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Mehr Rechte für HIV-Kranke gefordert

Ping Zhang1. Dezember 2012

Viele HIV-Positive in China haben die restlose Aufklärung der Aids-Skandale und mehr Sozialleistungen gefordert. Die Behörden reagieren sehr zurückhaltend und befürchten politische Komplikationen.

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HIV-Infizierter in China (Foto:Alexander F. Yuan/AP/dapd)
HIV-Infizierter in ChinaBild: dapd

Etwa 50 Menschen haben sich in der Einkaufsstraße Wangfujing in der chinesischen Hauptstadt Peking versammelt. Sie singen die chinesische Nationalhymne und geben sich als Patrioten aus. An ihrer Brusttasche tragen sie die rote Schleife, die weltweit Solidarität mit den AIDS-Kranken symbolisiert. Solch eine spontane Versammlung wird von der chinesischen Polizei nicht geduldet, schon gar nicht zur Stoßzeit auf der bekanntesten Shopping-Meile Chinas. Augenzeugen berichten, dass die Polizisten bei der Auflösung der Kundgebung auf brutales Vorgehen verzichtet und Körperkontakte mit den Demonstranten vermieden hätten. Außerdem sollen sie die Schaulustigen mit den Worten gewarnt haben: "Kommen Sie nicht näher! Die Demonstranten sind Aids-Kranke!"

Das stimmt. Diese Demonstranten stammen aus der zentralchinesischen Provinz Henan, einer durch Landwirtschaft geprägten Region westlich von Peking. Henan ist in China das Synonym für einen Aids-Skandal gigantischen Ausmaßes. Mitte der 90er Jahre wurden schätzungsweise mehr als eine Million bitterarme Menschen mit dem HI-Virus infiziert, da sie sich leichtsinnig für eine kommerzielle Blutspende entschieden hatten. Die Blutbank war verseucht. Seitdem sind viele neugeborene Kinder mit dem unheilbaren Virus zur Welt gekommen. Ihre Eltern sterben infolge mangelnder medizinischer Versorgung. "Das ist ein großes soziales Problem", beklagt Li Dun, Professor am Institut für China-Studien an der renommierten Tsinghua-Universität in Peking, "und immer noch wurden keine politischen Konsequenzen daraus gezogen."

Zeichen für Solidarität - Studenten in China halten ein rotes Band in Form der Aids-Schleife hoch
HIV - auch in China muss noch viel für die Aufklärung getan werdenBild: picture-alliance/Photoshot

Aids-Skandale mit politischen Komplikationen

Zahlreiche unaufgeklärte Bauern wollten das Überleben ihrer Familie sichern und wurden von den Behörden darauf aufmerksam gemacht, dass sie ihr eigenes Blut zu Geld machen könnten. Daraufhin wurde ihnen Blutplasma entnommen, der Rest wurde ihnen wieder injiziert. Dabei kam es zu Infektionen. Viele illegale Blutsammler machten lukrative Geschäfte mit dem HIV-infizierten Blut.

Li Keqiang (in der Mitte) leitete die Aids-Konferenz der chinesischen Regierung am 26.11.2012 in Peking. (Foto:Xinhua, Ma Zhancheng/AP/dapd)
Li Keqiang (in der Mitte) leitete die Aids-Konferenz der chinesischen Regierung am 26.11.2012 in PekingBild: dapd

Die Aufklärung des ungeheuren Skandals wurde von Amts wegen verhindert. Die Behörden handelten nur zögerlich mit den öffentlichen Informationen. Denn als die Blutspende-Affäre bekannt wurde, war der damals höchste politische Beamte der Provinz, Parteisekretär Li Changchun, schon zum ständigen Mitglied im Politbüro der Kommunistischen Partei befördert worden und gehörte zu den mächtigsten Männern des Landes. Auch sein Nachfolger in Henan, Li Keqiang, der neuerdings zur Nummer Zwei im Politbüro aufstieg und als designierter Ministerpräsident gilt, konnte keine ranghohen Politiker zur Verantwortung ziehen. "Die Politiker machen ihre Karriere auf Kosten von Millionen Menschenleben", kritisiert der Aids-Aktivist Wan Yanhai, der heute im amerikanischen Exil lebt.

Zivilgesellschaft kann nur eingeschränkt helfen

Nach offiziellen Angaben lag die Zahl der HIV-Infizierten in China im Jahr 2011 bei 780.000. Wie das chinesische Staatsfernsehen berichtet, habe das wieder gewählte Politbüro-Mitglied Li Keqiang die Nichtregierungsorganisationen und ihre Engagements für Aids-Kranke in China in den höchsten Tönen gewürdigt. Dennoch seien diese Organisationen staatlich gelenkt, so die Kritik der Zivilgesellschaft. Die Existenz der Aids-Hilfe-Organisationen sei sehr schwierig, berichtet Prof. Li der Deutschen Welle. Die meisten Organisationen hätten keine offizielle Zulassung und ihre Arbeiten seien mit dem geltenden Vereinsrecht nicht vereinbar. "Viele von ihnen müssen leider illegal operieren", so Li weiter. Die HIV-Erkrankten könnten sich deswegen nicht selbst organisieren und seien auf die staatliche Unterstützung angewiesen.

Menschenrechtsaktivist Hu Jia
Menschenrechtsaktivist Hu JiaBild: picture alliance / dpa

Sozialleistungen blieben in den meisten Fällen in Henan aus. Für die verwaisten Aids-Kinder fordern die Aktivisten vom Staat umgerechnet 80 Euro Unterhalt pro Monat. Die Behörden hätten zwar Geld, aber wohl auch Angst davor, dass Konsequenzen für ranghohe Politiker gezogen würden, glaubt der Menschenrechtsaktivist Hu Jia. Deswegen erhielten die Aids-Waisen auch keine staatliche Unterstützung. Der Sacharow-Preisträger 2008 setzt sich seit vielen Jahrzehnten für die Rechte der HIV-Infizierten in China ein. Trotzdem musste Hu aufgrund einer Vielzahl sogenannter regierungskritischer Engagements dreieinhalb Jahre Freiheitsstrafe wegen "Untergrabung der Staatsgewalt" verbüßen. "Die richtigen regierungsunabhängigen Organisationen sind dem Staat ein Dorn im Auge", sagt der Aids-Aktivist Hu. Auch beim Telefoninterview mit der Deutschen Welle wurde Hu aus einem zivilen Streifenwagen beschattet. "Die Aids-Kranken werden in China immer noch diskriminiert. Viele Menschen erhalten keinen Zugang zu medizinischer Versorgung", resümiert Hu nach Gesprächen mit Demonstranten aus Henan.

Ihre Vertreter durften diesmal zwar mit dem zuständigen Ministerium für Zivile Angelegenheiten sprechen. Allerdings wurden lediglich ihre Personalien aufgenommen. Anschließend wurden sie von der ständigen Vertretung der Provinz Henan abgeholt. Auf sie wartet nun eine unangenehme Heimreise. Genau wie auch auf alle anderen Petitionäre, die in der Hauptstadt über ihr Unrecht klagten – eventueller Reisetermin ist der 1. Dezember, der Welt-Aids-Tag.