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Metropole voller Licht und Schatten

Das Gespräch führte Cornelia Rabitz2. Dezember 2012

Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde es für Verfolgte schwierig, aus Deutschland zu fliehen. Dennoch gelang etwa 100.000 die Flucht nach Portugal. Gespräch mit einem Historiker.

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Panorama von Lissabon im Juli 2012 (Foto: DW/Helena Ferro de Gouveia)
Bild: DW/Ferro de Gouveia

Deutsche Welle: Zunächst kamen nur relativ wenige Flüchtlinge nach Portugal. Ab 1940 aber - nach der Besetzung Frankreichs - setzte so etwas wie eine Massenflucht über die Pyrenäen nach Portugal ein. Warum eigentlich in dieses Land, das ja damals auch von einem Diktator, von Salazar nämlich, regiert wurde.

Professor Xosé Manuel Núñez Seixas: Salazar war kein richtiger Faschist, eher ein katholisch-autoritärer Diktator, der eine ständische autoritäre Gesellschaft als Ziel hatte. Er hatte jedoch einiges von den zeitgenössischen faschistischen Regimes übernommen. Aber gleichzeitig blieb er der traditionellen Freundschaft mit Großbritannien treu. Damit war Portugal ein relativ seltsamer Fall in Europa. Es beteiligte sich nicht am Krieg und half gleichzeitig sowohl den Alliierten als auch den Achsenmächten, vor allem Deutschland. Ab 1943 wurde aber auch für Salazar deutlich, dass Deutschland den Krieg verlieren würde. Und daraufhin hat er beschlossen, die Beziehungen zu Deutschland und zu Italien weitgehend abzubrechen und sich ausschließlich der traditionellen Freundschaft mit Großbritannien zu widmen.

Rhetorischer Antisemitismus

Wie ist die Regierung Salazar, wie sind die Politiker mit den Emigranten aus Deutschland und aus vielen anderen Ländern umgegangen? Gab es Repressalien, etwa durch die von Salazar geschaffene Polizeibehörde PVDE? Oder gab es Antisemitismus?

Es gab in Portugal kaum verbreiteten Antisemitismus. Aber Überreste einer traditionellen katholischen Judenfeindlichkeit. Den meisten Anhängern des Regimes Salazar waren die Juden nicht besonders sympathisch. Gleichzeitig hatten sie überhaupt keine konkrete Vorstellung davon, was ein Jude war, weil sie einfach in ihrem Leben nie einen Juden gesehen haben. Das war genauso wie in Spanien: Der Antisemitismus spielte eine gewisse rhetorische Rolle. Es wurde immer von den Juden geredet, die zusammen mit den Kommunisten, den Freimaurern und den Liberalen die Existenz des Abendlandes bedrohen. Aber es gab keinen konkreten Antisemitismus. Die wenigen Juden, die in Portugal lebten, waren marokkanischer Herkunft und weitgehend respektiert. Der Präsident der Technischen Universität Lissabon etwa war ein Jude. Die europäischen Juden, die allmählich nach Portugal kamen, die wurden allenfalls toleriert, weil sie sich nur zeitweilig im Land aufhielten.

Wer von den Emigranten allerdings als Kommunist verdächtig war, dem konnte es auch in Portugal schlecht gehen. Es gab sogar eine Art Konzentrationslager, ein Lager auf den Kapverdischen Inseln. Weiß man davon heute etwas ?

Ja, es gab einige Juden, die verhaftet wurden, aber nicht, weil sie Juden waren, sondern weil sie Kommunisten gewesen sind. Die meisten Kommunisten, die das Salazar-Regime festnahm, wurden in diese Lager deportiert. Man muss aber sagen, dass im Vergleich zu Franco-Spanien, wo die Kommunisten nicht nur deportiert, sondern zum Teil auch erschossen worden sind, das Leben der Juden respektiert wurde. 1941 hat man einigen jüdischen Flüchtlingen den Aufenthalt in  Portugal verweigert, und sie wurden zurück nach Deutschland deportiert. Dabei  handelte es sich aber um Einzelfälle.

Der Historiker Xosé M. Núñez Seixas (Foto: privat)
Xosé Manuel Núñez SeixasBild: privat

Schönes, armes Lissabon

Immer wieder wird in Dokumenten berichtet, Herr Professor Núñez, wie sehr sich die damals wohl recht beschauliche Stadt Lissabon durch die vielen Emigranten verwandelt und verändert hat: fremde Menschen, fremde Sprachen, überfüllte Cafés. Wie war denn der Alltag der Flüchtlinge in Lissabon?

