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Man nennt sie Jeckes

Bettina Marx11. April 2008

Sie galten als pedantisch, umständlich und wurden belächelt: die Jeckes, die Juden aus Deutschland. Heute ist Jecke ein Kompliment. Ihr Anteil am Aufbau des Staates Israels wird allgemein gewürdigt.

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Ankunft jüdischer Einwanderer in Haifa, 1948Bild: picture-alliance / akg-images

Der Sketch "Lul" ist ein Klassiker des israelischen Humors. Er beschreibt die Einwanderungswellen, die aus Europa und dem Mittleren Osten ins Land gekommen sind. Erst die Russen, dann die Polen und dann die Jeckes, die Juden aus Deutschland. In Seppelmütze und Lederhosen gehen sie in dem kurzen Sketch an Land, Fritzi und sein Papa. Der kleine Fritzi ist entsetzt "Aber Papa", ruft er aus. "Ist das hier Palästina? Das ist ja alles Sand." Sein Vater antwortet ihm, mit einem schweren deutschen Akzent: "Du Dummkopf, wir werden diese Wüste zum Leben erwecken."

Jeckes-Museum in Galiläa

Diese Szene flimmert immer wieder über einen Bildschirm im Jeckes-Museum in Galiläa, als humorvolle Einstimmung auf die Ausstellung über die deutschen Juden. Auch wenn der Sketch die deutschen Juden überzeichnet, so beinhaltet er doch einen Kern Wahrheit. "Die Jeckes", sagt Ruthi Ofek, Leiterin des kleinen Museums, "hatten einen wichtigen Anteil am Aufbau Israels. Überall haben sie ihre Spuren hinterlassen, in der Medizin, der Wissenschaft, der Philosophie und im Justizwesen."

Industriepark in Tefen in Galiläa Deutsche Juden in Israel Foto: Bettina Marx
Blick auf TefenBild: Bettina Marx/DW

Das Jeckes-Museum im Industriepark Tefen dokumentiert die Geschichte der deutschen Juden in Israel. Auf zwei Etagen werden hier Fotos, Plakate, Gebrauchsgegenstände und Möbel ausgestellt. Oft geben junge Leute die deutschen Bücher und Briefe ihrer Großeltern im Museum ab, weil sie sie nicht mehr lesen können. So geht nichts verloren und kann für ein breiteres Publikum aufbereitet werden.

Woher das Wort Jeckes kommt, weiß man nicht genau. Vielleicht, weil sie eine kurze Jacke trugen im Unterschied zum langen Kaftan der osteuropäischen Juden. In jedem Fall galten und gelten die Jeckes als korrekt, ehrlich und gebildet, aber auch ein bisschen umständlich und stur. Heute, so Ofek, wisse man diese Eigenschaften zu schätzen. Das Wort Jeckes würde daher heute als Kompliment verstanden.

Flucht aus Nazideutschland

Hans Grünthal Dossier Deutsche Juden in Israel Foto: Bettina Marx
Hans GrünthalBild: Bettina Marx/DW

Als die Jeckes in den 1930er-Jahren kamen, die meisten auf der Flucht vor den Nazis, hatten sie es in diesem unwirtlichen Land nicht einfach. So wie Hans Grünthal, geboren 1915 in Breslau. Als begeisterter und engagierter Zionist wurde er schon in jungen Jahren von den Nazis verfolgt. 1933, nach der Machtergreifung Hilters, musste er fliehen. An Bord eines Schiffes kam er illegal ins Land - mit noch nicht 18 Jahren, ganz alleine und ohne Papiere. Er machte eine Ausbildung als Elektriker und bildete sich in Abendkursen fort. Zuerst aber musste er die hebräische Sprache lernen.

"Kein Mensch hat Deutsch gesprochen. Es war verpönt", erinnert er sich. Im besten Falle habe man jiddisch gesprochen. Um sich besser integrieren zu können, habe er schnell damit begonnen, hebräisch zu lernen. So habe er im Arbeiterrestaurant zugesehen, was die anderen Gäste bestellten und anhand dessen nach und nach gelernt, die Speisekarte zu lesen. Als der Staat Israel gegründet wurde, am 14. Mai 1948, war Hans Grünthal 33 Jahre alt. Er erinnert sich noch gut an diesen Tag. "Wir haben alle gejubelt damals", erzählt er. Und mit ein bisschen Wehmut erinnert er sich an die ersten Jahre nach der Staatsgründung. Damals habe noch große Einigkeit geherrscht im jungen Israel.

Deutsches Altersheim in Haifa

Leitsystem in deutsch und hebräisch in einem Altersheim in Haifa Deutsche Juden in Israel Foto: Bettina Marx
Leitsystem in deutsch und hebräischBild: Bettina Marx/DW

Heute wohnt Hans Grünthal in Haifa im Altersheim Rishonei HaCarmel. Hier sprechen fast alle Bewohner Deutsch. Selbst die Hinweisschilder sind auch auf deutsch beschriftet. "Zum Ärztezimmer" steht da, "Zur Bibliothek" oder "Zur Therapie".

Auf dem gleichen Flur wie er wohnen auch Heinz Kasmi und seine Frau Chava. Vom Balkon der kleinen Wohnung aus haben die beiden einen wunderbaren Blick auf das Mittelmeer, das blau glitzernd in der Frühlingssonne liegt. "Das ist das schönste von allem" schwärmt das Ehepaar.

Heinz und Chava Kasmi Dossier Deutsche Juden in Israel Foto: Bettina Marx
Heinz und Chava KasmiBild: Bettina Marx/DW

Heinz Kasmi kam 1936 aus Hildesheim mit einer zionistischen Jugendgruppe nach Palästina, die sich in Kirjat Bialik niederließ, einem kleinen von Deutschen gegründeten Ort nördlich von Haifa. Seine Frau Chava stammt aus dem Sudetenland. Beide sind stolz auf ihr deutsches Erbe. Die deutschen Juden hätten schließlich einen wichtigen Anteil gehabt am Aufbau Israels. Und noch heute schätze man sie vor allem für ihre Ehrlichkeit und ihre Höflichkeit. Das sei den meisten anderen Israelis fremd. "Wir versuchen, das an unsere Kinder und Enkel weiterzugeben", sagt Heinz Kasmi und fügt lächelnd hinzu: "Wir schaffen das."