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Wirtschaft ist politisch

Andreas Becker22. September 2013

Deutschland steht wirtschaftlich besser da als viele seiner Nachbarn. Doch was muss die neue Regierung tun, damit das so bleibt? Ökonomen haben sehr unterschiedliche Vorstellungen.

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Eine Straße mit zwei Pfeilen, die verschiedene Richtungen anzeigen. Arrows pointing in opposite direction before fork in road. Erstellung: 02.02.2012 © Leenvdb #11885373
Bild: Leenvdb/Fotolia

Gustav Horn zögert keinen Augenblick. Die größte Aufgabe der nächsten Bundesregierung sei die Lösung der Krise in der Eurozone. "Unsere Exporte in die Krisenländer sind eingebrochen", sagt der Leiter des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in Düsseldorf. "Wenn wir auch in Zukunft noch gut von unseren Exporten leben wollen, dann muss die Wirtschaft in diesen Ländern stabilisiert werden."

Dagegen ist Michael Hüther überzeugt, dass sich die nächste Bundesregierung weniger um die europäischen Probleme als um "die innerdeutschen ökonomischen Bedingungen" kümmern sollte. "In den letzten vier Jahren ist im Zeichen der Eurokrise vieles geschehen und die großen Weichen sind gestellt", so Hüther, der das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln leitet. "Jetzt stellt sich die Frage, wie man das Geschäftsmodell Deutschlands mit seinem industriellen Kern in der Zukunft sichern kann."

Ideologische Gräben

Horn und Hüther sind Volkswirte und Wirtschaftsforscher. Ideologisch trennen die beiden Welten. Horns Institut wird von einer gewerkschaftsnahen Stiftung finanziert. Für Hüthers Arbeit zahlen die Verbände von Arbeitgebern und Industrie. "Das Ziel ist doch, 2023 im Rückblick sagen zu können: Es ist jetzt besser als vor zehn Jahren, so wie wir das heute auch sagen können", sagt Hüther und plädiert dafür, die Bedingungen für Unternehmer weiter zu verbessern.

ARCHIV - Gustav Horn vom Institut für Makro-Ökonomie der Hans-Böckler-Stiftung spricht am Mittwoch (05.08.2009) vor der Bundespressekonferenz in Berlin. Der Euro-Rettungsschirm müsste nach Ansicht gewerkschaftsnaher Forscher noch weiter aufgespannt werden als bislang vorgesehen. Nur dann könnten Spekulanten-Attacken gegen einzelne EU-Länder abgewehrt werden: «Um eine sehr glaubwürdige Abschreckung zu haben, müsste man sicherlich deutlich über die jetzt geplanten 440 Milliarden Euro gehen», sagte der Leiter des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung, Gustav Horn, am Mittwoch in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Foto: Tim Brakemeier dpa (zu dpa-Gespräch) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Gustav Horn: "Exporte in Krisenländer sind eingebrochen"Bild: picture-alliance/dpa

Sein gewerkschaftsnaher Kollege Horn ist da nicht einverstanden. Er teilt nicht einmal die Einschätzung, die Lage habe sich wirtschaftlich gebessert. "In den letzten zehn bis 15 Jahren hat sich unsere Gesellschaft im Hinblick auf Einkommen und Vermögen deutlich auseinanderentwickelt", so Horn. "Die oberen Einkommensklassen konnten deutliche reale Einkommensgewinne verzeichnen. Die unteren Einkommensklassen und auch die Mittelschicht mussten dagegen Einbußen hinnehmen."

Diese Entwicklung sei nicht nur aus Sicht der Gewerkschaften schlecht, es belaste die gesamte Gesellschaft. "Die unteren und mittleren Einkommenschichten sind die konsumstarken Schichten. Wenn die nicht genug Geld haben, kann man nicht erwarten, dass der Konsum sehr gut läuft."

Ökonomie als Interpretation der Welt

Ökonomie ist keine exakte Wissenschaft, sondern die Lehre von der Verteilung knapper Ressourcen. Dabei kann es keinen Königsweg geben, denn Entscheidungen sind davon abhängig, wie man die Welt deutet.

Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln, aufgenommen am 15.09.2011 während der ZDF-Talksendung "Maybrit Illner" zum Thema: "Und am Ende kaum Rente... Wird Altersarmut normal?" im ZDF-Hauptstadtstudio im Berliner Zollernhof Unter den Linden. Foto: Karlheinz Schindler
Michael Hüther: "Der Arbeitsmarkt ist der Hebel"Bild: picture alliance/ZB

Wenn Ökonom Horn klagt, dass viele Menschen von ihrer Arbeit kaum leben können, antwortet sein Kollege Hüther, das sei immer noch besser, als gar keine Arbeit zu haben: "Arbeitslosigkeit ist das größte Armutsrisiko."

In Deutschland liegt die Arbeitslosigkeit weit unter dem europäischen Durchschnitt, und so sieht Hüther keine Anzeichen für eine Spaltung der Gesellschaft: "Viele Indikatoren am Arbeitsmarkt zeigen seit 2005 in eine Richtung, die die Gesellschaft wieder bindet: Die Jugendarbeitslosigkeit ist halbiert, die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gestiegen, der Niedriglohnsektor stabil." Aus den letzten Jahren könne eine zukünftige Regierung vor allem eines lernen, glaubt Hüther: "Der Arbeitsmarkt ist der Hebel."

Unternehmen gut, alles gut?

Womit Hüther wieder bei seinem Hauptargument ist: Wenn es den Unternehmen gut geht, geht es allen gut. Der gewerkschaftsnahe Horn hält das für Propaganda: "Mit dem gleichen Argument sind ja die Deregulierungen der letzten Jahrzehnte eingeleitet worden, und auch die Steuersenkungen, die uns Jahr für Jahr 50 Milliarden Euro kosten", so Horn. "Das Geld fehlt bei der Modernisierung der Infrastruktur."

Immerhin sind sich die beiden Ökonomen einig, dass Deutschland eine gute und moderne Infrastruktur braucht, um wettbewerbsfähig zu sein. Bei Verkehrswegen, Energie, Forschung und Bildung müsste mehr getan werden. Doch die Übereinstimmung endet schon bei der Finanzierung. Steuererhöhungen, wie sie die Oppositionsparteien SPD und Grüne planen, wären für den unternehmernahen Hüther der größte Fehler, den eine neue Bundesregierung machen könnte: "Steuererhöhungen passen nicht in die Landschaft. Steuereinnahmen sprudeln vor allem dann, wenn die Wirtschaft Arbeitsplätze schaffen kann. Das merken wir dann auch im Staatshaushalt und bei den Sozialbeiträgen."

Fazit: Es hängt auch in der Ökonomie alles davon ab, wie die Welt gedeutet wird. Der Rest ist eine Frage von Zielen, Interessen - und natürlich auch von Vertrauen in die Wahlversprechen.