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Merkels Atomausstieg auf dem Prüfstand

1. Juni 2011

Zu wenig sicher, zu teuer und auch zu inkonsequent - SPD, Grüne, Umweltverbände und Energiekonzerne geizen nicht mit Kritik an der schwarz-gelben Exit-Strategie für die Kernkraft in Deutschland.

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Luftaufnahme vom Kernkraftwerk Neckarwestheim (Foto: dapd)
Ist wegen des Atommoratoriums schon abgeschaltet: das Kernkraftwerk NeckarwestheimBild: dapd

Die Pläne der Bundesregierung zum Atomausstieg stoßen zunehmend auf Widerstand. Die Oppositionsparteien SPD und Grüne, Wirtschaftsvertreter wie auch Wissenschaftler stehen der schwarz-gelben Energiewende zumindest kritisch, wenn nicht gar ablehnend gegenüber. Bis spätestens 2022 sollen dem Beschluss der Koalition zufolge alle 17 deutschen Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Die sieben ältesten Atommeiler und der Reaktor Krümmel werden nicht mehr ans Netz genommen. Allerdings soll einer dieser Altmeiler bis 2013 als sogenannte Kaltreserve bereitgehalten werden, um eventuelle Engpässe zu überbrücken und Stromausfälle zu verhindern.

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck sagte am Mittwoch (01.06.2011) der "Stuttgarter Zeitung", die SPD-geführten Länder befürchteten angesichts der Debatten über Kaltreserven, Sicherheitspuffer und Überprüfungsklauseln, "dass hier heimlich eine Art Revisionsklausel eingebaut wurde". Er wolle jetzt noch nicht Nein sagen, aber er sei sehr skeptisch, ob die SPD das mittragen könne. Notwendig sei ein verbindlicher Ausstiegszeitplan für jeden einzelnen Meiler.

Forderung nach Abschaltplan für jeden Meiler

Atomgegner bei einer Mahnwache vor den Kraftwerken Isar 1 und 2 in Niederaichbach, Niederbayern (Foto: dpa)
Abschalten - aber wie ?Bild: picture alliance/dpa

Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Ulrich Kelber ergänzte, die "schwarz-gelbe Laufzeitkollektivverlängerung bis 2021" nehme keinerlei Rücksicht auf Sicherheitsfragen, schaff technische Probleme und mache den Ausstieg unnötig teuer. Hier werde Bundeskanzlerin Angela Merkel deutlich nachbessern müssen, wenn sie Stimmen aus der Opposition bekommen wolle.

Auch die Grünen machten ihre Zustimmung von deutlichen Nachbesserungen abhängig. "Wir erwarten, dass für jedes einzelne Atomkraftwerk ein realistischer Abschaltplan vorgelegt wird", sagte Parteichefin Claudia Roth. Den Weiterbetrieb eines Altreaktors bis 2013 für den Notfall lehnte sie ab: Die ältesten Meiler müssten vom Netz bleiben, ohne Hintertüren.

Die Energiekonzerne sehen derweil ihre Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr. Ob RWE wie Eon gegen die Brennelementesteuer klagt, blieb aber zunächst offen. "Es spricht vieles für und wenig gegen eine Klage", sagte RWE-Vorstandschef Jürge Großmann. Die Energiekonzerne kritisieren, dass die Brennelementesteuer trotz einer Rücknahme der Laufzeitverlängerung beibehalten wird. Bei noch neun verbleibenden Atomkraftwerken wären rund 1,3 Milliarden Euro pro Jahr zu zahlen - etwa 150 Millionen Euro pro Kraftwerk. Die Regierung betont, die Konzerne würden damit auch an den Kosten für die Sanierung des maroden Atommülllagers Asse beteiligt.

Warnung vor Gefahren für das Netz

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Umweltminister Norbert Röttgen (Foto: dapd)
Steht wegen des Ausstiegskonzepts in der Kritik: Kanzlerin Merkel (hier mit Umweltminister Röttgen)Bild: dapd

Wissenschaftler und Umweltverbände machten derweil auf ganz andere Probleme aufmerksam. So sieht eine Studie des Öko-Instituts erhebliche Gefahren für das Netz, da in kurzer Zeit plötzlich große Stromkapazitäten wegfielen. "Im Ergebnis müssten in 2020/2021 innerhalb von nur 12 Monaten fast alle länger betriebenen Anlagen - mit einer Leistung von 10.800 Megawatt - vom Netz gehen", heißt es in der Studie, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. "Dies würde mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche energiewirtschaftliche und netztechnische Probleme mit sich bringen und das endgültige Ausstiegsdatum 2021 gefährden", heißt es.

Der Grund liegt in der Übertragung von Strommengen, die noch produziert werden dürfen, von den acht abgeschalteten Anlagen auf die neun verbleibenden AKW. Dies sind in der Summe zwar nur einige Jahre, hinzu kommen aber zwei Sonderfälle: Das AKW Krümmel und das AKW Mülheim-Kärlich (1988 nach kurzem Betrieb wegen einer fehlerhaften Genehmigung wieder vom Netz gegangen) verfügen noch über Strommengen von insgesamt bis zu 18 Jahren - auch diese dürfen übertragen werden. Die Grünen fordern daher, dass auf die Reststrommengen-Übertragung von abgeschalteten auf noch laufende Meiler verzichtet wird. Im Atomgesetz der rot-grünen Bundesregierung war 2002 noch festgelegt worden, dass die Meiler Stück für Stück und nicht geballt zum Ende vom Netz gehen, um Gefahren für Netz und die Versorgung zu minimieren.

Auch die Umweltorganisationen Greenpeace und WWF kritisieren die Abschaltwelle erst ganz zum Schluss. Der WWF forderte die Bundesregierung auf, die neun verbliebenen Kraftwerke stufenweise vom Netz zu nehmen, um Probleme zu vermeiden. Tobias Münchmeyer von Greenpeace betonte: "Das, was Merkel als historisches Projekt präsentiert, entpuppt sich als Mogelpackung. Die schwarz-gelben Pläne liegen deutlich hinter dem rot-grünen Atomausstieg."

Autor: Stephan Stickelmann (afp, dapd, dpa, rtr)
Redaktion: Hajo Felten