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Staat im Staat im Ostkongo

Simone Schlindwein7. August 2012

Die Rebellenmiliz M23 etabliert im Ostkongo einen Staat im Staat. Sie droht damit, die Provinzhauptstadt Goma anzugreifen, um Kongos Regierung zu Verhandlungen zu zwingen. Die Regierung lehnt allerdings ab.

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Soldat der Armee in DR Kongo mit einem Gewehr. (Foto: REUTERS/James Akena)
Kämpfe Ost Kongo Rebellen FlüchtlingeBild: Reuters

Rutshuru – eine Bezirkshauptstadt im Ostkongo, mitten im Herzen des Territoriums, das die Rebellen der M23-Miliz erobert haben. Wieder einmal muss sich die Bevölkerung mit neuen Herrschern arrangieren – Rebellen, die faktisch einen Staat im Staat errichten und von allen Entscheidungsträgern in der Verwaltung absolute Loyalität erwarten, sonst würden sie durch neue Kader ersetzt.

Neue Jobs und Wegezoll

Oberstleutnant Vienney Kazarama ist einer der Gründer der M23, die sich im April aus Deserteuren der Armee formiert hatte. Der große Mann in Uniform trommelt im Stadtzentrum von Rutshuru die Menschen zusammen und hält eine Rede. Er verspricht den Leuten Jobs in der Verwaltung, in Krankenhäusern und Schulen, wenn sie sich gegenüber der Rebellenregierung loyal verhalten.

Oberstleutnant Kazarama hält eine Rede. (Foto: Simone Schlindwein)
Oberstleutnant Kazarama spricht zu den MenschenBild: Simone Schlindwein

Im Stadtzentrum haben die Rebellen eine Straßensperre errichtet. 500 Dollar Wegezoll müssen Lastwagenfahrer bezahlen, wenn sie die Straße in Richtung der Millionenstadt Goma benutzen wollen. Die M23 errichtet systematisch einen Staat im Staat im Ostkongo. Sie haben einen Präsidenten ihres politischen Flügels ernannt und ernennen nun Minister einer Regierung, die sich um Soziales, Gesundheit und um Auswärtige Angelegenheiten kümmern sollen. Auch Verbindungsleute hat die M23 schon in den Nachbarländern und in Europa installiert. M23-Rebellenführer Sultani Makenga fordert jetzt Kongos Präsident Joseph Kabila heraus, er droht ihm, Goma einzunehmen.

Verhandlungen gefordert

Das Szenario erinnert an den Krieg 2008. Damals hatte die M23-Vorgängermiliz CNDP (Nationalkongress zur Volksverteidigung) das Dreiländereck in den Vulkanbergen erobert und war in Richtung Goma marschiert. Als sie die ersten Raketen auf die Häuser am Stadtrand abfeuerten, musste Kongos Regierung einlenken. Es kam zu Verhandlungen und schließlich zu einem Friedensvertrag. In diesem verpflichteten sich die CNDP-Führer, sich mit ihren rund 6000 Kämpfern in die Regierungsarmee zu integrieren. Die Regierung sagte eine Reform der Armee zu, um deren Lebensbedingungen zu verbessern.

Im April waren Teile dieser Ex-CNDP-Kämpfer wieder aus Kongos Armee desertiert und gründeten die M23. Der Grund: Die Regierung habe die Bedingungen nicht eingehalten, so M23-Führer Makenga. Er besteht darauf, das Abkommen von 2009 neu zu verhandeln. Dabei geht es der M23 auch um die politischen Ziele der Übereinkunft, die bisher nicht umgesetzt wurden. So sollten laut dieser Vereinbarung etwa auch lokale Versöhnungsausschüsse eingerichtet, das Wahlgesetz evaluiert und politische Flüchtlinge freigelassen werden. Außerdem hatte sich die kongolesische Regierung verpflichtet, Wiederaufbau- und Entwicklungsprojekte für die Provinzen Nord- und Südkivu zu starten.

Sturm auf Goma?

Der damalige Anführer des CNDP war der vom internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gesuchte Kriegsfürst Bosco Ntaganda. Als Kongos Präsident Joseph Kabila im Frühjahr ankündigte, Ntaganda nach Den Haag ausliefern zu wollen, ist auch er desertiert. Ntagandas Rolle in der M23 ist unklar. Offizieller Anführer ist Sultani Makenga, der zu Ntaganda ein angespanntes Verhältnis hat. Jetzt marschieren die Rebellen stetig auf Goma zu. Sie befinden sich knapp 30 Kilometer vor der Stadtgrenze. Es hänge jetzt von der Regierung ab, wie der Konflikt weitergehe, erklärt Makenga: "Wenn die Regierung unseren Konflikt gewaltsam lösen will, dann werden wir kämpfen. Wenn sie ihn friedlich lösen will, dann werden wir verhandeln. Wenn es nötig ist, nach Goma zu marschieren und die Stadt einzunehmen, dann sind wir dazu bereit", sagt er. Die Regierung hat bislang keine Verhandlungsbereitschaft gezeigt.

Panzer an der Front zwischen Rebellen und Armee. (Foto: Simone Schlindwein)
Panzer an der Front zwischen Rebellen und ArmeeBild: Simone Schlindwein

Flucht aus den Rebellengebieten

Kongos Armee und die UNO-Blauhelme haben am Stadtrand Panzer und Raketenwerfer aufgestellt, um die Rebellen abzuwehren. Doch die Kampfmoral der Truppen ist sehr schwach. Auch bei den vergangenen Gefechten in Rutshuru sind die Soldaten schließlich davongelaufen.

Vertriebene Frau mit ihrem Kind (Foto: Simone Schlindwein)
Vertrieben am Stadtrand von Goma - Gasagi Mumi mit ihrem KindBild: Simone Schlindwein

Täglich fliehen mehr und mehr Menschen aus den Rebellengebieten in die Millionenstadt Goma. Am Stadtrand siedeln über 10.000 Vertriebene unter schrecklichen Bedingungen. Auch Gasagi Mumi, Mutter von fünf Kindern, hat sich hierher gerettet: "Ich bin vor den Gefechten in Kibumba geflüchtet. Doch hier haben wir nichts zu Essen und wir schlafen unter freiem Himmel. Nachts greifen uns die Banditen an."