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Markus Meckel: "Die Zukunft wurde neu gestaltet"

5. Mai 2010

Als Außenminister der DDR verhandelte Markus Meckel 1990 mit über die Deutsche Einheit. Im DW-Interview blickt er zurück – und gesteht Fehler ein.

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Portrait des ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneter, früheren Abgeordneten der DDR-Volkskammer und Außenminister der DDR, Markus Meckel. (Foto:dpa)
Markus Meckel: Erster und letzter frei gewählter DDR-AußenministerBild: picture-alliance / dpa

Deutsche Welle: Gab es bei den "Zwei-plus-Vier- Verhandlungen" besondere DDR-Aspekte?

Markus Meckel: Natürlich - das war insbesondere die Anerkennung der deutsch-polnischen Grenze. Das war für uns ein ganz zentraler Punkt, bei dem es eine gewisse Differenz gab. Helmut Kohl hat sich ja erst einmal um eine klare Position in dieser Frage herumgedrückt. Für uns war wichtig, dass die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze nicht der "Preis der deutschen Einheit" war, wie Helmut Kohl das formuliert hatte. Wir wollten diese Grenze dauerhaft in eigener Souveränität anerkennen als klare Folge des Zweiten Weltkriegs und all des Furchtbaren, das von Deutschland ausgegangen war. Nur so würde Vertrauen geschaffen, das war unsere Überzeugung.

Welche Bedenken und Sorgen hatten die vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs gegenüber einer deutschen Einheit?

Es gab eine klare Botschaft von den Vereinigten Staaten, die sagten, wir akzeptieren die deutsche Einheit, das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen - aber nur mit der Mitgliedschaft des vereinten Deutschlands in der NATO. Denn für die Vereinigten Staaten war die NATO die wichtigste transatlantische Institution, durch die sie ja auch erheblichen Einfluss in Europa hatte. Dies wollten sie nicht verlieren - wie ebenso die meisten Westeuropäer die Präsenz der USA in Europa wünschten. Eine NATO ohne Deutschland hätte wenig Sinn gemacht, deshalb war die Frage der Souveränität - also selbst entscheiden zu können, welchem Bündnis man angehört - die zentrale Frage der Zwei-plus-Vier-Gespräche.

Wie war die Position Frankreichs und Englands?

Margret Thatcher (britische Premierministerin von 1975 bis 1990) hatte große Vorbehalte, auch François Mitterrand (französischer Staatspräsident von 1981-1988) war nicht gerade begeistert, weil er durchaus spürte, dass ein geeintes Deutschland mehr Gewicht in Europa haben könnte - und Frankreichs unausgesprochener Führungsanspruch dadurch relativiert würde.

Die Sowjetunion hatte eine deutsche Neutralität ins Spiel gebracht. Deutschland sollte also nicht der NATO angehören. Welche Rolle spielte diese Idee?

Die Frage der Neutralität spielte am Ende keine wirkliche Rolle, weil außer den Sowjets niemand sie wollte. Ich plädierte für eine veränderte NATO. Weder die Nuklearstrategie erschien mir für die Zukunft zeitgemäß noch die von den Briten angestrebte Modernisierung der Kurzstreckenraketen. Auch die so genannte Vorne-Strategie, das war eine Verteidigungsstrategie, die letztlich das Territorium der beiden deutschen Staaten zum Schlachtfeld gemacht hätte, lehnte ich ab. Das alles wollte ich verändert haben und ich hoffte, dass man das mit der Vereinigung schafft. Das hat sich als Illusion erwiesen, diese Veränderungen kamen erst nach der deutschen Einheit - aber sie kamen. Die Diskussion um die Nuklearstrategie beginnt gerade wieder.

Wie war ihr Verhältnis zu Hans-Dietrich Genscher, dem westdeutschen Außenminister?

Hans-Dietrich Genscher ist mir sehr offen, sehr kollegial begegnet. Er wollte, dass zwischen uns keine Luft bleibt und dass wir möglichst gemeinsame Positionen vertreten. Natürlich hat er sich das so vorgestellt, dass ich ihm einfach folge. Das habe ich aber nicht gemacht, weil ich am Anfang die Hoffnung hatte, dass wir auch noch andere europäische Zukunftsthemen mit verhandeln könnten. Aber das Konzept des Westens war, so wenig wie möglich zu verhandeln: Nur was für die deutsche Vereinigung unbedingt nötig war, sollte auf die Tagesordnung - also die künftige Souveränität des vereinten Deutschland.

Ich hingegen wollte auch manche Abrüstungsfragen für Europa mit geklärt haben. Das hat Hans-Dietrich Genscher ein Stück weit verwirrt. Später haben wir darüber gesprochen. Ich bin heute überzeugt, dass meine Anliegen für Abrüstung und Sicherheit in Europa zwar berechtigt waren, doch sie gehörten nicht in diesen Zusammenhang. Das schmale Konzept des Westens war sehr vernünftig und klar - und erfolgreich. Ich bin sehr froh über diesen Erfolg!

Ist das Ergebnis der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen letzten Endes in Ordnung?

Ja, es war nicht nur vernünftig, es hat unserem Kontinent eine Zukunft gegeben. Hier ist im Grunde so etwas geschehen, was den Rang eines Friedensvertrages hat. Denn mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag war für Deutschland die Nachkriegszeit beendet. Ähnlich wie dies für die anderen kommunistischen Staaten, die die Freiheit errungen haben, mit der Mitgliedschaft in der NATO und der Europäischen Union einige Jahre später Realität wurde. Hier wurde das Ende der Kriegszeit und der Nachkriegsordnung besiegelt und Zukunft neu gestaltet, sodass nicht nur Deutschland vereint wurde, sondern auch Europa zusammenwachsen konnte.

Markus Meckel, 1952 in Müncheberg bei Frankfurt (Oder) geboren, war 1990 Außenminister der DDR und von 1990 bis 2009 Mitglied des Deutschen Bundestags.

Das Interview führte Matthias von Hellfeld

Redaktion: Dеnnis Stutе