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Medienhype um "Unsere Mütter, unsere Väter"

Bernd Sobolla21. März 2013

Über sieben Millionen Fernsehzuschauer für einen deutschen Film über den Zweiten Weltkrieg, Diskussionen in Talk-Shows, Familien und Schulen. Das TV-Drama sorgte in Deutschland für Diskussionen.

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Die Schauspieler Katharina Schüttler (Greta), Tom Schilling (Friedhelm Winter) und Miriam Stein (Charlotte) (v.l.) posieren am Mittwoch (01.06.2011) in Köln bei einem Fototermin zu den Dreharbeiten zum Film "Unsere Mütter, unsere Väter". Der Fernsehfilm ist ein Generationenporträt von fünf Freunden zur Zeit des Zweiten Weltkrieges und wird im ZDF zu sehen sein. Foto: Henning Kaiser dpa/lnw
Bild: picture-alliance/dpa

Ein Film, in dem selbst wehrlose Kinder gnadenlos erschossen, Soldaten von Tretminen in die Luft gejagt werden und die Wehrmachtseinheit allmählich zur Tötungsmaschine mutiert. In dem dreiteiligen Fernsehfilm "Unsere Mütter, unsere Väter", ein Werk von Autor Stefan Kolditz, Regisseur Philipp Kadelbach und Produzent Nico Hofmann, wird nichts beschönigt. Der Film soll eine, wie Medien in Deutschland behaupten, neue Phase der filmisch-historischen Aufarbeitung des Nationalsozialismus einleiten. Und die Verantwortlichen des Senders ZDF (Zweites Deutsches Fernsehen) bekamen zunächst Beifallsstürme. Bei der Erstausstrahlung der drei Teile vom 18. bis 20. März 2013 erreichte den Sender, der sonst für junge Leute kaum existiert, eine Welle des jugendlichen Zuspruchs: 6,5 bis 7,2 Millionen Zuschauer sahen die Filme jeweils, davon zum Teil über zwei Millionen junge Zuschauer. Das ZDF erreichte Marktanteile bis über 20 Prozent.

Fiktion mit Substanz

Bei dem Fernseh-Dreiteiler "Unsere Mütter unsere Väter" offerieren die Macher zum einen ein Werk, das bis zur letzten Minute spannend inszeniert ist. Und sie bieten zum anderen auch einen neuen Ansatz: Regisseur Philipp Kadelbach nämlich schickt 1941 fünf junge Leute in die Schlacht. Alle sind um die 20 Jahre alt, voller Lebenslust und Ideen. Fünf Sympathieträger, die davon träumen, die Welt zu erobern (nicht fremde Länder!). Die den Krieg als kleinen Umweg betrachten auf dem Weg zur Verwirklichung ihrer Träume und Karrieren.

Doch es ist eine denkbar schlechte Zeit fürs Träumen. Wir befinden uns am Ende des zweiten Kriegsjahres, und der Überfall auf die Sowjetunion steht bevor. Die Brüder Wilhelm und Friedhelm müssen daran als Soldaten teilnehmen. Charlotte meldet sich freiwillig als Krankenschwester und wird ebenfalls gen Osten geschickt. Greta dagegen bleibt in Berlin, wo sie an ihrer Karriere als Sängerin feilt und sich von einem hochrangigen NS-Offizier hofieren lässt. Und Victor, der einzige Jude in der Gruppe, würde das Land gern verlassen. Aber er hat keine Ausreisegenehmigung. Diese Ausgangslage bietet gerade für junge Leute ein großes Identifikationspotential: Alle Protagonisten sind jung und unbekümmert, haben die Köpfe voller Ideen. Dazu kommt ein Schuss Abenteuerlust – und dann der schreckliche Krieg.

