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Merkel wirbt für "Modell Europa"

Marcel Fürstenau25. Juni 2014

Die deutsche Kanzlerin zeichnet im Parlament ein positives Bild des Kontinents. Mit Blick auf die Ukraine-Krise gibt sie sich vorsichtig optimistisch, während die Opposition mit der Regierungspolitik abrechnet.

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Angela Merkel am Rednerpult des Bundestages
Bild: picture-alliance/dpa

Kurz vor dem am Donnerstag in Belgien beginnenden Gipfeltreffen der 28 europäischen Staats- und Regierungschefs hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor einer weiteren Eskalation in der Ukraine und im Nahen Osten gewarnt. Unter dem Eindruck der weiter schwelenden Krise zwischen der Ukraine und Russland einerseits sowie des Vormarsches islamistischer Terroristen im Irak andererseits plädierte die deutsche Regierungschefin in der Generaldebatte des Bundestages für "diplomatische Lösungen". Sie seien "allem anderen" vorzuziehen.

Merkel nannte den vom ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko ausgerufenen einseitigen Waffenstillstand einen "mutigen Schritt". Zugleich lobte die Christdemokratin Russlands Präsident Wladimir Putin dafür, dass er den Abschuss eines ukrainischen Hubschraubers am Dienstag verurteilt habe. Dennoch wollte die Kanzlerin weitere Sanktionen gegen Russland für den Fall nicht ausschließen, dass sich die Lage weiter zuspitzen sollte. Das weitere Vorgehen der Europäischen Union (EU) wird auch Thema beim EU-Ratstreffen in Ypern und Brüssel sein.

Der Unterschied zu 1914: "Sie reden miteinander"

Mit ihrer Begegnung in Ypern wollen die europäischen Staats- und Regierungschefs an den Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren erinnern. Allein auf den Schlachtfeldern in Flandern starben mehrere hunderttausend Soldaten. Merkel ging in ihrer Rede ausführlich auf diese frühe Katastrophe des 20. Jahrhunderts ein und zog Parallelen zur gegenwärtig angespannten Situation in Europa. Im Unterschied zu 1914 herrsche heute eine andere Gesprächskultur. "Sie reden miteinander", lasse sich trotz allen Streits mit Blick auf die politische Verantwortlichen sagen. "Nicht das Recht des Stärkeren werde sich auf Dauer durchsetzen, sondern die Stärke des Rechts", betonte Merkel. Nachdrücklich empfahl sie Europa als Modell für andere Regionen der Welt.

Scharfe Kritik an der deutschen und europäischen Ukraine-Politik übte Oppositionsführer Gregor Gysi von den Linken. Seine Fraktion hält den Umgang mit Russland für grundsätzlich falsch. "Hören Sie auf mit den Sanktionen und der Androhung von Sanktionen!", forderte Gysi. Die Regierung in Kiew solle aufgefordert werden, die "faschistischen Minister" aus ihren Reihen zu entfernen. Gysi meint damit jene Kabinettsmitglieder, die der Swoboda-Partei angehören.

Linke verurteilt deutsche Außen -und Sicherheitspolitik

Aus Sicht der Linken ist die gesamte Außen- und Sicherheitspolitik gescheitert. Als Belege dafür führte Gysi die Entwicklung in Afghanistan, Irak und Libyen an, nachdem westliche Staaten dort militärisch interveniert haben. Heftig ging der Chef der größten Oppositionsfraktion mit der Rüstungspolitik der Regierung Merkel ins Gericht. "Wir verdienen an jedem Krieg", empörte sich Gysi. "Weg von Waffenexporten, hin zu einer friedlichen Konfliktlösung, nichts anderes!", verlangte der Linken-Politiker.

Gregor Gysi Haushaltsdebatte Bundestag 25.6.2014
Gregor Gysi appelliert an Angela Merkel: "Hören Sie auf mit den Sanktionen und der Androhung von Sanktionen!"Bild: picture-alliance/dpa

Im innenpolitischen Teil der Generaldebatte ging es um die Haushaltspolitik der Regierung. Bundeskanzlerin Merkel sprach davon, im kommenden Jahr "ein jahrzehntelanges Versprechen" einzulösen. Dann würden nämlich keine neuen Schulden aufgenommen werden. Das gelte auch für die folgenden Jahre. Das sei eine "haushaltspolitische, historische Zielmarke". Wirtschaftlich sei Deutschland "mit Schwung" ins Jahr 2014 gestartet, sagte Merkel angesichts eines vorhergesagten Wachstums von knapp zwei Prozent. Deutschland sei der "Stabilitätsanker und Wachstumsmotor" der Euro-Zone und der ganzen Europäischen Union, sagte die Kanzlerin.

Wichtige Projekte: Digitalisierung, Mindestlohn, Rente, Bildung

Zu den wichtigsten Projekten der bis 2017 dauernden Legislaturperiode zählt Merkel die Gestaltung der Energiewende. Sie sei eine nationale "Herkulesaufgabe". Priorität genießt darüber hinaus die technische und gesellschaftliche Digitalisierung. Es gehe um die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen. Wichtig sei Sicherheit vor Cyber-Attacken. Dabei stoße man mit der nationalen Gesetzgebung an Grenzen. "Wir brauchen mindestens europäische Standards", nötig seien aber auch globale Lösungen, sagte Merkel.

Von der Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro ab 2015 verspricht sich die deutsche Regierungschefin weitere Impulse für den Arbeitsmarkt. Auch die neuen Rentengesetze seien "ein wichtiger Schritt". Künftig soll es unter bestimmten Voraussetzungen schon möglich sein, ohne Abschläge mit 63 Jahren aus dem Arbeitsleben ausscheiden zu können. Diese Regelung wird im Kern auch von der oppositionellen Linken begrüßt. Fraktionschef Gysi sieht aber weiterhin erheblichen Nachholbedarf wegen der großen Rentenunterschiede zwischen Ost und West. Im 24. Jahr der deutschen Wiedervereinigung sei das ein "Skandal".

"Die Menschen sind das wichtigste Kapital"

Zu völlig unterschiedlichen Einschätzungen kamen Gysi und Merkel auch beim Thema Bildung und Forschung. Die Kanzlerin verwies auf Investitionen in Höhe von mehr als 14 Milliarden Euro, Gysi auf den Zusammenhang zwischen Herkunft und Bildungserfolg. In nationalen wie internationalen Studien wird seit Jahren bestätigt, dass Kinder aus ärmeren Haushalten oder aus Familien von Einwanderern im Schnitt wesentlich schlechtere Chancen und Perspektiven haben. "Dagegen unternimmt die Regierung nichts", behauptete Gysi. Merkel betonte hingegen, die Menschen seien das "wichtigste Kapital" Deutschlands.