Meine längste Adventszeit
Advent - Zeit der Besinnung auf Weihnachten, den wichtigsten Geburtstag der Weltgeschichte - eigentlich. Meistens jedoch rauschten die Adventswochen nur so an mir vorbei. Doch dann wurde plötzlich alles anders.
Gott will Menschen treffen
Weihnachten heißt: Gott wurde in Jesus ein Mensch. Damit begegnet er uns auf einer Ebene, die wir verstehen. Gott erfüllte sich den sehnlichen Wunsch, uns unmittelbar, gewissermaßen von Mensch zu Mensch, den einzig gangbaren Weg zeigen zu wollen im Labyrinth der ungezählten Fragezeichen, die das Leben setzt. Statt wieder mal besinnungslos zu sein, schlitterte ich unfreiwillig in die Besinnung.
Steigende Vorfreude
1989 ereignete sich etwas, das mich nachhaltig berührt hat. Meine Frau und ich verbrachten den Sommerurlaub in Südtirol. Dabei erfüllten wir uns einen lange gehegten Wunsch - kauften aus Holz geschnitzte Krippenfiguren. Maria und Joseph, natürlich das Kind, Ochse, Esel, die Weisen, ein paar Hirten, einige Schafe. Es war zwar erst Anfang Juni, doch ich begann mich schon auf Weihnachten zu freuen.
Schreinern mit Herz
Wieder daheim, überlegte ich, wie ich ein geeignetes Ambiente für das Ensemble schaffen könnte. Gottes Sohn wurde ja nicht in einem Palast geboren, sondern hat ganz unten angefangen - im Dreck. In der Bibel wird berichtet, dass Jesus in eine Futterkrippe gelegt wurde. Also: Ein Stall musste her. Eigenbau. Aussehen sollte er wie die Fachwerkscheunen meiner oberbergischen Heimat.
"Grundsteinlegung" auf Sperrholz
Den "Grundstein" legte ich im Juli bei brütender Hitze. Zuerst wurde die Größe bestimmt, dann die Relationen berechnet und anschließend so manche praktische Frage geklärt. Wie macht man ein Bruchstein-Fundament? Wie imitiert man Lehmgefache? Welche Dacheindeckung ist machbar? Wie legt man eine Wiese an? Woher bekomme ich einen Felsen?
Kreatives Neuland
Na klar, Jesus kam damals in den Alltag der Menschen hinein, also mussten alltägliche, bäuerliche Gebrauchsgegenstände her. Aus Astgabeln wurden Heugabeln, aus feinen Birkenreisern der Besen, die Axt feilte ich aus einem Stück Flacheisen. Für Dreschflegel, Heurechen und Futterraufen verwendete ich dünne Dübelstäbe aus Holz. Simple Latten waren der Stoff, aus dem die Zäune sind.
Der geadelte Fingerhut
Und dann sollte noch ein Brunnen her. Wer weiß - vielleicht haben auch hölzerne Ochsen, Esel und Schafe Durst? Aber woher den Miniatur-Wassereimer nehmen? Seltsamerweise verschwand eines Tages der Fingerhut meiner Frau. Für den schroffen Felsen gleich neben dem Stall hielt eine knorrige Eichenwurzel her. Kurzum: Der Kauf der Krippenfiguren wurde zur Zündung einer wahren Ideen-Explosion.
Das Wichtigste in die Mitte
Ausgelöst wurde auch eine Explosion besinnlicher Gedanken. Ich beschäftigte mich während des Bauens intensiv mit dem Weihnachtsgeschehen, weil für jede Figur von vornherein ein Platz festgelegt werden musste. Im Zentrum des Geschehens ist das Kind in seiner Krippe. Weil dieser Sohn Gottes ganz der Vater ist, kann ein Mensch in ihm Gott kennen lernen. Also darf Jesus keine Randfigur sein.
Die Letzten sind die Ersten
Die Ersten, die damals von der Geburt des Retters erfuhren, gehörten zu denen, die Hilfe, Zuspruch und Hoffnung am nötigsten hatten - Hirten. Von wegen Freiheit und Lagerfeuer-Romantik. Die fristeten ihr Dasein jenseits der Gesellschaft, waren heruntergekommen, verrufen, rechtlos, ehrlos. Genau die erreichten auch als Erste den Ort des Geschehens und beteten das Kind an. Bestimmt kein Zufall.
Intelligenz übt Demut
Etwas mehr von der Seite betreten drei Weise die Szenerie - Intellektuelle, Magier, Astronomen - Mitglieder der geistigen Elite jener Zeit. Sie folgten dem Leuchten eines Sterns, nahmen einen weiten, beschwerlichen Karawanenweg in Kauf, um das Ziel ihrer Suche zu erreichen. Als sie das Kind fanden, fielen sie vor ihm auf die Knie, erkannten damit seine Herrschaft und uneingeschränkte Macht an.
Allmacht in Windeln
Ich denke an Mächtige dieser Welt, die ihre Macht missbrauchen, Terror und Tod bringen. Mir fallen die Machtmenschen in Büros, Werkhallen, Familien ein - jene mit starren, unbeugsamen Knien - die jede andere Meinung und bessere Argumente erschlagen. Manch rationaler Mensch macht gedanklich einen Bogen um das Kind im Futtertrog. Doch Allmacht und letzte Wahrheit sind auf Heu und Stroh gebettet.
Mehr als der Zauber des Augenblicks
Und dann sind da Männer, Frauen und Kinder, ebenfalls angezogen vom Strahlen des Sterns. Sie nähern sich vorsichtig, ehrfurchtsvoll, erwartungsfroh diesem Neugeborenen. Wie es scheint, erkennen sie, dass dies ein ganz besonderer Augenblick ist, einer, den man auf keinen Fall verpassen sollte, einer, der möglicherweise das ganze Leben verändern kann.
Licht in der Finsternis
Vielleicht sind es die Hoffnungsfunken im Sternenglanz, die jene zum Kind in der Krippe ziehen, die Tag für Tag hart um ihre Existenz kämpfen müssen. Und vielleicht spüren sie schon etwas von dem, was dieser Jesus später, als erwachsener Mann, über sich sagen wird: "Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht mehr in der Finsternis irren, sondern hat das Licht, das zum Leben führt."
Gedankenvielfalt
Gedanken zur Krippe, nur einige von vielen, die mir damals, zwischen Juli und Dezember, während rund 130 Arbeitsstunden in den Sinn gekommen sind. Gedanken, die diese Monate zur längsten Adventszeit meines Lebens werden ließen. Gedanken, die nachwirken und sich fortsetzen – nicht nur in den Adventszeiten.