Schauspielerin Katharina Schüttler (Greta) in Köln bei einem Fototermin vor einem alten Krankenwagen zu den Dreharbeiten zum Film "Unsere Mütter, unsere Väter". (c) dpa - Bildfunk
Katharina Schüttler spielt die Rolle der GretaBild: picture-alliance/dpa

Antikriegsfilm mit neuem Ansatz

Nach kurzer Zeit werden aus den naiven jungen Leuten, Befehlsempfänger, die Kriegssoldaten erschießen müssen, Alte, Frauen und Kinder. Soldaten, die Häuser, Höfe und Industrieanlagen zerstören und niederbrennen oder bei 40 Grad Minus im Schützengraben fast erfrieren. Der Produzent Nico Hofmann betont: "Der Film ist im Grunde eine Abwendung vom Melodram hin zu einer sehr authentischen Erzählweise. Dadurch entsteht die Komplexität. Mein Vater z.B. ist jetzt 88 Jahre alt. Und ich weiß, das ist jetzt die letzte Möglichkeit, noch einmal die Begegnung mit ihm zu suchen".

Auf jeden Fall ist "Unsere Mütter, unsere Väter" ein Antikriegsfilm, der sich von bisherigen deutschen Produktionen abhebt. Bisher zeigten auch Klassiker andere Ansätze: "Die Brücke" schildert, wie Kindersoldaten in den letzten Tagen des Krieges verheizt werden; die Marinesoldaten in "Das Boot" sehen ihre "Feinde" selten und wenn dann nur durchs Fernrohr, "Stalingrad" setzt auf Kampfeffekte, vermittelt aber kaum emotionale Betroffenheit. Noch am ehesten erinnert "Unsere Mütter, unsere Väter" an den amerikanischen Film "Im Westen nichts Neues" (Erster Weltkrieg). Allerdings sind die Protagonisten in jenem Film eher Opfer als Täter.

Historische Momente - große Produktionen

Hinter dem Werk steht der Produzent Nico Hofmann. Der 54-Jährige produziert seit 2001 Filme, die bewegende Momente der deutschen Geschichte aufgreifen. Große Produktionen, meist Zwei- oder Dreiteiler mit ordentlichem Budget, guten oder auch sehr guten Schauspielern und von langer Hand als TV-Event geplant. Diskussionen im Fernsehen und im Feuilleton unterstützen diese Produktionen: "Der Tunnel" (2001), eine Fluchtgeschichte in Berlin kurz nach dem Mauerbau, wird ebenso zum Gesprächsstoff oder gar nationalem Thema wie "Die Luftbrücke" über die Abriegelung Berlins 1948, wie "Dresden", der Film über den Luftangriff auf die Elbe-Stadt 1945 oder "Die Sturmflut", der die Überschwemmung Hamburgs 1962 schildert sowie der legendäre Absturz des Zeppelins "Hindenburg". Den größten Zuschauererfolg erlebte Nico Hofmann 2007, als er mit "Die Flucht" über 13 Millionen Zuschauer vor die TV-Geräte zog. Der Film erzählt die Geschichte der Ostpreußen, die nach dem Zweiten Weltkrieg gen Westen fliehen mussten. Emotional begleitet werden die Werke oft durch Liebesgeschichten, die sich in den Wirren der Katastrophen entwickeln. Diese Herangehensweise funktioniert so gut, dass die Filme meist mehr mit Nico Hofmann in Verbindung gebracht werden als mit den jeweiligen Regisseuren.

Porträtfoto von Produzent Nico Hoffmann (c) dpa - Report
Produzent Nico HoffmannBild: picture-alliance/dpa

Kompaktpaket geschnürt

Im Fall von "Unsere Mütter, unsere Väter" wurde dieses Muster perfekt durchgezogen. Mit vierzehn Millionen Euro Produktionskosten griff das ZDF zudem sehr tief in die Tasche. Auch wenn sich die Summe relativiert, wenn man bedenkt, dass es sich um einen Dreiteiler von insgesamt viereinhalb Stunden Länge handelt und einer Produktionszeit von acht Jahren. Das ZDF rührte heftig die Werbetrommel: Erst gab es eine Premiere im Astor-Kino in Berlin, dann zeigte der Sender im Anschluss an den ersten und dritten Teil des Films jeweils eine eigens produzierte Dokumentation zum Thema. Und Maybrit Illner, seit Jahren eine der bekanntesten Talkshowgastgeberinnen für politische Themen und Talkmaster Markus Lanz, der zu etwas späterer Stunde meist Unterhaltungsthemen präsentiert, gaben der Produktion zusätzlich Schubkraft.

