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Im Auftrag der Nation

Marc Koch (Buenos Aires)30. Mai 2014

Zweimal war Argentinien Fußball-Weltmeister. Zu selten, gemessen an den eigenen Ansprüchen. Doch seit 28 Jahren hat es mit dem ersehnten Titel nicht mehr geklappt. Das soll sich jetzt in Brasilien ändern.

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Lionel Messi
Bild: Daniel Mihailescu/AFP/Getty Images

Argentiniens Nationaltrainer Alejandro Sabella kann sich derzeit vor gutgemeinten Ratschlägen kaum retten: Besonders hervorgetan hat sich dabei kürzlich sein Kollege Ricardo Caruso Lombardi. Der Mann ist im Hauptberuf Übungsleiter des etwas hüftsteifen Vorstadtvereins Quilmes Atlético Club aus dem Süden von Buenos Aires, der gerade knapp dem Abstieg aus der ersten argentinischen Liga entgangen ist.

Vierzig Millionen Nationaltrainer

Sabella hatte kaum seine Liste der 30 ins argentinische WM-Team berufenen Spieler bekanntgegeben, da durfte Kollege Caruso Auswahl und Strategie des Nationaltrainers live im Fernsehen analysieren. Und auch gleich erklären, was er anders und natürlich viel besser machen würde.

Jeder Fußballkenner – und das sind praktisch alle Argentinier – hat etwas zur WM-Vorbereitung beizutragen: Zum Team. Zur Taktik. Zur Unterkunft, zum Klima und zu den Stadien in Brasilien. Vor allem zum Maracanã in Rio de Janeiro. Denn dort findet das Endspiel statt. Und das wird die "Albiceleste", die Himmelblaue, nach Meinung der Argentinier selbstverständlich mindestens erreichen. Oder noch mehr. Die Mission Titelgewinn 2014 ist in Argentinien eine Aufgabe von nationaler Dimension.

Wundersturm und Wackelabwehr

Seit zwanzig Jahren ist Argentinien bei einer Weltmeisterschaft nicht mehr über das Viertelfinale hinausgekommen - das soll jetzt endlich anders werden. Die Südamerika-Qualifikation hat das Team ganz ordentlich gemeistert. Und dabei 35 Tore geschossen: Auf den Supersturm mit Angel de María (Real Madrid), Gonzalo Higuaín (SSC Neapel), Sergio "Kun" Agüero (Manchester City) und den "Dreiviertel-Gott des argentinischen Fußballs", Lionel Messi vom FC Barcelona, ist zur Zeit Verlass.

Alejandro Sabella. Foto: Getty Images
Keine leichte Aufgabe für Trainer Alejandro SabellaBild: Stan Honda/AFP/Getty Images

Was man von der Abwehr nicht unbedingt behaupten kann. Die Verteidiger spielen zwar auch fast alle in Europas Elite-Ligen, bekleckern sich bei der "Albiceleste" aber eher nicht mit Ruhm. Das werde eine echte Herausforderung für Trainer Sabella, sagt Ezequiel Fernández Moores, der die Nationalmannschaft seit Jahren beobachtet: "Die Aufgabe des Trainers wird sein, ein Gleichgewicht herzustellen zwischen so einem guten Angriff und einer Abwehr, die nicht ganz so toll aufgestellt ist. Die Verteidiger haben einfach weder den Ruf noch das Niveau von denen da vorne."

Messi muss es richten

Doch bei "denen da vorne" läuft gerade auch nicht alles rund. Stichwort Messi. Der hat in der abgelaufenen Saison ausnahmsweise mal nicht alle Rekorde gebrochen, und das lässt in Argentinien alle Alarmglocken schrillen. Dass der Superstar, der im letzten Ligaspiel in Spanien sogar ausgepfiffen worden war, müde sein könnte, überspielt und nach all den Erfolgen ein bisschen unmotiviert, kommt in der argentinischen Fußballdramaturgie nicht vor.

Experte Moores: Messi fehlt nur der WM-Titel

Also muss eine andere Theorie herhalten: Messi hat sich für die Weltmeisterschaft und Argentinien geschont! Kann schon sein, meint auch Experte Fernández Moores: "Denn da muss er topfit ankommen. Ich sage gar nicht, dass er das mit Absicht macht - das ist eher unbewusst. Damit er endlich einer der Könige im Weltfußball wird und zu dieser Monstergalerie gehört, muss er etwas mit der Nationalmannschaft gewinnen. Er weiß, dass er, wenn er die WM gewinnt, vielleicht zum besten Spieler der Geschichte wird."

Losglück und Fanprobleme

Sogar die vielbeschworenen äußeren Umstände scheinen es diesmal gut mit Argentinien zu meinen. Zu gut, fanden viele Beobachter nach der Auslosung der Gruppengegner: Die Gruppe F mit Nigeria, Iran und Bosnien-Herzegowina gilt im Vergleich zu anderen Kombinationen als gehobene Trainingseinheit. Und weil die "Albiceleste" nicht nur im nahegelegenen und klimatisch angenehmen brasilianischen Süden spielt, sondern dort schon vor der Auslosung ein Quartier angemietet hatte, liegt die Frage nahe, ob denn alles mit rechten Dingen zugegangen sei. "Natürlich!", versicherte die FIFA umgehend. Experte Fernández Moores gibt höflich lächelnd zu Bedenken: "Als ich gesehen habe, dass ausgerechnet England und Italien bei 40 Grad im Schatten spielen müssen, dachte ich: Oh oh, das ist ein Hinweis von Südamerika!"

Diego Maradona reckt 1978 den WM-Pokal in die Höhe. Foto:
Der letzte WM-Triumph 1986 in Mexiko: mit Diego Maradona, nach einem 3:2 im Finale gegen DeutschlandBild: imago sportfotodienst

Doch egal, wo Argentinien spielt, ein Problem reist immer mit: Bis zu 1200 der gefürchteten "Barras Bravas" wollen ihr Team begleiten. Gegen die Barras Bravas sind europäische Ultras so etwas wie Knabenchöre auf Valium. Die argentinischen Hooligans sind wesentlich für die Gewalt im heimischen Fußball verantwortlich, sie mischen im Drogenhandel, bei Geldwäsche und Korruption mit. Die Kontrolle über sie haben die Fußballverbände längst verloren. Brasilien und Argentinien wollen versuchen, wenigstens die eindeutig als Straftäter bekannten Barras nicht reisen zu lassen.

Der ganz große Traum

Aber wenn es dem Team gelingen sollte, ins Finale einzuziehen und dort zu gewinnen, vielleicht sogar gegen den favorisierten Gastgeber, wenn Messi dann den Cup in die Höhe streckt - dann ist alles andere sowieso egal. "Ich glaube, wenn das passiert, werden die argentinischen Fans sagen: ‚Lasst uns die Weltmeisterschaften beenden. Es soll keine mehr geben, wir verabschieden uns mit dieser Großtat im Maracanã.' Denn Fußball funktioniert auch über Rivalität, und unser Hauptrivale ist Brasilien. Wir Argentinier haben ein besonderes Ego, deswegen wählen wir als Rivalen den Rekordweltmeister", erklärt Ezequiel Fernández Moores.

Und wenn es nicht klappt, dann lag es eben am Trainer. Die Ablösung steht ja schon bereit. Für die WM 2018. Denn dort wird Argentinien dann triumphieren. Ganz sicher.