Es war eine Mischung aus Faszination und Enttäuschung über das neue Land. Die meisten Flüchtlinge kamen aus Deutschland, Frankreich oder anderen relativ fortgeschrittenen Ländern, sie hatten in der Regel einen ziemlich hohen sozialen Status. Lissabon war eine sehr schöne, aber auch unglaublich ärmliche Stadt. Die portugiesische Bevölkerung litt unter dem Regime, ihr Lebensstandard war deutlich niedriger als der in Mitteleuropa. Deshalb waren viele Immigranten und Flüchtlinge erschüttert von der Armut in bestimmten Vierteln, zum Beispiel wenn Kinder barfuß liefen und kaum Kleidung hatten. Oder wenn es in den Straßen stank. Andere Zeugnisse beschreiben, dass im Gegensatz dazu einige der Cafés - zum Beispiel das 'International' - Salons mit einem weltläufigen Ambiente hatten.

Stadt voller Spannungen

Es gab ja in Lissabon auch so etwas wie eine räumliche Nähe zwischen Immigranten, Flüchtlingen einerseits und Nazis im Bereich der deutschen Botschaft oder in der Stadt ansässiger deutscher Unternehmen. Sogar SS-Mitglieder waren vor Ort. Haben denn Anhänger des Hitler-Regimes sich in Lissabon bemerkbar gemacht, vielleicht sogar gegen die Immigranten agiert?

Ja natürlich! Als neutrale Hauptstadt war Lissabon ein Zentrum der Spionage, genauso wie Madrid und andere Metropolen. Aber vor allem war Lissabon wegen seines Hafens interessant,  ein strategisch günstiger Hafen, von wo auch Schiffe nach Amerika losfuhren. Die Nazis wussten, dass sich viele Juden hier vorübergehend aufhielten. Außerdem waren die Nationalsozialisten vor allem an einer Sache interessiert:  an Wolfram, einem wichtigen Metall, das im Zweiten Weltkrieg von der deutschen Rüstungsindustrie für den Bau von Panzergranaten gebraucht wurde. Portugal, genauso wie Spanien, sollte der deutschen Wehrmacht dieses Wolfram liefern.  Außerdem war auch Lissabon ein Nest voller britischer und amerikanischer Agenten. Darüber hinaus war die portugiesische Geheimpolizei, die PVDE, eine ziemlich brutale Polizei, die viele ihrer Methoden von der Gestapo übernommen hatte. Für die Bevölkerung war die Kontrolle durch diese Geheimpolizei fürchterlich.

Sie haben gesagt, dass die portugiesische Bevölkerung arm war. Gab es trotzdem so etwas wie Hilfe für die Zufluchtsuchenden, für die Immigranten? Wie haben sich die Menschen in der Stadt verhalten angesichts dieses Zustroms?

Viele der Flüchtlinge hatten eigene Mittel, sie brauchten sie auch, etwa um die Behörden sowohl in Spanien als auch im besetzten Frankreich zu bestechen. Aber in Lissabon waren auch einige internationale Organisationen tätig, die sich der Flüchtlingshilfe widmeten, zum Beispiel die Quäker, das Internationale Rote Kreuz sowieso. Die religiöse Organisation der Quäker hatte ihr Hauptquartier in Lissabon, sie half schon seit Ende der dreißiger Jahre vielen spanisch-republikanischen Flüchtlingen.

Ort der Inspiration

Über Lissabon als Stadt des Exils und als ein so spannender Ort, so wie Sie es geschildert haben, ist ja später auch viel geschrieben worden. Es gibt eine ganze Reihe von berühmten Büchern, von Erich Maria Remarque "Nacht über Lissabon",  "Erklärt Pereira" von Antonio Tabucchi und andere. Warum wohl?

Lissabon war für Schriftsteller immer interessanter als für Historiker. Die besondere Atmosphäre der Stadt hat Schriftsteller inspiriert. Ich glaube, es war etwas Ähnliches wie das, was auch viele Flüchtlinge faszinierte: Diese sehr lichtvolle, sonnige Stadt, in der es immer hell ist. Das war auch ein Gegenentwurf zum rauen und besetzten Europa. Andererseits war es eine sehr friedliche Stadt, extrem ruhig, es war  eigentlich wenig los. Der große Kontrast dazu war dann die Präsenz einer multi-nationalen Welle von Flüchtlingen, dazu die Cafés, Spionagezentren, verdächtigen Orte. Dadurch entstand die Faszination Lissabon - die noch bis hin zu Wim Wenders reichte und 1995 zu seinem berühmten Film "Lisbon Story".

Xosé Manuel Núñez Seixas ist Professor am Historischen Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität München und Experte für die Geschichte Spaniens und Portugals.