Bei Maybrit Illner konnte z.B. der Europaabgeordnete der Grünen Daniel Cohn-Bendit unterstreichen, dass zwar alle Kriegsteilnehmer (unabhängig auf welcher Seite sie standen) auch Opfer waren, dass es aber ein riesen Unterschied ist, ob man für Unterdrückung und Diktatur kämpft oder für Freiheit und Selbstbestimmung. Und der Historiker Arnulf Baring war fasziniert von "Unsere Mütter, unsere Väter", weil "kein einziger Protagonist in schwarz oder weiß gezeichnet ist, sondern alle zugleich als Opfer und Täter inszeniert werden". Und schließlich berichtete auch das ZDF-Nachrichtenmagazin "Heute Journal" reichlich, ließ prominente Zeitzeugen ebenso zu Wort kommen wie Schüler. Das Interesse für Geschichte, insbesondere über die Zeit des Dritten Reichs, ist in Deutschland ohnehin weit verbreitet.

Zu sehen ist eine Gesprächsrunde v.l.n.r.: Franziska Augstein, Historikerin und Journalistin, Dieter Thomas Heck, Moderator und Showmaster, Moderatorin Maybrit Illner, Daniel Cohn-Bendit, Abgeordneter im Europaparlament (Bündnis 90/Die Grünen), Katharina Schüttler, Schauspielerin, Gunther Emmerlich, Opernsänger, Foto: Karlheinz Schindler
Gesprächsrunde bei Maybrit Illner anlässlich des Fernsehfilms "Unsere Mütter, unsere Väter"Bild: picture-alliance/dpa

Verbrecherischer Krieg in Szene gesetzt

Der bemerkenswerteste Charakter, Friedhelm, wird grandios von Tom Schilling gespielt. Der Autodidakt glänzt zurzeit gerade auf der Kinoleinwand in "Oh Boy", einem Werk über einen jugendlichen Typen, der sich ziellos durch das heutige Berlin treiben lässt und ist ein Garant für Außenseiter und schräge Charaktere. In "Unsere Mütter, unsere Väter" spielt er den jungen Friedhelm, der sich für Literatur und Kunst interessiert und die Lösung des Films spricht: "Ich fürchte, der Krieg bringt nur das Schlechteste in uns zum Vorschein". Ihm selbst ist der Krieg zunächst zuwider, er meldet sich nie für freiwillige Dienste und riskiert sogar einen Angriff auf die eigene Truppe. Aber mit der Zeit stumpft er so ab, dass er zum scheinbar emotionslosen Täter wird. Sein Bruder Wilhelm wiederum befehligt eine schlagkräftige Einheit. Er glaubt an die Soldatenehre, an die Genfer Konventionen und an das Deutsche Reich. Aber der Krieg sieht ganz anders aus, betont Volker Bruch: "Meine Figur orientiert sich an einem Ideenkonstrukt, das nichts mit der Realität zu hat. Alles bricht über seinem Kopf zusammen. Er muss Dinge tun, die er verabscheut".

Nahaufnahme des Schauspielers Tom Schilling als Wilhelm Winter bei den Dreharbeiten für den Film «Unsere Mütter, unsere Väter» (c) dpa - Bildfunk pixel
Schauspieler Tom Schilling in der Rolle des FriedhelmBild: picture-alliance/dpa

Drehbuchautor Stefan Kolditz erhofft sich von dem TV-Event, "dass sich der Zuschauer überlegt: Was hat jede einzelne Figur aus dieser Erfahrung gemacht? Wie gehen die damit um, diesen Krieg nicht nur verloren zu haben, sondern zu erkennen, dass das ein verbrecherischer Krieg war, an dem sie ja maßgeblich beteiligt waren". Drei aufwühlende Tage liegen hinter den deutschen Fernsehzuschauern. Das Ganze verbunden mit annehmbaren Diskussionen. Offensichtlich ist in Deutschland inzwischen genug Zeit vergangen, dass diese Gespräche das Interesse junger Zuschauer zeigen, die mehr über die Zeit erfahren wollen und weniger anklagend ihre Fragen stellen als es einst die 68er Generation tat. In Kürze könnte sich Ähnliches auch außerhalb Deutschlands abspielen, denn der Film ist bereits in diverse Länder verkauft.