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Parlament und Ministerrat entscheiden gleichberechtigt

Bernd Riegert2. Dezember 2009

Seit 1952 leistet sich Europa ein eigenes Parlament. Lange wurden die Abgeordneten wegen ihrer Einflusslosigkeit belächelt. Mit dem Vertrag von Lissabon hat sich das grundlegend geändert.

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Foto vom Plenarsaal in Straßburg (Foto: dapd)
Bild: dapd

Mit dem EU-Grundlagenvertrag von 2009 ist das Europäische Parlament in fast allen Bereichen der EU-Politik gemeinsam mit dem Ministerrat und der Vertretung der Regierungen, für die Gesetzgebung zuständig. Auch über den mächtigen Agrarhaushalt können die Abgeordneten jetzt mitbestimmen. Allerdings kann das Parlament nach wie vor keine eigenen Gesetzentwürfe einbringen. Dieses Initiativrecht bleibt bei der EU-Kommission, der politischen Verwaltungsspitze in Brüssel.

Zufriedene Abgeordnete

Jo Leinen (SPD) war jahrelang Vorsitzender des Verfassungsausschusses im Parlament. Er ist mit dem Lissabon-Vertrag sehr zufrieden: "Das Europäische Parlament ist einer der Gewinner dieses Reformvertrages. Wir sind jetzt auf Augenhöhe mit den Regierungen und dem Ministerrat, dem bisher wirklich mächtigen Gremium in der Europäischen Union. Gesetze aus Brüssel sind in der Regel nur noch machbar, wenn das Parlament 'Ja' sagt - wenn die Bürgerkammer dies akzeptiert.“

Foto vom Gebäude des EU-Parlaments in Straßburg (Foto: dpa)
Profiteur der Reform: EU-Parlament in StraßburgBild: picture-alliance/dpa

Das Mitentscheidungsverfahren, bei dem Parlament und Ministerrat gleichberechtigt die Gesetze verabschieden, ist nun die Regel. Die Mitgliedsstaaten haben damit weniger Möglichkeiten, Gesetzgebung in ihrem Sinne zu verändern.

Nationale Parlamente mit mehr Rechten

Nicht nur das Europäische Parlament, das seit 1979 direkt gewählt wird, sondern auch die nationalen Parlamente in den Mitgliedsstaaten haben durch den Vertrag von Lissabon neue Rechte erhalten. Sie können innerhalb einer achtwöchigen Frist ihr Veto gegen Gesetze einlegen und auch vor dem Europäischen Gerichtshof klagen. Das ist bislang aber noch nicht geschehen und dürfte auch in Zukunft die Ausnahme sein werden, glaubt der Staatsrechts-Professor Christoph Möllers. Schließlich werde ein nationales Parlament der eigenen Regierung in Brüssel nicht mit einem Veto in den Rücken fallen.

Trotz mancher Verbesserungen findet Professor Möllers von der Humboldt-Universität in Berlin, dass man von einer wirklichen Demokratie auf europäischer Ebene noch nicht sprechen kann: "Das Parlament wird langsam zu einem echten politischen Organ. Vergleicht man den Lissabon-Vertrag aber mit dem ursprünglichen Verfassungsentwurf, dann sieht man, dass viele Dinge, die demokratischen Wert hatten, auch verloren gegangen sind." Für Staatsrechtler Möllers ist das Potenzial für eine Demokratisierung der EU noch lange nicht ausgeschöpft. Die Mitgliedsstaaten wehrten sich, weil sie nicht noch mehr Einfluss verlieren wollten, so Möllers.

Die untere Ebene zuerst

Die Arbeit der Parlamente soll auch dadurch besser werden, dass zum ersten Mal relativ klar festgelegt ist, welche Ebene in Europa was regeln soll. Das so genannte Subsidiaritätsprinzip "Die unterste Ebene zuerst" ist im Vertrag von Lissabon festgeschrieben worden.

Porträt vom EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz (SPD)
Selbstbewusster Parlaments- präsident: Martin SchulzBild: picture alliance / dpa

Der Europaabgeordnete Jo Leinen verweist auch auf die neue Transparenz: "Dieser Vertrag hat ja die Aufgabenverteilung schärfer geregelt als jeder andere Europa-Vertrag davor. Wir wissen, was ausschließliche Kompetenz der EU ist, zum Beispiel die Zollpolitik, die Handelspolitik, die Währungspolitik. Der große Block ist geteilte Zuständigkeit zwischen nationaler und europäischer Ebene, und dann gibt es noch eine ganze Reihe von Politikfeldern, wo nur die einzelnen Länder handeln können." Der Verteilungskatalog für Kompetenzen und Entscheidungsebenen könne aber auch zu Streit führen. Wo gibt es einen europäischen Regelungsbedarf, was muss national geregelt werden? Letztlich werde in einigen Fällen der Europäische Gerichtshof entscheiden müssen, glaubt Leinen.

Doppelte Mehrheit von 2014 an

Das neue Abstimmungsverfahren für Entscheidungen des Ministerrates wird erst 2014 eingeführt. Dann sollen in der Regel Mehrheitsentscheidungen reichen, wo bislang Einstimmigkeit erforderlich war. Erreicht werden muss dann eine doppelte Mehrheit aus 55 Prozent der Staaten, die 65 Prozent der Bevölkerung Europas repräsentieren. Die Blockade von Entscheidungen wird schwieriger, ist aber nicht unmöglich.

Foto der EU-Ratspräsidenten Thorning-Schmidt im EU-Parlament (Foto: AP)
Zur Kooperation verdammt: Ministerrat (Ratspräsidentin Thorning-Schmidt) und ParlamentBild: dapd

Der Einfluss der großen Staaten nimmt durch das neue System etwas zu. Bisher waren Kampfabstimmungen im Ministerrat die seltene Ausnahme. Die Vertreter der Nationalstaaten sind um Konsens bemüht. Die harten Verhandlungen finden sowieso in vorgeschalteten Ausschüssen, gemeinsam mit EU-Kommission und Parlament statt, und zwar unter Ausschluss der Öffentlichkeit.