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"Politische Lösung nötig"

Bernd Riegert23. September 2014

Der Sicherheits- und Verteidigungsexperte Giles Merritt in Brüssel hält Luftschläge gegen die Terrormiliz IS in Syrien für keinen dauerhaften Ansatz. Man brauche eine politische Lösung, meint Merritt im DW-Interview.

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Giles Merritt, Generalsekretär Friends of Europe - Foto: Veronica Over (DW)
Bild: DW/V. Over

Deutsche Welle: Herr Merritt, können die US-Luftangriffe auf IS-Stellungen in Syrien ein Wendepunkt sein, ein wirklich entscheidender Schlag gegen die Bedrohung durch die IS-Terrormilizen?

Giles Merritt: Das ist schwer zu sagen, weil wir nicht wissen, was da im Moment wirklich vor sich geht. Ich glaube, niemand geht davon aus, dass man so einen komplexen Bürgerkrieg wie in Syrien tatsächlich aus der Luft kontrollieren kann. Man nimmt einen Vorschlaghammer, um eine Schüssel voller Spaghetti anzugreifen. Es ist schwer vorstellbar, wie man das Problem am Ende lösen soll. Ich bin mir sicher, dass es momentan sehr schlecht ist für die IS-Truppen am Boden von der US-Macht getroffen zu werden, aber ich habe Zweifel, ob das langfristig eine Lösung ist.

Glauben Sie, dass das Problem nur gelöst werden kann, wenn man Bodentruppen einsetzt, entweder lokale Kämpfer oder fremde Truppen aus den USA?

Ich glaube wirklich, dass man eine politische Lösung braucht. Ein Ausgangspunkt muss das Verhältnis zwischen dem Regime des syrischen Präsidenten Assad und Russland sein. Können der Einfluss, den Russland auf Syrien hat, und die sich verschlechternden Beziehungen zum Westen wegen der Ukraine-Krise irgendwie in in Einklang gebracht werden, um wenigstens ein diplomatisches Gespräch zu beginnen? Es scheint mir, dass der Einsatz von westlichen Truppen, also amerikanischen und Truppen der Koalition der Willigen, die politische Lage noch viel komplizierter machen würde. Ich lasse jetzt mal die militärischen Schwierigkeiten bei der Stationierung und Versorgung fremder Truppen in Syrien beiseite. Die entscheidende Frage ist, wie kann das politisch gelöst werden?

Im Moment machen die USA den Job zusammen mit fünf arabischen Verbündeten alleine. Die europäischen Verbündeten, mit Ausnahme von Frankreich im Irak, beteiligen sich nicht. Glauben Sie, dass die Europäer und die NATO lange untätig zuschauen können?

Das kommt auf den "menschlichen" Faktor an, könnte man sagen. Die Politik im Westen, einschließlich der USA, hängt ganz stark von der öffentlichen Meinung ab. Die öffentliche Meinung wiederum hängt ganz stark an den Bildern dieses Konflikts und an Bildern von menschlichem Leid. Ich fürchte, dass dies kein sonderlich rationaler politischer Prozess sein wird. Da geht es auch stark um Gefühle.

Ein anderer Faktor ist die Türkei. Die Türkei hat eine ganz ambivalente Rolle. Einerseits ist sie NATO-Mitglied, andererseits ist sie vom Syrien-Konflikt direkt betroffen. Und sie hat die kurdische Bevölkerung im eigenen Land und jenseits der syrischen Grenze. Da gibt es so viele Unwägbarkeiten und eine sehr große Komplexität. Ich glaube nicht, dass man das militärisch lösen kann. Man muss sich wirklich zusammensetzen und versuchen, die großen Probleme zuerst anzugehen.

Die USA haben sich jetzt aber für eine militärische Lösung entschieden. Wie lange wird diese Kampagne weitergehen können?

Ich würde das nicht militärische Lösung nennen. Es ist eine militärische Antwort. Man sollte aus dem Vorgehen in Libyen hier die Lehren ziehen. Da waren die USA nicht direkt beteiligt, aber die Europäer haben eine militärische Lösung gesucht und haben einen ganz neuen Bürgerkrieg ausgelöst. Die Lage in Syrien ist noch unberechenbarer als in Libyen. Die Idee da irgendetwas "abschließen" zu können, scheint mir unrealistisch zu sein. Wie lange es dauert, bis aus dem Pentagon ans Weiße Haus die Meldung kommt, dass man gewonnen habe, kann ich schwer sagen. Da kann man nur spekulieren. Ich glaube, diese Schläge werden nicht lange dauern. Denn sobald die Bilder von den Luftschlägen und ihren Wirkungen öffentlich werden und rund um den Erdball gehen, wird es Reaktionen geben. Und diese Reaktionen werden nicht sehr positiv sein.

Sehen Sie in dem Ganzen eine Rolle für Europa?Sollten die Europäer nicht auch ein Interesse haben, denn die Bedrohung durch IS-Terror in Europa ist ja real.

Ja, wir sollten uns um die rückkehrenden "Gotteskrieger" sorgen, von denen es ja offenbar Tausende gibt. Ich glaube nicht, dass der IS in Europa eine Art koordinierte Angriffswelle startet. Das erscheint mir unrealistisch. Die Sicherheitsvorkehrungen sind doch ganz gut. Europa selbst ist im Moment politisch nicht richtig handlungsfähig, weil wir gerade einen Wechsel an der Spitze der europäischen Institutionen, also EU-Kommission und Parlament, erleben. Was Europa wirklich braucht, ist eine Einigung auf eine gemeinsame politische Haltung. Wie wirkt sich die deutsche Weigerung in militärischen Angelegenheiten verwickelt zu werden? Das wird entscheidend sein. In welchem Maße wollen sich die Briten und die Franzosen, als einzige europäischen Nationen mit militärischer Durchschlagkraft, in dieser Syrien-Krise engagieren? Das ist noch nicht klar.

Giles Merritt ist der Vorsitzende der Denkfabrik "Security and Defence Agenda" in Brüssel, die sich mit militärischen Fragen in Europa und transatlantischen Beziehungen beschäftigt. Der britische Sicherheitsexperte war viele Jahre Korrespondent der "Financial Times" in Brüssel.