall sticht man vielleicht, ohne es zu ahnen, in ein Wespennest."

Hoffnung auf die Wahlen im Juli

Vor einigen Jahren sei die Situation in Mexiko noch entspannter gewesen, erläuterte Sandra Weiss im Gespräch mit der DW. Der Drogenkrieg habe das journalistische Arbeiten gefährlicher gemacht. Das sieht auch Christian Mihr von ROG so: "Ein Knackpunkt war sicherlich der Antritt von Felipe Calderón als Präsident des Landes, der den Drogenkrieg insofern verschärft hat, dass er den Kartellen den Krieg erklärt hat. Das hat zu einer Eskalation des Konflikts geführt." Nicht mehr nur die mager bezahlte und mäßig ausgebildete Polizei sollte die Kartelle stoppen, sondern das Militär wurde im großen Stil eingesetzt.

Am Sonntag finden in Mexiko Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt, bei denen Calderón nicht erneut antreten darf. Den Umfragen zufolge liegt Enrique Peña Nieto vorne. Seine Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) regierte Mexiko zwischen 1929 und 2000 - ohne Unterbrechung. Keiner der Kandidaten hat sich bis jetzt auf eine Strategie gegen kriminelle Banden und Drogenkartelle festgelegt. Was nach dem Amtsantritt passiert, bleibt also abzuwarten. Ana Pérez hofft, dass die neue Regierung die Sicherheitslage verbessern kann. "Ich wünsche mir, dass wir Journalisten unseren Beruf ausüben können, ohne ständig ein Risiko einzugehen, wenn wir Informationen publizieren."

Polizeieinsatz nach Straßenkampf (Foto: AP)
Präsident Felipe Calderón erklärte 2008 den Drogenkartellen den KriegBild: AP
Zeitungsstand in Ciudad Juarez (Foto: dpa)
Auf der Rangliste für Pressefreiheit liegt Mexiko auf Platz 149Bild: picture-alliance/dpa
Christian Mihr (Foto: ROG)
Christian Mihr: "Die Lage in Mexiko ist erschütternd."Bild: ROG/Günther